Jörg Müller

Meier im Quadrat


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endlich aufgehoben wurde, flog am gleichen Tag keine Maschine mehr von London nach Düsseldorf. Hans bekam ein sehr schönes Hotel zugewiesen und rief seine Frau an, um ihr mitzuteilen, dass er leider die Pekinesenparty verpassen würde. Bombenalarm, da könne man nichts machen. Birgit hatte davon schon in den Nachrichten gehört und war nicht weiter traurig. Hans war auf jeder Pekinesenparty ein Störfaktor. An der Hotelbar traf er den blonden Hünen wieder, der ihn auch gleich wiedererkannte. Jetzt konnte Hans sehen, dass der Mann mindestens zwei Meter groß war. Schnell kamen die beiden ins Gespräch. Der Blonde stellte sich sogleich auf Englisch vor.

      „Mein Name ist Mikael Nielsson und ich komme aus Finnland. Meine Vorfahren väterlicherseits stammen aus Schweden. Ich bin 33 Jahre alt, verheiratet mit einem Goldstück und habe zwei Töchter, die drei und vier Jahre alt sind. Meine Privatmaschine ist leider zurzeit defekt, deshalb bin ich zum ersten Mal seit über fünf Jahren mit einer Linienmaschine geflogen. Und dann gleich ein Bombenalarm. Aber ich habe Zeit und genieße heute Abend den schottischen Whisky. Und wer bist du?“

      Die Finnen schienen sich alle zu duzen.

      „Ich heiße Hans Meier und bin Deutscher, ebenfalls verheiratet, allerdings nicht mit einem Goldstück. Kinder habe ich keine, aber meine Frau besitzt zwei Pekinesen. Heute Abend steigt bei uns eine Pekinesenparty. Deshalb bin ich froh, dass ich jetzt hier an der Bar stehe und ein paar englische Pints trinken kann.“

      Der Finne sah ihn erst verblüfft an, fing dann laut an zu lachen, schlug Hans vor Begeisterung auf die Schulter und antwortete in fließendem Deutsch:

      „Pekinesenparty, das hat was. Ich kann diese kleinen Kläffer nicht ausstehen. Wir haben zu Hause Huskies und Rentiere, die sind mir lieber.“

      Die beiden verstanden sich sofort. Hans erzählte von seiner Arbeit und der Finne hörte sehr interessiert zu. Dann erzählte Mikael von seiner Familie und seinem beruflichen Werdegang. Als die beiden um 23.00 Uhr nach dem Genuss mehrerer Pints und Whiskys zu Bett gingen, kannte Hans Mikaels ganze Lebensgeschichte.

      Mikael gehörte einer erfolgreichen Unternehmerfamilie aus Helsinki an. Er war der älteste von drei Söhnen und wurde von seinem Vater behutsam auf die Leitung des Familienunternehmens vorbereitet. Da seinem Vater mehrere Sägewerke gehörten, arbeitete Mikael nach dem Abitur ein Jahr bei einem holzverarbeitenden Unternehmen im Sauerland als Praktikant und sprach deshalb so gut Deutsch. Anschließend absolvierte er ein weiteres Praktikum bei Geschäftsfreunden in St. Petersburg, um die russische Sprache zu erlernen, denn die Firma seines Vaters wickelte ein großes Geschäftsvolumen mit Partnern in der damaligen Sowjetunion ab. In Edinburgh studierte er Betriebswirtschaftslehre, um dann im Alter von 27 Jahren in das Unternehmen seines Vaters einzusteigen. Mikaels Familie verbrachte alle Ferien in Lappland. Da war es von großem Vorteil, dass die Familie seit den frühen sechziger Jahren über ein eigenes Flugzeug verfügte. Die Natur und die Menschen in Lappland faszinierten Mikael genauso wie seinen Vater. In Lappland lernte er seine Frau Hete kennen. Ihre Familie besaß riesige Land- und Wasserflächen, und so lebte ihre Familie in der Hauptsache von der Rentierzucht und vom Fischfang. Hete war die ältere von zwei Töchtern. Im Alter von 28 Jahren heiratete Mikael die zwei Jahre jüngere Hete. Die beiden zogen in das Haus ihres Großvaters ein, der ein Jahr zuvor verstorben war. Mikael lebte von Freitagnachmittag bis Montagmittag in Lappland und die restliche Zeit der Woche arbeitete und wohnte er in Helsinki.

      Am nächsten Morgen teilten sich Hans und Mikael ein Taxi zum Flughafen. Zum Abschied lud Mikael Hans nach Lappland ein, mit Frau und, wenn es unbedingt sein musste, auch mit den Pekinesen.

      Mitte Juli meldete sich Mikael telefonisch bei Hans, um seine Einladung zu erneuern.

      „Wir feiern am Wochenende ein großes Fest. Kannst du kommen? Ich schicke dir unsere Maschine.“ Hans war wirklich urlaubsreif. Er machte eher Feierabend, um seine Frau sicher anzutreffen, denn an diesem Abend war wieder mal eine Tupperparty bei einer von Birgits zahlreichen Freundinnen angesagt.

      „Was hältst du von einem Kurzurlaub in Lappland? Wir werden mit einem Privatflugzeug in Düsseldorf abgeholt. Du kannst Lothar jun. und die beiden Hunde (er hatte sich den Ausdruck „Kläffer“ gerade noch verkniffen) auch mitnehmen.“

      Birgit sah Hans an wie einen Irren.

      „Wo willst du hin, nach Lappland?“

      Hans schaltete sofort um.

      „Natur pur, nette Tiere und Bären, die gerne mit kleinen Hunden spielen. Ich habe jedenfalls noch nie davon gehört, dass in Lappland ein Pekinese von einem Bären angefallen worden ist oder umgekehrt.“

      Birgit verließ empört das Zimmer und ging zu Lothar jun. in das Kinderzimmer. Der Junge war wie immer in ein Buch vertieft. Selbst in den Sommerferien las Lothar jun., während die anderen Kinder in seinem Alter draußen spielten. So war es nicht weiter verwunderlich, dass er keine Freunde hatte.

      „Hast du Lust, mit deinem Onkel Hans nach Lappland zu fahren?“

      Lothar jun. sah nur kurz auf:

      „Du weißt doch, dass ich deinen Mann nicht leiden kann. Was also soll diese dumme Frage?“

      Er wandte sich wieder seinem Buch zu und schien im gleichen Moment vergessen zu haben, dass seine Tante noch in seinem Zimmer stand. Birgit drehte sich zufrieden um. Sollte doch Hans alleine nach Lappland fahren.

      Und das tat Hans auch. Als die Maschine auf einem kleinen Flugplatz in Lappland landete, wurde er von Mikael, zwei Frauen und zwei Kindern abgeholt.

      Der Finne begrüßte ihn freundlich und stellte die vier vor:

      „Herzlich willkommen in Lappland. Ich habe zur Begrüßung die vier wichtigsten weiblichen Wesen in meinem Leben mitgebracht. Zuerst möchte ich dir mein Goldstück Hete vorstellen, daneben stehen meine beiden kleinen Goldstücke Lotta und Kristina. Und die nette junge Frau neben meinen Töchtern heißt Ella. Sie ist die jüngere Schwester von Hete.“

      Hans blickte in acht zugleich neugierig und freundlich blickende blaue Augen. Während Hete und ihre beiden Töchter mit der Sonne um die Wette strahlten, machte Ella einen traurigen und zurückhaltenden Eindruck. Hans reichte allen die Hand.

      Mikael nahm Hans in seinem Wagen mit. Hete steuerte das andere Auto.

      „Mikael, ich möchte dir zu deinen Goldstücken und deiner Schwägerin gratulieren. Ist Ella auch verheiratet?“

      Mikaels Gesicht verdüsterte sich.

      „Ella war verheiratet mit Leevi, einem Samen aus dem südlichen Lappland. Er war ein begeisterter Husky- und Rentierzüchter und nahm mit seinen Hunden an Rennen teil. Er ist im letzten Winter bei einem Rennen tödlich verunglückt. Ella kann den Verlust ihres Mannes nur schwer verarbeiten. Sie ist nach dem Tod ihres Mannes wieder zu uns gezogen. Die beiden Schwestern sind zwar äußerlich und vom Temperament völlig verschieden, aber sie halten zusammen wie Pech und Schwefel.“

      Hans konnte die beiden Frauen im Seitenspiegel sehen. Hete war circa 1,65 m groß, hatte lange blonde Zöpfe und war ziemlich rundlich, ein mütterlicher Typ. Ihre Schwester war fast so groß wie er, sehr schlank und hatte ebenfalls lange blonde Zöpfe.

      „Das tut mir leid. Ich wollte nicht indiskret sein.“

      Mikael lachte jetzt wieder.

      „Du gehörst als mein Freund zur Familie. Deshalb ist es wichtig, dass du so viele Details wie möglich kennst. Deine Frau und die Pekinesen wollten nicht mitkommen?“

      „Nein, meine Frau Birgit hat Angst, dass ihre beiden Lieblinge von den hier freilaufenden Bären gefressen werden.“

      „Da hast du ihr aber einen großen Bären aufgebunden. Aber vielleicht ist es besser so. Ich bin mir sicher, dass es dir bei uns gefallen wird. Wer einmal in Lappland war, der kommt immer wieder.“

      Mikael hatte nicht übertrieben. Die Landschaft strahlte einen seltsamen Reiz auf ihn aus. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück sprach Ella ihn auf Englisch an:

      „Wie gefällt es dir hier bei uns?“

      „Ich