Guido Schroeder

Der Fehdebrief


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Tages Ausbilder und Kämpfer meist bester Laune waren, die allesamt eine eingeschworene Gemeinschaft zu sein schienen. Innen an der Burgmauer reihten sich dann mehrere Gebäude auf, die im Abstand von einigen Metern angeordnet waren, teilweise aus Holz und teilweise aus Stein erbaut. Schmiede, Pferdestallungen, Vorratshaus, eine Küche, die nach links und rechts etwas mehr Abstand zu den anderen Gebäuden hatte, ein Burggarten und dann das prächtigste Gebäude, der Palas mit angrenzender Burgkapelle. Einige andere Gebäude waren auch noch vorhanden, zum Beispiel ein Aufenthaltsraum und eine Schlafstatt für die Soldaten in der Burg. Es dürften so zwanzig sein, schätze Stephan. Dann war da noch der verhasste Holzverschlag, den Stephan seit dem Tag seiner Ankunft zum Glück nicht wieder betreten hatte müssen.

      Merkwürdigerweise war sein Peiniger Steinfaust seit dem Vorfall fast bemüht, freundlich zu ihm zu sein. Wie Stephan mittlerweile mitbekommen hatte, war sein Name Arnulf, und er war der Hofmeister der Burg. Er bewohnte den Bergfried, zumindest ging er abends dort hinein, und kam morgens wieder heraus.

      Stephan hingegen schlief mit genau dreiundzwanzig anderen Kindern, alle im Alter von sechs bis zwölf Jahren, in einem Schuppen direkt neben den Pferdestallungen, wo es ständig nach Pferdekacke roch. Stroh als Bettstatt und ständiges Husten, Röcheln und Schnarchen hielten Stephan und die anderen nicht vom Schlafen ab. Nach den harten Arbeitstagen von Sonnenauf– bis Sonnenuntergang hätte Stephan auch im Stehen auf dem Bergfried schlafen können.

      Stephan nahm sich nun einiges vor. Er wollte zunächst einmal überleben, um so das Schicksal seiner Mutter zu erfahren und sie möglicherweise zu retten, um anschließend Gerard de Miletto aufzusuchen und das Geheimnis seines Vaters zu lüften. Dazu bräuchte er sich nur die Papiere zu besorgen, über die die Soldaten gesprochen hatten. Die müssten ja nun in den Händen des Burgherrn sein. Ihn hatte er zwar erst zweimal aus der Ferne zu Gesicht bekommen, doch mit einem Mal so dicht dran an den Informationen über die wichtigste Frage seines Lebens zu sein, beflügelte Stephan enorm.

      Wenn ihn der Hofmeister weiterhin in Frieden ließe, würde Stephan bestimmt einen Weg finden, in den Palas zu gelangen und nach den Dokumenten zu suchen.

      Es würde bestimmt nicht leicht werden, riskant sowieso, und es würde einer sehr genauen Vorbereitung bedürfen, aber er hatte nun eine Aufgabe.

      Kapitel 4 - Arnulf

      Es war natürlich wesentlich einfacher gedacht als getan. Unzählige Aufgaben, die zu verrichten waren, die Betriebsamkeit und die Tatsache, dass man wirklich niemals allein war, machten Stephans Aufgabe schwer, sogar fast unmöglich. Er versuchte, so viele Informationen zu sammeln und sich Details einzuprägen, wie er nur konnte, und doch hatte sich ihm nicht einmal die Möglichkeit geboten, in den Palas zu gelangen.

      Der Burgherr war nur alle paar Wochen in der Burg, und in der Zeit seiner Abwesenheit wurde der Palas so gut wie nicht genutzt und nur durch ein paar Mägde dann und wann betreten. Wenn er da war, hatten die älteren Kinder die Aufgabe, das Essen in der Burghalle aufzutragen. Stephan war dafür noch zu jung.

      Auch wenn Irmgard, die strenge Küchenmagd, an Stephan einen Narren gefressen hatte, so war auf keinen Fall daran zu denken, dass er die ehrenvolle Aufgabe der Bewirtung im Palas übernehmen durfte. So musste Stephan auf anderem Wege an die gewünschten Informationen gelangen.

      Er versuchte, alles über das Innere des Palas von eben diesen älteren Jungen zu erfahren, die diese Aufgabe verrichteten. Dabei lernte Stephan zwei Dinge über sich selbst. Erstens hatte er die besondere Fähigkeit, andere Personen sehr gut einzuschätzen. So konnte er durch bloßes Zuhören und genaues Beobachten in verschiedenen Situationen herausbekommen, was in den anderen vorging, ohne selbst auch nur ein winziges Etwas von sich preiszugeben. Einzig Magdalena war von Stephan schwer einzuschätzen, und er bemerkte, dass sie ihn genauso beobachtete wie er die anderen.

      Die zweite Fähigkeit, vielleicht Folge der ersten, war die Tatsache, dass er trotz seines jungen Alters von allen Kindern, selbst von den ältesten, respektiert wurde. Er bekam mit, dass es eine Hackordnung unter ihnen gab und die Älteren immer auf den Nächstjüngeren herumhackten. Der einzige, der dieser Ordnung nicht unterlag, war er. Und als die anderen merkten, dass Magdalena auf irgendeine Weise mit Stephan verbunden schien, ließen sie auch sie in Frieden. So erfuhr Stephan, dass allein seine Anwesenheit und sein Umgang mit den anderen ausreichte, damit Menschen, an denen Stephan etwas lag, Schutz erfuhren.

      Über den Palas erfuhr er allerdings nichts, das von großer Bedeutung war, was allerdings nicht an der fehlenden Aussagebereitschaft der Burschen lag, sondern daran, dass diese die Speisen und Getränke durch einen Nebeneingang in den Speisesaal brachten. Dort standen sie dann in der Nähe der Speisenden und schenkten nach, wenn es nachzuschenken galt. Lediglich das Haupttor des Palas, einen Zugang zur Kapelle und eine breite Treppe, die unmittelbar hinter dem Tisch des Burgherrn nach oben führte, konnten die Burschen ihm beschreiben. Damit war für Stephan zumindest klar, dass er sich nicht weiter um einen Bewirtungsposten bemühen musste. Sich hinter dem Tisch des Burgherrn unter den Augen zahlreicher Gäste über die einzige breite Treppe in einem unbeobachteten Moment nach oben zu schleichen, käme wahrscheinlich einem Selbstmord gleich.

      Er musste sich etwas anderes ausdenken und erkannte gleichzeitig, dass er seine Ziele nicht so schnell erreichen würde, wie er zunächst gehofft hatte. So gingen die nächsten Monate seines Aufenthaltes in der Burg bei harter Arbeit in den Pferdeställen und der Suche nach einem Weg in den Palas vorüber.

      Es trafen zwei Mal weitere Kinder auf der Burg ein, so dass es in dem Schlafschuppen allmählich eng wurde. Er schaute bei allen Neuankömmlingen in angsterfüllte Gesichter und fand in Gesprächen heraus, dass tatsächlich jedes einzelne der mittlerweile einunddreißig Kinder Stephans Schicksal teilte.

      Eines Tages, ein Sauwetter herrschte seit einigen Tagen und der Regen peitschte über den Hof, rannte Stephan auf dem Weg von der Küche zu den Pferdeställen an dem Gebäude vorbei, das den Soldaten als Aufenthaltsraum diente, und wurde durch einen Pfiff und eine Geste von Wulf, der im Eingang stand, zu ihm befohlen. Bei diesem Wetter war ein Exerzitium auf dem Hof nicht möglich und einige Soldaten saßen an den Tischen, würfelten und tranken, als Stefan das Gebäude betrat. Ein Soldat machte eine abfällige Bemerkung, die ein allgemeines Gelächter herbeiführte, das nur durch die Art, wie Wulf die Soldaten daraufhin anblickte, sofort endete. Wulf blickte Stephan intensiv an: „Der Hofmeister hat mir von dir berichtet. Hauptmann Anno sagt, in dir stecke Kämpferblut, und mein jüngster Lehrling sagt, dass die anderen in dir einen Anführer sehen. Den sehe ich noch nicht, und viel zu jung, um mit dem Kampftraining zu beginnen, bist du auch. Ich habe dich aber im Auge und will dir schon einmal einen Rat mitgeben. Schaue uns beim Training zu, wann immer du kannst, und stärke deine Muskeln, wann immer du kannst. In Zeiten wie diesen ist ein Leben kaum eine Münze wert, und jeder muss so gut, wie es nur geht, darauf vorbereitet sein, es zu verteidigen. Und jetzt schleich dich, wir sprechen uns wieder.“

      Obwohl diese Worte hart ausgesprochen waren, erkannte Stephan die Aufrichtigkeit, die dahinter steckte. Wulf hatte es in unter einer Minute geschafft, in Stephans Welt eine wichtige Person zu werden.

      Als der Sturm ging, kam der Schnee. Es wurde ein harter Winter. Stephan tat, wie ihm geheißen war, und beobachtete die Soldaten, so oft er die Möglichkeit hatte. Er ließ sich freiwillig zu den im Winter gehassten Außenarbeiten einteilen, um sich so viele Bewegungen wie möglich einzuprägen. Er stellte dabei fest, dass nicht die Kräftigsten gleichzeitig die besten Kämpfer waren, auch nicht die Geschicktesten, wie er zunächst vermutet hatte, sondern es waren die Gelassenen. Diejenigen, die ruhig blieben, ihren Gegner analysierten, alles in ihrer Umgebung beobachteten und darauf reagierten. Morgens, bevor die Sonne aufging, machte er Übungen, um seine Muskeln zu stärken. Zuerst hatte er sie abends vor dem Schlafen machen wollen, doch merkte er schnell, dass die harten Arbeitstage die Muskeln derart beanspruchten, dass ein Hochstemmen des Körpers aus der Waagerechten oder das Hochziehen an einem Balken schlicht nicht mehr drin waren. Machte er die Übungen morgens, hatte er genug Kraft und die Arbeit erledigte er tagsüber trotzdem, nicht mehr mit so viel Elan wie zuvor, doch, verstecken brauchte er sich auch nicht.

      Es dauerte nur einige Monate, und die körperlichen Arbeiten