Hans Ulrich Süss

Der Aufstieg des Karl Ernst Schober


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sie" – und deutet auf die dritte Nonne – "sich hineinsetzt!" Mit dem Einkäufer zusammen lachte Schober herzlich.

      Seeberger war erstaunt, sonst versuchte der Schober doch immer einen sehr kultivierten Eindruck zu machen, er dachte sich 'sieh mal an', und hielt sich selbst zurück.

      Bei der Weiterfahrt äußerte Schober Kritik: "Das war doch eigentlich ein ganz gutes Gespräch, richtig entspannt. Für mein Gefühl schon zu entspannt. Ich hätte mir von Ihnen mehr erwartet."

      Seeberger war überrascht: "Also diese Sorte Witze liegen mir nicht, da bleib ich lieber zurückhaltend."

      "Ach was", war Schobers Antwort, "das diente doch nur zur Auflockerung des Gesprächs! Ich mein' was anderes. Sie hätten dem Einkäufer Telch erzählen müssen, wie eng der Markt gerade jetzt ist und Entspannung nicht in Sicht ist. Wenn er das oft genug hört, schließt er leichter einen länger laufenden Kontrakt zu höheren Preisen ab!"

      Seeberger reagierte erstaunt: "Aber das ist doch nur eine Geschichte, die wir erzählen. In Wirklichkeit haben wir 'ne ganze Menge Reserve zum Aufbohren unserer Produktion. Die Konkurrenz hat das vermutlich auch."

      "Ich sehe schon, Sie haben eine ganze Menge zu lernen", antwortete Schober trocken. "Zwischen den Dingen, die wir wissen und denen, die wir erzählen, besteht doch ein großer Unterschied!"

      "Aber wir können doch den Kunden keine so großen Bären aufbinden?!" wunderte sich Seeberger. "Die Pressemitteilungen der Konzernzentrale über das sich toll entwickelnde Geschäft, unsere Investitionen in den Ausbau und die gestiegenen Erträge, alles das ist doch nicht nur für die Aktionäre, das liest ein kluger Einkäufer doch auch! Ein wenig übertreiben ist in Ordnung, aber komplett lügen führt doch wohl zu nichts. Ich hab doch ein Vertrauensverhältnis zu Telch aufgebaut, das riskier' ich, durch zu dickes Auftragen."

      "Genau das meine ich", erwiderte Schober, "Sie müssen dem Einkäufer klar machen, das sind nur Pressemitteilungen zur Beruhigung der Aktionäre. In Wirklichkeit brauchen wir dringend bessere Preise! Der muss Ihnen das glauben, wenn ihr Verhältnis wirklich gut ist." Das war zwar nicht logisch, weil es wie die Quadratur des Kreises klang, aber Dank seiner Position als Vorgesetzter fand es Schober völlig normal, die Realität nach Bedarf zu drehen. Seeberger war irritiert und nahm sich vor, möglichst wenig mit Schober zu reisen. Der würde ihm seine Kunden vergraulen mit diesen platten Methoden. Dumm war nur, er selbst hatte seinem neuen Chef den Tipp gegeben, hier Chef zu werden. Sollte es ein Fehler gewesen sein? Das hatte er nun davon!

      Schobers nächster Termin diente dem Kennenlernen der zur Unterstützung des Vertriebs aufgebauten anwendungstechnischen Abteilung. Deren Aufgabe war es, durch gezielte Beratung eines Kunden den Verkauf zu unterstützen, oder Märkte für neue Produkte und neue Anwendungen für alte Produkte zu schaffen. Daneben sollte durch die Beratung eine Kundenbindung entstehen, die den Absatz langfristig sicherte. Chef der Abteilung war Dr. Funzelmaier. Der war auch schon lange im Unternehmen und hatte sich für sein Amt als Dienstältester qualifiziert. Schober kam schon früh, am Nachmittag sollte der jour fixé stattfinden, eine Diskussion zwischen Technikern und Kaufleuten zum Abgleich von Informationen über en Markt und Kunden zur Planung weiterer Aktivitäten. Daher bot es sich an, vorher mit dem Chef über dessen Sicht der Dinge zu reden.

      Schober begann mit etwas small talk, er erzählte knapp von seiner Herfahrt, der vollen Autobahn, aber einer dennoch guten Fahrzeit, weil ein schnelles Auto und ein guter Fahrer sich toll ergänzten! Funzelmaier sprang darauf an, er meinte: "Ein gutes, schnelles Auto hab ich auch. Ich fahre jetzt den Siebener mit der Drei-Liter-Maschine, die hat jetzt noch mehr PS." Schober lehnte sich interessiert vor: "Was bringt der denn auf der Autobahn?" Funzelmaier fragte irritiert: "Wie meinen Sie das?"

      "Ja, ganz einfach, regelt der bei über 230 ab, oder werden Sie noch schneller?"

      "Ach so, nein", meinte Funzelmaier, "ich fahre eigentlich nie über 140, wie schnell der Wagen in der Spitze ist, weiß ich nicht."

      Schober war enttäuscht, er dachte, jetzt fährt der alte Typ so 'n tolles Auto und benutzt es nicht, kaum zu glauben. Er ging zum geschäftlichen Teil über. "Dann berichten Sie mir mal, wie das bei Ihnen läuft."

      Er erwartete eine Erläuterung der Aktivitäten bei den Kunden und neue Ansatzpunkte zur gemeinsamen Entwicklung des Chemikalienabsatzes. Das war falsch. Zu Schobers Überraschung war Funzelmaier immer noch intensiv mit dem TOP Programm beschäftigt. Die Liste der unterschiedlichen Aufgaben und Aktivitäten, die seine Mitarbeiter zu bewältigen hatten, war in einer großen Excel-Tabelle komprimiert. Selbstverständlich hatte Funzelmaiers Sekretärin diese auf DIN A 3 ausdrucken müssen. Funzel hatte die einzelnen Seiten persönlich zusammengeklebt. Jetzt bedeckte die komplette Tabelle die Tische des Besprechungszimmers wie eine Tischdecke, sie hing weit über alle vier Seiten hinaus. Funzelmaiers Strategie zum Umgang mit der geforderten Personaleinsparung war Schobers Vorgehen diametral entgegengesetzt. Nicht schnell reagieren, sondern intensiv auskosten, das war der Funzelmaier-Ansatz. Er liebte das TOP-Programm, schon weil es ihm erlaubte, den Umgang mit der Welt draußen zu vermeiden. Warum sollte er zu Kunden fahren und sich überraschenden Fragen stellen oder unerwartete, weitere Aufgaben erhalten? Er konnte sich intern mit sehr konkreten Aufgaben sehr gut intensiv beschäftigen! Das war ebenso wichtig, wie das Geschäft draußen.

      "Sie müssen sich vorstellen, wie einfach es jetzt ist, nachzuvollziehen, wie vielfältig unsere Aufgaben sind!" meinte Funzelmaier mit Nachdruck. "Sehen Sie mal hier, in diesem großen Bereich, dort nur sind unsere Aktionen für die Waschmittelindustrie summiert. Es handelt sich dabei um eine Vielzahl äußerst unterschiedlicher Themen, die wir jederzeit aktuell für die Hersteller von Waschmitteln, unsere Kunden, parat haben müssen!"

      Schober war überrascht: "Die großen soapers brauchen uns zur Entwicklung ihrer Waschmittel? Das machen die doch sicherlich jeder für sich? Dort gibt es doch auch eine Produkt und Marktentwicklung?"

      "Das verstehen Sie nicht ganz richtig", Funzelmaier begann zu dozieren, erfreut über die Möglichkeit das schöne Thema auszubreiten. Er blickte auf einen imaginären Punkt an der Decke oberhalb des Fensters und versank in seiner Rede: "Da gibt es eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Aspekten. Wir beleuchten zum Beispiel das Lagerverhalten unserer Produkte. Sehr interessante Details kann ich Ihnen da zeigen! Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob sie ihren Stabilitätstest bei 96 °C oder bei 80 °C durchführen. Unsere Langzeit-Lagerversuche zeigen eine beträchtliche Abhängigkeit von der Feuchtigkeit, deshalb benötigen wir auch dringend einen weiteren Klimaraum."

      Schober versuchte zu folgen, aber das war nicht wirklich möglich. Funzelmaier sprang von Detail zu Detail. Seine monotone Diktion machte es schwierig zuzuhören. Schober ertappte sich dabei, an etwas komplett anderes zu denken. Elsbeth hatte irgendetwas über Tischdecke mit Flecken erzählt, was war das noch? Schober erschrak, er hatte den dünnen Faden der Gedankengänge verloren. Er blickt auf Funzelmaier. Der aber war immer noch auf die Decke fixiert und hatte nicht beachtet, ob Schober zuhörte oder nicht. War das ein Mann für die Kundenbetreuung, bei der zuhören zählt?

      Schober räusperte sich. Keine Reaktion, Funzelmaier redete. Schober begann: "Also, ich wollte ...." Funzelmaier war aber noch nicht fertig: "Lassen Sie mich das gerade noch mal zusammenfassen", fuhr er fort, als wäre nichts gewesen, "es ist sehr wichtig für unsere weitere Zusammenarbeit mit den soapers eine komplette Serie von mindestens sechs Waschmaschinen synchron waschen zu lassen. Nur dann können wir wertvolle Daten zur Entfernung der standardisierten Anschmutzungen gewinnen. Natürlich müssen wir diese Anlage auch kontinuierlich betreiben und dazu brauchen wir mehr Mitarbeiter. Dieser geplante Mitarbeiterabbau ist deshalb einfach nicht möglich, Sie verstehen?"

      Schober verstand nicht wirklich, nur dass Funzelmaier eine nicht billige Investition mit einem nicht verständlichen Ziel durchsetzen wollte, die im Gegensatz zu den Plänen des Vorstandes, mehr Personal erforderte. Da war Vorsicht angebracht, sonst saß er im Nu zwischen zwei Stühlen. "Wie haben Sie denn vor, diese Aufstockung des Personals vor dem Hintergrund des jüngsten Abbaus durch das TOP-Programm zu rechtfertigen?" fragte er.

      "Wie ich Ihnen ja geschildert habe", erwiderte Funzelmaier, "geht das überhaupt nicht. Unsere Pläne sehen eine Aufstockung des Personals vor. Deshalb haben