Günter Holschbach

Raumstation ISS


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Hemd vom Vortag an, nahm in Eile den Anzug vom Bügel, der am äußeren Kleiderschrankhaken hing und schlüpfte in Hose und Jacke.

      Leise öffnete sich die Schlafzimmertür und der sechsjährige Luca blinzelte ihm verschlafen entgegen. „Papa, was ist das für ein Krach hier?“

      „Papa hat zum ersten Mal einen Alarmeinsatz“, sagte seine Mutter. „Es wird wohl hoffentlich nichts Schlimmes sein...“

      „Musst du jetzt zur Raumstation fliegen?“, fragte Luca nun sehr neugierig.

      „Nein, bestimmt nicht. Da ist wohl irgendetwas nicht in Ordnung. Vielleicht arbeitet ein System nicht einwandfrei“, beschwichtigte Frank, bestimmt bin ich heute Mittag zurück und wir werden dann das ganze Wochenende über campen. Nun geh wieder schlafen.“

      „Na gut“, antwortete Luca „du hast es aber versprochen, dass wir campen.“

      Frank hatte sich zwischenzeitlich fertig angekleidet. Er gab Susan einen Kuss. „Ich werde bald zurück sein...“

      „Hoffentlich“, meinte Susan nachdenklich.

      Frank lief die wenigen Stufen zur Garage hinunter, stieg ins Auto und wählte über Handy die Rufnummer von Branden.

      „Hallo Frank, sind Sie unterwegs?“ Branden war sofort am Telefon.

      „Ja, ich komme so schnell es geht. Können Sie einen Hinweis geben, welches Problem vorliegt?“

      „Bedaure. Leider nicht!“, Stimme und Aussage von Branden waren jetzt korrekt dienstlich. Das Handy von

      Frank war nicht völlig abhörsicher. Daher durften nur allgemein gehaltene Informationen über Handy weitergegen werden. Branden konnte keinen pauschalen Tipp formulieren. Daraus schloss Frank, dass eine ernsthafte Problematik auf ihn wartete.

      „Schon in Ordnung.“ Frank beendete das Gespräch und gab Gas. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit fuhr er durch die nächtlichen menschenleeren Straßen in Richtung Space Center.

      Als Frank den hell erleuchteten Eingang des Raumfahrtzentrums erreicht hatte, reduzierte er die Geschwindigkeit des Autos und rollte im Schritttempo weiter. Vor dem schweren Gittertor hielt er an. Einer der wenigen bewaffneten Posten kam auf ihn zu. Frank händigte ihm seinen Spezialausweis aus, damit er gescannt werden konnte. Nach der Überprüfung seiner Daten glitt das Tor auf Schienen langsam zurück und gab die Zufahrt frei. Frank nahm von dem grüßenden Posten seinen Ausweis wieder entgegen und fuhr in das Parkhaus. Nur sehr wenige Autos standen um diese Zeit hier. Frank suchte seinen für ihn reservierten Parkplatz, sprang aus dem Auto und ging mit schnellen Schritten zum Aufzug. Die warme, nächtliche Sommerluft trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er griff nach seinem Handy und rief erneut Branden an.

      „Ich bin jetzt im Aufzug“, meldete ihm Frank.

      „Kommen Sie direkt zu meinem Platz.“

      Wenig später stand Frank neben Branden, der sich gerade mit Rayhn in der Raumstation unterhielt. Im großen Kontrollraum saßen nur ein paar Techniker an ihren

      Bildschirmen und erfüllten Routinearbeiten. Branden deutete Frank an, sich zu setzen. Er unterbrach das Gespräch mit Rayhn mit dem Hinweis, dass der Chef eingetroffen wäre und er ihn nun informieren würde.

      „Frank“, begann Branden, „was ich Ihnen jetzt erzähle, werden Sie zunächst nicht glauben wollen. Ich falle einfach mit der Tür ins Haus. Wir müssen dringend handeln. John ist verschwunden...“

      „Wie bitte?“

      „Ja, es ist so...“

      „Nochmal Branden, Sie meinen jetzt ganz bestimmt nicht unseren John auf der Station? Sie meinen nicht unseren Biologen John Hudges?“

      „Wir, das heißt Lauren, Alexej, Rayhn und ich haben alles getan, was bisher möglich war, um ihn zu finden…“

      Frank schaute Branden verständnislos an.

      „Was soll der Quatsch? Dann sollen die suchen. John wird nicht außerhalb der Station herumspazieren“, reagierte Frank ärgerlich und allmählich etwas wütend.

      „Glauben Sie mir. Wir haben alles versucht. Es ist so.“

      Frank sprang von seinem Stuhl auf. „Das ist unmöglich!“

      „Frank, bitte setzen Sie sich. Ich werde Ihnen jetzt knapp und nur auf das Wichtigste bezogen den bisherigen Ablauf schildern.“

      Während Branden berichtete, ging Frank nervös vor ihm auf und ab.

      „Das Ganze ist für mich völlig unwirklich und widerspricht jeder Logik. Branden, wir haben irgendetwas übersehen. Da oben kann niemand einfach so verschwinden.“ Frank setzte sich auf einen Drehstuhl und ließ sich den Bericht

      von Branden nochmals durch den Kopf gehen. Da musste eine Schwachstelle sein. „Ein Ausstieg ist also völlig auszuschließen?“

      „Völlig“, antwortete Branden knapp. „Hier..“ Er tippte auf seinen Bildschirm. „Die Protokolle sind an dieser Stelle abrufbereit. Da ist nichts Ungewöhnliches. Alles reine Routine. Nicht die Andeutung eines Ausstiegsversuchs ist erkennbar.“ „Die müssen nochmal suchen.“

      „Frank, tun Sie denen das nicht an. Die Mannschaft ist überzeugt, dass mehr als gründlich gesucht wurde. Sie sind alle zwischenzeitlich ziemlich genervt.“

      „Dann müssen wir eben das Ganze mit System anpacken. Wir werden jetzt weiter mit stillem Alarm arbeiten. Holen Sie nur die Techniker aus dem Bett, die sich mit den Modulen und sämtlichen räumlichen Gegebenheiten der Station bestens auskennen. Keine weiteren Techniker sonst. Rufen Sie meine Sekretärin Ashley Winters an. Sie soll schnellstens hierher kommen. Alle sollen sich im Besprechungsraum 7b versammeln. Und ich bin sicher, die ganze Aktion wird in einer Riesenblamage enden.“

      Frank holte tief Luft und erhob sich von seinem Drehstuhl. „Ich muss jetzt handeln und werde es auch verantworten müssen. Ich möchte auf der Stelle mit unseren Leuten da oben reden.“

      Sämtliche Kameras an Bord der ISS waren weiterhin eingeschaltet. Frank rief als erstes Rayhn:

      „Hallo Rayhn, hier ist Frank. Ich kann Sie, Lauren und Alexej sehen und hören. Alle Kameras an Bord sind auf Sendung. Rayhn, ich bin über die Situation soweit informiert. Wir sind dabei, bestimmte Techniker aus den Betten zu holen. Die kennen sich bestens mit den Räumlichkeiten der Station aus. Wir werden John finden.“

      „Ich habe Angst“, rief Lauren dazwischen.

      „Lauren, bitte beruhigen Sie sich. Es wird sich alles aufklären…“

      „Ich weiß, wie ich mit Verletzungen umzugehen habe. Ich weiß mir bei Krankheiten zu helfen. Aber dies hier? Ein solches Vorkommnis haben wir bei unseren Trainings nicht mal in Erwägung gezogen“, entgegnete Lauren mit leiser Stimme sichtlich verängstigt.

      „Lauren, wenn Sie möchten, können Sie aus der Bordapotheke eine Beruhigungstablette nehmen...“

      „Danke, ich verzichte“, kam die Antwort etwas unsicher.

      „Frank“, meldete sich nun Alexej, „wurde unseres russisch Raumfahrtzentrum bereits informiert?“

      „Nein“, entgegnete Frank, „ich will erst absolute Klarheit haben. Dass es sich hier irgendwie um ein Missverständnis oder etwas Ähnliches handelt, liegt auf der Hand. Warten wir ab, bis die Techniker alle nur erdenklichen Möglichkeiten durchgecheckt haben. Die Sache wird sich dann aufklären...“

      Das gedehnte „Okay“ von Alexej klang nicht gerade überzeugend.

      Die ersten Techniker kamen nach einer guten halben Stunde an und versammelten sich im Raum 7b. Neun Leute waren angefordert worden, aber zwei waren bereits ins Wochenende, verreist nach Utah und Kentucky. Bei Alarm bestand für alle eine vertragliche Verpflichtung, sofort anzurufen und auf Anforderung den schnellsten Weg zum Space Center zu nehmen. Daher hatten beide gefragt, ob sie mit dem nächsten Flieger zurückkommen sollten. Frank entschied, dass es nicht erforderlich