Guido Schroeder

Der Fehdebrief


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des Rückgrates am Boden festgenagelt und seine Schwester wahrscheinlich schon mit seinem Gewicht erschlagen ...hoffentlich.

      Doch sein Vater, ein Vorbild an Kraft und Mut, wie es nur ein außergewöhnlicher Mann seinem siebenjährigen Sohn sein kann, lebte noch. Stephan begriff immer noch nicht so richtig, was hier vor sich ging. Angst schnürte ihm die Kehle zu.

      „STEPHAN!....STEEEPHAAAN!“, drang es an sein Ohr, und er wurde wieder etwas weiter in die Wirklichkeit zurückgerissen. Wie lange sollte diese Qual noch weitergehen? Er wollte nichts weiter, als ohnmächtig zusammensinken, um sich diesen schrecklichen Gefühlen in nie gekanntem Ausmaß zu entziehen. Doch diese kurze Zeitspanne schien unendlich.

      „STEPHAN, hör mir zu!“ Es war der reine Alptraum, er konnte das Gesicht seines Vaters durch die Flammen kaum noch erkennen und musste ein Stück zurückweichen, als er merkte wie seine Haare versengt wurden.

      „Stephan, schwör mir: Sprich mit Gerard de Miletto“, hörte er seinen Vater rufen, bevor ein Knallen und das grelle Licht der Flammen seinen Vater verschlang.

      Eine Welt brach für Stephan zusammen. Rückwärts fallend, hustend und nahezu blind versuchte er, sich vor den gefährlichen Flammen in Sicherheit zu bringen. Er schaffte es, sich in einiger Entfernung in den Schlamm zu verkriechen, um wieder zu Atem zu gelangen.

      Nicht nur das Haus seiner Eltern stand lichterloh in Flammen. Einige andere Häuser teilten dasselbe Schicksal, und auf den schlammigen Pfaden vor den Hütten bot sich ihm ein Bild des Schreckens. Soldaten liefen, laut grölend, Keulen schwingend zwischen den Hütten umher und richteten unter seinen Nachbarn und Freunden ein Blutbad an. Er beobachtete gerade, wie sein bester Freund Michael etwa 15 Schritte von ihm entfernt völlig abwesend aus seiner Hütte taumelte und wollte helfen, als ein halb bekleideter Soldat, fluchend hinter Michael aus der Hütte trat und ihm mit einem Streitkolben den Schädel zerschmetterte. Ein zweiter Soldat folgte ihm, rief ein paar Worte, die Stephan nicht verstand, und hielt sich daraufhin vor Lachen den Bauch.

      Irgendetwas passierte zu diesem Zeitpunkt mit Stephan. Vielleicht gibt es einen Punkt, an dem ein siebenjähriger Junge die Wirklichkeit verdrängt, wenn sie so grausam ist, dass sie selbst gestandene Männer um den Verstand bringen kann. Dass er diesen Punkt erreicht hatte, war gut für ihn, denn es sollte noch schlimmer kommen. Dennoch war er mit einem Mal so klar bei Verstand, dass er begriff, was hier vor sich ging.

      Er hatte schon die eine oder andere Geschichte von den Fehden der verschiedenen Burgherren gehört und auch von den kleineren Scharmützeln, die sie sich lieferten. Jedem war es bewusst, dass es jedes Dorf irgendwann treffen könnte und wahrscheinlich auch würde, würde nicht endlich ein starker Kaiser die Adeligen vereinigen, schenkte man den Gesprächen der Erwachsenen Glauben. Und nun hatte es sein Dorf getroffen. Überleben war in solch einer Lage der Grundgedanke. Um jeden Preis um diese blutrünstigen Soldaten, die weder vor Frauen noch vor Kindern Halt machten, einen weiten Bogen machen.

      Er dachte gerade über ein sicheres Versteck nach, als sich eine Hand von hinten um ihn legte und gerade noch rechtzeitig den Mund erreichte, um den Schrei zu unterdrücken. Es war seine Mutter. Was war bloß in ihn gefahren, ermahnte er sich jetzt, als er sich fest an sie klammerte. Dass er noch nicht an sie gedacht hatte, war unentschuldbar. Er war doch nun der Herr im Hause, der Beschützer. Doch es waren erst wenige Herzschläge vergangen, seitdem er geweckt worden war und in Wirklichkeit brauchte er seine Mutter wohl mehr als sie ihn. Sie warteten einen passenden Moment ab und liefen im Schutz der Dunkelheit zum Waldrand, um sich dort vor den Soldaten zu verstecken.

      Unglücklicherweise wurden sie von gerade dem Soldaten beobachtet, der Stephans besten Freund auf dem Gewissen hatte und gerade mit der Schändung seiner Mutter fertig war. Anno, er war der Hauptmann der Truppe, war stets der Erste, der sich an der Kriegsbeute gütlich tun konnte. Nun konnte sich sein Unterführer und Saufkumpan an der doch schon arg zugerichteten Mutter dieses Jungen vergnügen. Er war sicher, dass sie es nicht überleben würde. Dieser Junge hatte mit einem Mal vor der Szene gestanden, als er es ihr gerade besorgen wollte. Als der verdammte Bengel dann auch noch apathisch aus der Hütte taumelte und „Mama, Mama“ wimmerte, konnte seine Manneskraft einfach nicht mehr so, wie er es gewohnt war. Naja, ähnliche Situationen waren ihm nicht gänzlich unbekannt. Aber bei diesem Mal war dieser verfluchte Hurensohn schuld. Unglücklicherweise blieb sein Malheur nicht unerkannt, und sein Kumpan brach in Gelächter aus. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.

      Eigentlich hatten sie die Anweisung, die Knaben zu verschonen und mit zur Burg zu bringen. In diesen unruhigen Zeiten wurde jeder Krieger gebraucht, und im Laufe der Jahre fanden sich fast alle mit ihrem Schicksal ab. Auch wenn es sich nur um einfache Bauernsöhne handelte, als Kämpfer für die vorderste Reihe waren sie allemal gut genug. Allerdings durften sie nicht älter als zehn sein. Ältere hatte man schon für die eigenen Truppen rekrutieren wollen, merkte jedoch schnell, dass bei diesen Bengels der Rachedurst dem Überlebenstrieb schon den Rang abgelaufen hatte. Nach einigen unkoordinierten Angriffen aus den eigenen Reihen folgten entsprechende Hinrichtungen, und man einigte sich auf die Altersgrenze von ungefähr zehn Jahren. Seitdem lief alles einwandfrei.

      Aber diesen hier konnte er nicht laufen lassen, nachdem er ihn so vor seinem Kameraden bloß gestellt hatte, dafür musste er bezahl-en. Danach hatte er zu Ende gebracht, was er angefangen hatte. Zumindest hatte er ihr gehörig Respekt eingeprügelt. Zwar hatte es mit dem Akt immer noch nicht geklappt, was ja auch kein Wunder war, aber gezeigt hatte er es ihr trotzdem.

      Als er nun die beiden Gestalten Richtung Wald laufen sah, sah er für sich doch noch die Chance, seine Manneskraft unter Beweis zu stellen. Anno nahm sofort die Verfolgung auf und erreichte den Waldrand wenige Momente nach Stephan und seiner Mutter.

      Sie ließen äußerste Vorsicht walten und trotzdem, als Stephan sich kurz vor dem Waldrand noch einmal umdrehte, stellte er fest, dass sie verfolgt wurden. Zum Glück war es nur ein einzelner Soldat, und mit etwas Glück konnten sie sich vor ihm verstecken. Nachdem Stephan seiner Mutter von ihrem Verfolger berichtet hatte, bewaffneten sie sich noch notdürftig mit herumliegenden Ästen und suchten Schutz in einer Mulde auf dem Waldboden. Kurze Zeit später vernahmen sie schon das Knacken von Geäst am Waldrand. Sie konnten ihren Verfolger über die Dunkelheit fluchen hören und dankten Gott für die bewölkte Nacht und den dichten Wald. Beide standen so unter Spannung, dass sie es kaum wagten zu atmen, geschweige denn, sich zu bewegen. Plötzlich war ein Geräusch ganz in der Nähe zu vernehmen, und Stephan hatte das Gefühl, man könne seinen Herzschlag noch im Dorf hören. Doch es war nur ein Kaninchen, welches wie sie den richtigen Moment abgepasst hatte, um zu fliehen.

      Als sie gerade beschlossen hatten, sich etwas tiefer in den Wald zu bewegen, hörten sie abermals ein Geräusch. Diesmal vom Waldrand und diesmal wurde das Geräusch zusätzlich vom Knistern einer Fackel begleitet. Sie hatten ihre Chance verpasst. Während sie regungslos vor Angst in ihrer Mulde gelegen hatten, hatte sich dieser Soldat eine Fackel besorgt, um seine Jagd fortzusetzen.

      Die Zeit der wuchtigen Herzschläge begann erneut für Stephan. Er hatte das Gefühl, dass er brechen müsse, konnte diesem Trieb jedoch so gerade widerstehen. Wieder begannen einige endlose Minuten in der bangen Hoffnung, unentdeckt zu bleiben. Doch der Soldat war keiner von der dummen Sorte. Er suchte systematisch, lief nicht kreuz und quer. Wenn er seinen Kurs beibehalten würde, hätte er ihr Versteck gleich ausgemacht.

      Dies erkannte wohl auch Stephans Mutter, erhob sich leise, trat hinter einen Baum, und als der Soldat sie passierte, schlug sie ihm mit aller Gewalt ihren Knüppel auf den Hinterkopf. Der Soldat ging auf die Knie, die Fackel flog auf den Boden, und Stephan wollte gerade Gott ein zweites Mal an diesem Abend danken. Dann sah er zu, wie sich die Fackel wieder erhob und nicht in der Hand seiner Mutter zu sehen war.

      Nun lag es an ihm zu handeln. Mit einem wilden Gebrüll rannte er aus seinem Versteck auf seinen Gegner zu. Den Knüppel schwingend, holte er kurz vor seinem Gegner aus, um ihn seine ganze Wut mit aller Kraft spüren zu lassen. Er sah noch kurz etwas silbrig Glänzendes auf sich zukommen und es wurde dunkel.

      Das darf doch nicht wahr sein, dachte Anno, als er dem heran-stürmenden Bengel den Kettenhandschuh vor die Stirn schlug. Zwei Bengel, die ihm die Tour versauen wollten, und das an einem Abend. Aber diesmal würde er sich nicht