Hans Ulrich Süss

Der Aufstieg des Karl Ernst Schober


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zugreifen. Forschung ist etwas, das lass ich jetzt hinter mir, jetzt geht es voran mit den Dingen, die wirklich zählen. Stell Dir vor: Ich soll zwischen den französischen und den deutschen Kollegen vermitteln. Was mit Menschen, verstehst Du. Und da bin ich doch wirklich gut! Ich kann mit Menschen!" Er sah seine Frau fordern an.

      Elsbeth sah zweifelnd zurück. Aber da das nicht das Thema war, dies war eindeutig der geplante Umzug, beschränkte sie ihre Äußerungen auf dieses Gebiet: "Jetzt ist mir das neue Haus aber wirklich zu groß. Ich hatte ja schon immer das Gefühl, es sei zu groß für uns. Stell dir mal vor, 250 Quadratmeter für mich und Jasmin, das ist einfach zu viel!"

      "Das siehst Du falsch", Schober wollte die Diskussion über die Größe des Hauses nicht schon wieder begonnen. "Du weißt doch genau, das war ein Schnäppchen, dieses Haus. Wir brauchen etwas Repräsentatives. Etwas, mit dem wir auch in Zukunft noch zufrieden sind und das uns nicht zu klein vorkommt. Jasmin wird in wenigen Jahren", Schober wusste, hier übertrieb er etwas, "sehr froh sein, die Einliegerwohnung zu beziehen. Und uns ist der schöne Platz vor dem offenen Kamin doch etwas wert, das sagst Du doch auch immer!"

      Das Haus hatte lange zum Verkauf gestanden. Es war ein Objekt zum Herzeigen, es war das Haus eines inzwischen bankrotten Bauunternehmers, der wusste, was grossartig wirkt. Groß war nicht nur die Wohnfläche, groß war auch der Garten. Der Nachteil des Grundstücks war gleichzeitig ein Vorteil, es lag an der Bahn, der Bahnhof um die Ecke. Gut, es gab auch nachts Zugverkehr, es konnte schon laut werden. Dem konnte man aber positive Seiten abgewinnen, denn der Weg zur Arbeit in der Zentrale wurde dadurch prinzipiell erleichert. Schober war sicher, er würde bald in der Zentrale arbeiten. Das war der nächste Schritt nach dem Auslandsaufenthalt! Außerdem hatte das Haus einen riesigen, leeren Dachboden, hervorragend geeignet für sein Hobby, die Modelleisenbahn. Die war im Moment eingemottet, aber er würde zu gerne wieder Platz zum Gestalten einer neuen Anlage haben. Er fuhr fort: "Selbstverständlich werden ich den Rasen mähen, wenn ich am Wochenende komme. Du wirst nicht ständig allein sein!" Elsbeths Begeisterung hielt sich in Grenzen. Sie sah aber ein, das Anwesen war eindrucksvoll. Angst vor dem Alleinsein hatte sie nicht, es gab immer etwas zu tun.

      Schober fand Südfrankreich im Juni sehr schön, nicht aber den Sprachkurs, diese Sprache war doch kompliziert. Jedenfalls schwieriger, als er gedacht hatte. Da er etwas lernen sollte, blieb er komplette vier Wochen, um dann im Sommer seine Zeit bei Krauth zu beenden. Er war froh diesen Herrn und das unbefriedigende Thema hinter sich zu lassen. Die letzten Wochen in der Forschung wurden zusätzlich durch Urlaub verkürzt. Das war aber auch anstrengend, fand er. Ein Familienmensch war er wohl nicht. Das nervte, dieses Herumwandern am Strand. Sylt musste sein, obwohl er nicht wirklich flüssig war. Elsbeth hatte bei der Innenausstattung der Bäder und Küche einfach einen zu kostspieligen Geschmack. Er würde eben mehr Geld verdienen und die Steuerersparnis durch die Tätigkeit im Ausland wurde kurzerhand im Bau verplant.

      Als er Anfang Oktober in Paris seine neue Aufgabe antrat, zeigte sich bald, wirklich viel Französisch reden musste er nicht. Seine Sekretärin, Mme. d'Aubigné sprach gut Deutsch und die Kollegen wurden zu Englisch als Kommunikationssprache verpflichtet. Mit den Kollegen kam er gut aus, die Arbeit brauchte nur richtig delegiert werden, da er von den Details nichts verstand, genügte es ihm, von Zeit zu Zeit mehr Geschwindigkeit anzumahnen und die deutsche Seite gegen die französische – und umgekehrt – auszuspielen. Wenn es zu sichtbaren leichten Problemen kam, konnte er dann gut den Moderator spielen und Wogen glätten. Letztlich ging es nur darum Standards zu vereinheitlichen und Qualitätskriterien zuerst zu definieren und dann zu garantieren.

      Im November durfte er zum Umzug Urlaub nehmen. Spaß war das keiner, überall stand etwas Zeug herum, zum Glück war das Haus ja wirklich riesig. Schober war als Handwerker gefordert. Lampen aufhängen ging ja noch, da konnte er auf der Leiter stehen. Schränke aufbauen war nicht schön, wenn man zu klein war, um Seitenteile und Oberteil eines Möbelstücks gleichzeitig zu halten. Aber es war notwendig, das selbst zu machen, er war nicht so liquide, um sich einen Umzugsservice zu leisten.

      Die Lösung mit dem Heimflug am Wochenende funktionierte gut. In den ersten Monaten, es war Winter, gab es einige Verspätungen, aber das ließ sich verschmerzen. Er hatte bald so viele Flüge, dass es für die lounge reichte, dort war Warten angenehm. Das Wetter war auch in Paris im Winter nicht besser als in Frankfurt. Er schaffte es, viele Sitzungen ans Wochenende anzulehnen. Dann musste er erst Dienstag oder Mittwoch wieder nach Paris oder flog schon am Donnerstag zurück. Das Appartement in Paris war nicht toll, nur toll teuer, aber das zahlte die Firma. Es war eine einfache Lösung, spät ins Büro zu kommen und lange zu bleiben. Es sah nach großer Arbeitsbereitschaft aus, aber erhatte ja am Abend nichts zu tun, außer alleine vor dem Fernseher zu sitzen.

      Besucher aus der Zentrale oder von den Standorten waren eine sehr willkommende Abwechslung. Als es Frühling wurde, konnte er sie auf Firmenkosten auf den bateaux-mouches bewirten. Das machte networking einfach, Schober lud einfach jeden ein, der Interesse zeigte und fragte. Es war eine gute Möglichkeit in der Firma bekannt zu werden und Bekannte zu machen.

      Da Paris ja eine Reise wert ist, gab es viel Besuch aus der eigenen Firma. Beim Standortchef traf er eines Tages Dr. Hohlenberger, Mitglied des Vorstandes. Esging in erster Linie darum, vor dem Mittagessen etwas small talk zu machen, das heißt die Zeit totzuschlagen, bis man endlich nach dem Rundgang durch den Betrieb zum Essen gehen konnte. Schober erkannte, er wurde nicht eingeladen, damit er sich vorstellen konnte, sondern weil es dem Chef darum ging, die Zeit zu füllen. Er begann von seinen Kundenkontakten in Frankreich zu berichten, viele hatte er ja nicht gehabt. Allerdings war ein ziemlich großer Konzern darunter, den Hohlenberger offenbar nicht kannte. Schober versuchte zu erklären: "Das ist ein breit aufgestellter Mischkonzern mit sehr unterschiedlichen Bereichen. Chemie, Metalle bis hin zur Bauindustrie. Deshalb ist das auch eine große Firma mit sehr vielen Mitarbeitern. Insgesamt arbeiten für die fast 20.000 Menschen."

      Hohlenberger war nicht wirklich beeindruckt: "Sie meinen, die zahlen 20.000 Gehälter, wie viele dort arbeiten, das weiß man doch nicht genau!" Und er lachte herzhaft über sein bonmot. Schober lachte pflichtschuldig mit und dachte: 'Also eines wird mir erneut klar, der Vorstand kocht wirklich nur normales Wasser. Was der kann, das kann ich auch!'

      Das Mittagessen verstärkte Schobers Eindruck. Hohlenberger war nach Paris gekommen, um 'nach dem Rechten zu sehen' und sich bestätigen zu lassen, alles sei in bester Ordnung. Von Dingen, die ernsthaft über die sightseeing tour hinausgingen, war nichts zu bemerken. 'Wer erst mal so hoch gekommen ist, hat es wirklich geschafft', dachte Schober. 'Der muss nur noch Ziele vorgeben und andere müssen sie erreichen. Dafür gibt's dann auch noch Bonus. Toll, da will ich hin!' Klar war ihm, auf dem Weg nach oben war es wichtig, positiv aufzufallen. Hohlenberger machte ein paar Bemerkungen über einen nicht näher bezeichnete Manager, der ihn 'enttäuscht' hätte.

      "Stellen Sie sich vor", sagte Hohlenberger zwischen Vorspeise und Hauptgang, "da sagt der mir doch glatt, das für seinen Bereich geplante Ergebnis sei nicht erreichbar und der vorgesehene Personalabbau nicht realistisch!" Er blickte um Zustimmung heischend in die Runde: "Es sieht leider so aus, als hätten wir mit dieser Beförderung eine weniger glückliche Entscheidung getroffen. Nun, vielleicht war die Aufgabe doch zu groß für ihn. Die Versetzung in ein anderes Geschäftsgebiet mit einer Aufbauarbeit in Übersee ist die sinnvolle Lösung dieses Problems." Die allgemeine Zustimmung der Runde war ihm sicher. Schober merkte, es war weitaus wichtiger, nicht negativ aufzufallen, als Erfolge vorzuweisen. Gute Ergebnisse sind normal, deshalb werden sie erwartet, wer schlechte Nachrichten bringt, muss dafür bestraft werden.

      Etwas anderes wurde ihm auch klar, es war falsch zu kreativ zu sein. Hohlenberger erklärte das während des Espresso: "Das sage ich Ihnen jetzt mal ganz im Vertrauen: Da hat doch vor kurzem der Kisch aus der Forschung einen Anspruch auf die Nachfolge von Heumann angedeutet. Keine Frage, erfolgreich als Forscher ist der Kisch schon, klasse Ideen, gute Patente. Aber der ist schon etwas durchgeknallt, der fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, trägt keine Krawatte, kein Jackett, sondern Pullover und vertritt esoterische Ideen. Den können wir uns doch nicht als Aushängeschild unserer Forschung leisten!" Er lachte empört auf: "Stellen sie sich so einen Typen mal als Vertreter unseres Unternehmens bei einer Veranstaltung des VCI vor. Nein, das geht gar nicht. Da kann ich mir eher den Prof. Krauth vorstellen,