Günter Holschbach

Raumstation ISS


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– Rayhn – Essen“, rief Lauren von ihrem Muskelaufbautrainer.

      „Nein, ich weiß nicht, was wir heute im Fach haben: Frag unten mal Branden. Der verrät manchmal, welche Speise uns als nächste erwartet. Ist dir das so wichtig?“

      „Naja, ein bisschen schon. Vielleicht kann ich mich darauf freuen – oder nicht.“

      „Dann lass es eine persönliche Überraschung bleiben.

      „Nein, ich will es wissen“, kam es etwas trotzig zurück.

      Lauren schnallte sich die Haltegurte ab. Das Trainingspensum hatte sie zunächst einmal absolviert. Sie stieß sich sanft ab und schwebte in der völligen Schwerelosigkeit hinüber zu ihrem Headset, drückte die Sprechtaste und hauchte: „Hallo Branden, kannst du mir ein Geheimnis verraten?“

      „Lauren Rolstadt“, rief Branden aus dem Kontrollzentrum Houston erfreut in ihrem Kopfhörer, „dir verrat ich jedes Geheimnis!“

      „Branden, welches Mittagessen wird mich heute erwarten?“

      „Als Belohnung für dein soeben absolviertes Training bekommst du Huhn mit Curry und Reis.“

      „Naja, das hatten wir bereits vor einer Woche“, entgegnete Lauren jetzt leicht muffig und mit gar nicht mehr erotisch hauchender Stimme.

      „Lauren, soll ich dir ein Shuttle hochschicken mit chinesischen Gerichten, deinen Lieblingsspeisen?“ „Ja“, rief Lauren, „tu es!“

      „Wie bitte?“, schaltete sich Rayhn jetzt ein, „was geht denn bei euch ab? Schalt mal auf Lautsprecher. Ich kann leider nur hören, was du sagst.“

      „Ha, das Geheimnis verrat ich dir nicht“, rief Lauren mit

      verschmitzter Miene.

      Branden meldete sich wieder in Laurens Kopfhörer: „Hallo Lauren“, war jetzt seine dienstliche Stimme vernehmbar, „du kannst mir bei dieser Gelegenheit zunächst Alexej und anschließend John geben. Ich brauche von beiden einige Informationen.“

      „Aye Sire“, sagte auch Lauren mit übertrieben dienstlicher Stimme, „ich werde beide suchen.“

      „Hallo John, hallo Alexej, hier ist Branden am Rohr. Er braucht einige Infos von euch. Bitte übernehmt.“

      Alexej Droski meldete sich aus dem russischen Modul mit seinem merkwürdigen russischen Akzent auf der Gegensprechanlage.

      „Eine Rohr vierhundert Kilometern lang? Sehr interessant“, rief Alexej über die Sprechanlage. „Ich übernehmen.“

      „Ich muss einige Auswertungen vornehmen“, meinte Lauren und schwebte davon.

      Rayhn holte sich auf seinen Bildschirm eine Schaltkreisdarstellung. Irgendwo musste ihm ein Fehler unterlaufen sein. Er studierte nochmals eingehend das Schaltbild auf dem Bildschirm und verglich es mit seinen Ausführungen.

      „Hallo Rayhn“, kam die dunkle, unverwechselbare Stimme Alexejs aus der Sprechanlage, „ist John bei dir? Hier sein nochmal Branden. Er muss sprechen mit John.“

      „Nein“, sagte Rayhn, „ich habe ihn ungefähr seit zwei Stunden nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich hat er sich schlafen gelegt.“

      „Okay“, meinte Alexej, „ich melden an Branden.“

      Es begann nun zu dämmern in der ISS. Die Raumstation flog der sonnenabgewandten Seite der Erde entgegen. Die Lichtsensoren reagierten und schalteten automatisch die Beleuchtung in den einzelnen Modulen und im Gemeinschaftsraum ein, sofern es von der vorher vorgenommenen manuellen Einstellung zugelassen wurde.

      Rayhn flog das zweite Mal mit auf der Raumstation. Als Kommandant verfügte er über Entscheidungsbefugnisse. Rayhn bemühte sich, Entscheidungen weitgehend demokratisch vorzunehmen, wenn sie sich im Rahmen der Bestimmungen bewegten. Lag eine Entscheidung außerhalb der festgelegten Bestimmungen für diese Raummission, so musste Rayhn entscheiden. Seine Entscheidungsbefugnisse waren wiederum eingekleidet in einen Entscheidungsrahmen. Musste auch dieser Entscheidungsrahmen verlassen werden, war vorher umgehend die Bodenstation zu informieren.

      Nach dem Mittagessen ruhte Rayhn ein wenig in seinem Modul. Er schnallte sich an und schlief dann bald ein.

      Drei Uhr Bordzeit. Rayhn begab sich wieder an seinen Arbeitsplatz. Dieser recht einfache Schaltplan ließ ihm keine Ruhe. Außerdem sollte John die Faser in den Kabelkanal stecken. Wo war er eigentlich? Wenn er sich schlafen gelegt hatte, so müsste seine Ruhezeit bereits längst beendet sein. Litt er erneut an seiner Übelkeit? Die Tabletten hatte er jeweils griffbereit. Rayhn wurde unruhig und rief John über die Bordanlage. „Hallo John. Hast du endlich ausgeschlafen?“

      Keine Antwort.

      „John, was ist mit dir?“

      Wieder keine Reaktion.

      Rayhn löste sich von seinem Haltegurt, schwebte von seinem Arbeitsplatz quer durch die schmale Verbindungsröhre und steuerte das Modul von John an.

      „Hallo John, schläfst du?“

      Keine Antwort.

      „John, geht es dir nicht gut?“

      Nichts.

      „John, ich öffne jetzt den Verschluss!“ Nichts regte sich in Johns engem Modul. Rayhn löste die beiden Klettverschlüsse, schob die Falttür zur Seite und schaute hinein. Das Modul war leer.

      Da wird er sich wohl bei Lauren aufhalten. Rayhn schwebte zum nahe gelegenen Modul von Lauren. Sie hatte die Falttür offen stehen. An der Seite hatte sie sich mit ihrem Gurt eingehakt und studierte in einem Buch.

      „Hallo Rayhn, welch hoher Besuch“, spöttelte sie ein wenig.

      „Hallo Lauren, entschuldige die unvorhergesehene Störung. Ich suche John.“

      „Den habe ich seit Stunden nicht mehr gesehen. Wenn du schon hier suchst, dann kann ich davon ausgehen, dass er sich nicht in seinem Modul aufhält.“ „Genauso ist es, Lauren.“

      „Ah, du brauchst ihn also immer noch, um dieses Drähtchen in den Kabelkanal zu drücken. Auf meine zarten Händchen willst du ja leider verzichten. Lass es mich mal versuchen.“ Sie schaute Rayhn dabei mit ihren dunklen Augen an.

      „Wenn du dir ganz große Mühe gibst, könntest du mir bestimmt eine große Hilfe sein und das Drähtchen in den Kanal einfügen. Eigentlich bezweifle ich das auch nicht. Wenn du ein wenig Geduld aufbringst, wirst du das bestimmt schaffen.“

      „Aha, versöhnliche Worte. Ich helfe dir gerne.“ Lauren legte wieder ein etwas erotisches Timbre in ihre Stimme und lächelte Rayhn geheimnisvoll an.

      „Lauren, bitte lass das. Du weißt, der Feind könnte mithören.“ Damit meinte Rayhn die Bodenzentrale, die sich jederzeit einschalten und hören konnte, was gesprochen wurde. Fairerweise, wurden, so hofften jedenfalls Rayhn und alle anderen Besatzungsmitglieder auch, das Einschalten der Mikros und das Mithören von der Bodenstation vorher angekündigt.

      „Schau mal bei Alexej vorbei. Dort wird er bestimmt sein.“ Ihre Stimme klang leicht unterkühlt.

      „Bitte sei mir nicht böse. Ich bin nur etwas unruhig wegen John, weil er zu Beginn unseres Aufenthalts hier oben einige Tage seine Übelkeit hatte.“

      „Schon gut“, lächelte nun Lauren, „das mit der Übelkeit ist längst vorbei. Da fällt mir ein, dass John gestern erwähnt hat, dass er im Lagerraum nach einer Plastikschale oder so was Ähnlichem suchen wolle.“

      „Also gut, ich ‚spaziere erst mal zu Alexej, obwohl ich weiß, dass der seit Tagen fast verbissen an seinem Projekt arbeitet und vermutlich für Besuch keine Zeit hat.“

      Rayhn schwebte in Richtung russisches Modul und rief einige Meter vorher: „Hallo Alexej, ist John bei dir?“

      „Nein, ich ihn haben vorher gesehen, heute Morgen.“

      „Danke, Alexej, ich werde auch