Hans Ulrich Süss

Der Aufstieg des Karl Ernst Schober


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sie befürchteten entlassen zu werden. Für mehrere Wochen war an konsequente Arbeit nicht zu denken, da extrem viel Zeit mit Planspielen und der Diskussion von Gerüchten verbracht wurde. Es gelang Entlassungen zu vermeiden, andererseits wurden Mitarbeiter auf unbeliebte Positionen versetzt und qualifizierte Kollegen endeten auf Positionen ohne jede Herausforderung. Auf Kunden bezogene Aktivitäten schrumpften gewaltig zu Gunsten der Versetzung zu interner Verwaltungstätigkeit, deren Sinn sich nicht jedem erschloss.

      Sauerstein meinte: "Was wir jetzt dringender denn je zuvor brauchen, sind Seminare zur Motivation. Fast alle der Versetzten mögen ihre neue Arbeit nicht." Aber selbstverständlich war in Zeiten des Sparens dafür kein Geld übrig. Der positive Teil der Problemlösung: auch Funzelmaiers Tage waren gezählt, auch er würde in den Vorruhestand gehen müssen.

      Schober konnte nach drei Wochen berichten: "Alle Vorgaben des Vorstandes wurden erfüllt!" Das hörte sich gut an, der Macher hatte zusätzliches Profil gewonnen! Funzelmaier trauerte seiner Waschmaschinenbatterie nach. Auf Intervention Lübmüllers bei Unterholzer 'wir müssen ihm unsere Wertschätzung zeigen' wurde zum Trost Funzelmaiers überraschend die Investition genehmigt und die Maschinen installiert. Mangels Mitarbeitern war der geplante Betrieb zwar nicht möglich, das hinderte Funzelmaier nicht daran, sich über seine schöne, neue Anlage zu freuen. Sechs Maschinen in einer sauber ausgerichteten Reihe auf einem aus Edelstahl geschweißten Rahmen, dazu die Wasserversorgung mit einstellbarer Wasserhärte, die Trockner und die Gewebeproben! Es sah so schön aus! Da war es fast schon zu verschmerzen, dass man für Versuchsreihen kein Personal hatte. Dass er das noch erleben dürfte!

      Funzelmaier sah in der Installation einen Vertrauensbeweis, der ihn weitere Belohnungen erwarten ließ. Bei einem Gespräch mit seinen Mitarbeitern äußerte er, die Augen, wie so oft, auf den Punkt über dem Fenster fixiert: "Wenn mir der Lübmüller noch was Gutes tun möchte, dann ernennt er mich vor dem Ruhestand noch zum Direktor! Das wäre dann der krönende Abschluss meiner Karriere." Sauerstein und Dreher sahen sich ungläubig an, worauf baute Funzelmaier diese Erwartung auf eine Belohnung? Wird man für 'nichts tun' belohnt? Die Beförderung unterblieb, Funzelmaier war ziemlich enttäuscht.

      In seinen letzten Arbeitsmonaten hielt Funzelmaier sich mehr den je aus dem laufenden Geschäft heraus. Der Umgang mit Kunden war eine Belastung für seine Nerven. Kunden kamen mit völlig unerwarteten Fragen und Ideen, da kultivierte er lieber den internen Ablauf der Arbeitsprozesse. Nur die Sitzungen zur Information seiner Gruppenleiter blieben ein Traum für Funzelmaier und seiner Leidenschaft für Akten. Er sammelte begeistert Papiere. Ein Abteilungstreffen fand nur statt, wenn er mit einem Berg Akten unter dem Arm antreten konnte. Dieser Berg wurde dann abgearbeitet. Das konnte dauern und führte nicht immer zu zeitnaher Information. Es kam schon vor, dass er nach dem Verlesen einer Einladung zu einer internen Veranstaltung ergänzen musste: "Ach, das wäre schon letzte Woche gewesen ...."

      Da Funzelmaier Diskussionen nicht liebte, er war rhetorisch nicht fit, versuchte er Monologe zu halten und durch Fixierung seines Lieblingspunktes – der Zimmerdecke oberhalb des Fensters – jeden Augenkontakt zu umgehen. Nach einiger Zeit war Sauerstein so weit, es als Notwehr anzusehen, einfach in den Monolog hineinzureden. Gewiss, es war unhöflich, aber es schien die einzige Option, um zu Wort zu kommen. Das geschah auch bei der Aktion 'Schneeräumen'. Denn die Einsparungen beim Personal hatten zum Abbau der Position des Hausmeisters geführt. Das hatte Konsequenzen.

      Nach etwa anderthalb Stunden langatmiger 'Besprechung' verkündigte Funzelmaier einen Beschluss des nächsthöheren Gremiums, das der Abteilungsleiter. "Dieses Thema ist wichtig", war seine Einleitung, "wie Sie wissen, naht der Winter ...."

      "Hört, hört", Sauerstein fiel Funzelmaier ins Wort, er lächelte unschuldig und sagte: "woher wissen wir das?" Nach so viel Monolog war es Zeit mitzureden.

      Funzelmaier ließ sich nicht stören: "Der Abbau der Hausmeisterstelle wird in diesem Winter bei Schneefall zu einem gravierenden Problem führen. Schnee wird nicht mehr automatisch vom Zugangsweg zu unserem Gebäude entfernt. Die Hofkolonne des Standortes reinigt nur die Straße, das letzte Sück des Fußwegs bleibt ungeräumt! Deshalb war es uns Abteilungsleitern ein Anliegen, dafür eine Lösung zu finden. Wir wollen schließlich keine Arbeitsunfälle durch Schneeglätte. Die Verantwortung für das Schneeräumen in der Zeit von Oktober bis April wird auf alle Abteilungen des Gebäudes gleichmäßig verteilt. Unser junge Kollege Dr. Hellbach hat dazu eine sehr schöne Excel-Tabelle erstellt."

      Sauerstein stieß seinen Nachbarn Dreher an und flüsterte: "Wetten Ewald, der kommt wieder mit einem DIN A 3-Ausdruck der Tabelle und macht handschriftliche Einträge?" Die Wette wurde von Dreher glatt abgelehnt, es war zu wahrscheinlich.

      Funzelmaier ließ sich nicht stören, er fuhr fort: "Unsere Abteilung ist insgesamt für vier Winterwochen verantwortlich, das bedeutet jeder von Ihnen" – er sah tatsächlich kurz auf und überflog seine Mitarbeiter – "hat für eine Woche Sorge zu tragen, dass seine Gruppe den Schnee vom Fußweg entfernt."

      "Wie soll das denn ablaufen?" fragte Sauerstein.

      Funzelmaier war vorbereitet: "Der Dr. Hellbach hat zwei Besen und eine Schneeschaufel besorgt, die sollen dann von Abteilung zu gehen. Wir haben das alles schon im Detail diskutiert."

      Sauerstein stieß Dreher an und meinte leise: "Da haben die hohen Chefs sich wieder ausführlich und intensiv mit extrem relevanten Dingen beschäftigt."

      Dreher zuckte die Schultern und flüsterte zurück: "Das sehe ich positiv. Solange stören sie wenigstens unsere Bearbeitung der Kundenthemen nicht." Laut fragte er: "Wer soll denn bitte den Schnee wegräumen? Gibt es dazu Vorgaben?"

      Jetzt geriet Funzelmaiers Selbstsicherheit etwas ins Wanken. Er druckste: "So genau haben wir dazu keine Vorgaben, das überlassen wir Ihnen. Aber Sie können ja die Spülfrauen dafür heranziehen, die kommen ja immer sehr früh ...."

      "Das ist wieder typisch", Sauerstein wurde ärgerlich, "Immer alle Zusatzlast auf der untersten Stufe noch oben drauf packen. Der liebe Herr Dr. Holic hat unserer Hilfskraft, die alles, vom Kopieren zum Postverteilen, Chemikalienholen und Spülen erledigt, schon zusätzlich noch das Blumengießen im gesamten Treppenhaus als Erbschaft des eliminierten Hausmeisters aufs Auge gedrückt. Sehr elegant. Da schippe ich den Schnee schon lieber selbst."

      Funzelmaier war pikiert. "Das bleibt selbstverständlich Ihnen überlassen, wie Sie das in Ihrer Gruppe regeln. Von mir aus haben Sie da freie Hand. Weil am Freitag viele Mitarbeiter die flexible Arbeitszeit ausnutzen, soll die Übergabe der Schaufel und Besen jeweils freitags vor 15 Uhr erfolgen".

      Sauerstein versuchte seinen Protest artikulieren, indem er die Aktion ins Lächerliche zog: "Muss dabei 'ne Hymne gespielt werden oder reicht stramm stehen? Wo stellen wir diese wichtigen Geräte denn ab?"

      "Da bieten sich doch die Versorgungsschächte in den Fluren an", erwiderte Funzelmaier, ohne den Affront zu kommentieren.

      "Na, hoffentlich haben die Teile keinen Holzstiel, sonst stellt sie die Feuerwehr wegen Verletzung der Brandschutz-Vorgaben gleich wieder in den Gang zurück!" meinte Dreher in das allgemeine Gemurmel hinein. Funzelmaier versuchte das Gesicht zu wahren und meinte: "Ich gehe davon aus, dass der Schneeschieber aus Metall ist."

      Das war das passende Stichwort für Sauerstein: "Und auch eiserne Besen kehren ja bekanntlich besonders gut, da ist feuerpolizeilich sicher alles in Ordnung."

      Funzelmaier versuchte nicht mehr die Situation zu retten, er verkündete den möglich nächsten Termin, packte seinen Aktenstapel und verschwand mit dem gemurmelten Halbsatz: "Ich hab' auch noch einen wichtigen Termin ..." aus dem Besprechungszimmer.

      Es wurde ein milder Winter. Sauerstein räumte mit seinem Kollegen Dreher nur einmal Schnee, den Regeln entsprechend vor sieben Uhr. Er verfasst darüber einen Bericht an die Hauszeitschrift und lobte darin die generellen Anstrengungen des Abteilungskollektivs zur Arbeitssicherheit. Der Bericht gefiel der Redaktion nicht, sie verzichtete auf eine Publikation. Wahrscheinlich war die Zeit noch nicht reif für die Verwendung des Wortes 'Kollektiv'. Es weckte latente kapitalistische Vorurteile.

      Schober hörte von der Aktion Schneeräumen und Funzelmaiers Verhalten. Zum Glück hab' ich da nichts zu