Günter Holschbach

Raumstation ISS


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versammelt hatten, verließ Frank den Arbeitsplatz von Branden und eilte dorthin. Nachdem Frank den Raum betreten hatte, schauten ihn alle voller Erwartung an. Für die meisten unter ihnen war es zum ersten Mal, dass sie einen „echten“ Alarm erlebten. Kurz und präzise berichtete Frank über die Vorkommnisse der letzten Stunden. Zwei der Techniker konnten ihr Lachen nicht unterdrücken. Einer meinte grinsend, die drei da oben sollten mal im Kühlschrank nachsehen. Vielleicht hätte sich dort John versteckt und bekäme von innen die Tür nicht mehr auf. Frank herrschte ihn an: „Sie heißen?“

      „Hank Melone, Sir“, antwortete der, sichtlich irritiert über die Reaktion seines Chefs.

      „Mr Melone, das ist eine verdammt ernste Sache. Jedenfalls im Moment. Ich habe Sie nicht aus Jux und Tollerei aus den Betten holen lassen. Bestimmt wird sich die Situation auf eine, so hoffe ich sehr, harmlose Weise aufklären...“ Frank sprach jetzt entschlossen und autoritär. Etwas leiser fügte er hinzu: „Hoffentlich können wir anschließend darüber lachen. Ich hoffe es.“

      Dann erteilte er seine Anweisungen: „Jedem von Ihnen sind bestimmte Bereiche der ISS bestens vertraut. Sie wissen, welche Gegenstände sich wo befinden, welche Einbauten an welchen Stellen sind und so weiter. Ich erwarte, dass die ISS systematisch an den Bildschirmen visuell durchsucht wird. Jeder Raum, in dem sich ein

      Mensch auch nur halbwegs befinden oder aufhalten könnte, wird unter die Lupe genommen. Sie geben die gefundenen Möglichkeiten an Branden weiter. Der wird anschließend die von Ihnen angegebenen Bereiche der ISS auf seinem Bildschirm rot markieren. Dann gibt er die markierte Stelle weiter an die Station. Alexej, Lauren und Rayhn werden den auf diese Weise gekennzeichneten Bereich durchsuchen und den Vollzug zurückmelden. Verläuft die Suche für den Bereich negativ, so wird er nach der Vollzugsmeldung von Rayhn grün gekennzeichnet. Nach diesem Schema gehen wir Schritt für Schritt weiter. Ich erwarte von Ihnen präzise Arbeit. Und noch etwas. Seit der Alarmmeldung unterstehen Sie ausnahmslos alle der absoluten Schweigepflicht. Es wird ohne mein Wissen kein Gespräch nach draußen gehen; weder über Festnetz noch über Handy. Vorkehrungen sind bereits getroffen. Jeder Versuch wird registriert und sofort auf einem meiner Monitore angezeigt, auch versuchte Handygespräche. Diese und weitere Maßnahmen in der jetzigen Ausnahmesituation sind Ihnen bekannt. Ich möchte nur darauf hinweisen. Falls jemand nicht die Gelegenheit hatte, seine Familie oder Angehörige zu informieren, derjenige kann das gleich meiner Sekretärin Mrs Winters melden, die in Kürze hier sein wird. Sie und nur sie hat die Ausnahmegenehmigung, nach draußen zu telefonieren. Mrs Winters kann dann Ihre Angehörigen entsprechend verständigen. Alles klar? Und jetzt an die Arbeit.“

      Frank ging in sein großräumiges Büro, schaltete die Deckenbeleuchtung und anschließend die beiden Monitore auf seinem Schreibtisch an. Mit einem Taschentuch wischte

      er sich den Schweiß von der Stirn. Auf einen Monitor holte er sich das Synchronbild von Brandens Bildschirm. Frank konnte so den Fortschritt der Sucharbeiten mitverfolgen.

      Er zog seine Jacke aus und hängte sie in den Garderobenschrank, setzte sich anschließend in seinen ledernen, luftgepolsterten Schreibtischsessel und schloss die Augen. Das bisher Erlebte erschien ihm unrealistisch und fremd. Mit tausend technischen Problemen hatten er und seine Leute sich herumschlagen müssen. Organisatorische Aufgaben, die als unmöglich eingestuft wurden, fanden letztlich eine Lösung. Dass er mit einer Lage konfrontiert wurde, in der ein Mensch auf der ISS quasi verschwinden würde – daran hatte niemand auch nur im Traum gedacht. John musste gefunden werden, bevor die Situation Wellen schlagen würde und vor allem, bevor die Russen diese Aktion ins Lächerliche ziehen konnten. Um sechs Uhr würden sich die russischen Kollegen bei Alexej melden. Das waren noch knapp vier Stunden. Hoffentlich ruft Alexej seine Bodenstation nicht früher an, überlegte Frank.

      Leise öffnete sich die Bürotür. Ashley Winters betrat mit einer Tasse Kaffee den Raum.

      Frank öffnete die Augen und schaute kurz auf. Selbst in dieser Nachtstunde sah sie mit ihrer schlanken Figur, der geschäftsmäßigen und schicken Kleidung und ihrem jugendlichem Lächeln so aus, als hätte sie soeben zu Beginn der normalen Bürozeit den Raum betreten. Mitte dreißig war sie und Frank verließ sich auf seine Sekretärin hundertprozentig.

      „Ich komme gerade von Branden und bin bereits bestens informiert“, sagte sie. „Guten Morgen, Frank. Lassen Sie sich nicht stören. Ich dachte, eine Tasse Kaffee kann nur gut tun…“

      „Vielen Dank, Ashley. Sie wissen, dass keine Anrufe nach draußen gehen dürfen außer über Sie?“ „Ja..“

      „Danke, dass Sie so schnell hierhergekommen sind...“

      „Das ist selbstverständlich“, meinte sie halblaut und ging zurück in ihr Büro.

      Auf seinem Monitor erkannte Frank, dass sich bereits ein roter Bereich grün gefärbt hatte. Und wenn sie John nicht finden, überlegte er, was dann? Das kann nicht sein. Das widerspricht jeder Logik und Vernunft, beruhigte er sich selbst. Aber je mehr grüne Bereiche er in den folgenden Stunden auf seinem Bildschirm sah, umso mehr stieg seine Unruhe.

      Frank stand von seinem Schreibtisch auf, um sich bei Branden vor Ort über den weiteren Ablauf zu informieren. In Ashleys Büro stritt ein Techniker lautstark mit ihr. Er bestand auf seinem freiheitlichen Recht, mit zu Hause telefonieren zu dürfen. Frank blieb stehen.

      „Hank Melone! Hatten wir nicht eben bereits das Vergnügen, uns kennen zu lernen?“, frage er scharf.

      Melone verstummte und schaute betreten zu Seite.

      „Mr Melone, in dem Arbeitsvertrag, den Sie hier abgeschlossen haben, wurde von Ihnen und allen anderen Ihrer Kollegen die Klausel unterschrieben, dass bei Alarmeinsätzen Sonderregelungen gelten, die von Vorgesetzten je nach Situation mündlich ausgesprochen werden können und sofort in Kraft treten. Und da ich nun mal Ihr Vorgesetzter bin, habe ich in dieser Situation die mündliche Anweisung erteilt, dass absolut keine

      Telefongespräche nach draußen geführt werden dürfen. Diese Anweisung gilt. Es wird nicht telefoniert außer von Mrs Winters!“

      Der Techniker ging mit rotem Kopf hinaus.

      Mit schnellen Schritten eilte Frank den hell erleuchteten langen Gang hinunter bis zum Aufzug. Der brachte ihn einige Stockwerke tiefer in die Ebene des Kontrollsaals. Er ging zu Branden, dem mittlerweile von drei weiteren Ingenieuren assistiert wurde. Branden sah angespannt und erschöpft aus. Ständig bekam er auf seinen Bildschirm Nachrichten, die neue Suchhinweise von den in ihren Büros arbeitenden Technikern enthielten. Die Ingenieure rechts und links neben Branden hatten auf ihren Bildschirmen Darstellungen der ISS. Rechts der Mitarbeiter schaute sich den jeweils neu gemeldeten Bereich der Raumstation an und kennzeichnete ihn rot. Branden wartete ab, bis das nächste Ergebnis der Suchmeldung von Rayhn durchgegeben wurde und sagte den folgenden Bereich an. Der Ingenieur links neben Branden hörte gleichzeitig das Suchergebnis und markierte sofort auf der Bildschirmdarstellung mit dem Cursor den Ergebnisbereich grün. Der dritte Ingenieur stand ständig zur Verfügung, wenn von der ISS Rückfragen kamen, so zum Beispiel wie ein Gegenstand sinnvoll aus der Verankerung zu lösen und wieder zu befestigen sei. Dreiviertel der ISS war bereits grün markiert.

      „Hallo Branden, möchten Sie abgelöst werden?“, fragte Frank.

      „Nein, ich ziehe das durch“, antwortete Branden und gab bereits wieder Meldungen weiter an die ISS.

      Frank schaut auf seine Uhr. 2:30 Uhr. „Wie lange brauchen wir?“

      „Ich denke, eine knappe Stunde“, antwortete Branden und bekam gleichzeitig wieder eine Meldung von Rayhn aus der Raumstation.

      Es war nicht die Art von Frank, nervös zu werden. Allmählich wurde er mehr als das. Er ging zurück in sein Büro. Ashley schaute ihren Chef besorgt an, als er an ihr vorbeieilte.

      „Nichts?“, frage sie.

      „Nichts“, antwortete er knapp. Er ließ die Tür zum Vorzimmerbüro offen und setzte sich an seinen Schreibtisch.

      Noch eine knappe Stunde hatten sie Zeit – und wenn bis dahin John nicht gefunden wurde? Dann musste er den Alarm ausweiten. Die gesamten Notfallmaßnahmen mussten