Dr. Wolfgang Lipps

Das Leben findet während der Fahrt statt


Скачать книгу

Darauf aber kann sich Vogt nicht verlassen. Er ist im Wald von Chorin, hunderte von Metern vor der Dorfgrenze, weit und breit keine Turmuhr, aber unter ihm inzwischen vier hinterlistige Sauen. Die Birke gibt langsam nach.

       Da kommt im letzten Augenblick der Bauer Schulze mit dem Pferdewagen. Vogt lässt sich drauf fallen, die Schweine ziehen sich enttäuscht zurück, und so kann man wenigstens die Reste vom Fahrrad noch bergen, zu retten ist da nix mehr.

      Und daraufhin sagt Freund Christian zum vielleicht achtundzwanzigsten Male:

      „Wolfgang, nicht nur ich, wir alle haben Dich schon hundertmal gebeten: SCHREIB´ DAS AUF! Was man erzählen kann, kann man auch schreiben.“

      So habe ich mich schliesslich breitschlagen lassen, dieses Büchlein zu schreiben und es hat mir großen Spaß gemacht, den ich dem Leser gerne vermitteln möchte.

      3. Die Klammer

      Wenn man keine Biographie schreiben, aber aus seinem Leben berichten will, dann gibt es dafür nur eine einzige Klammer: nämlich dieses Leben selbst. Wenn man das chronologisch schildern wollte, dann hätten wir durch die Hintertür genau das, was ich vermeiden will: eine Biographie in ihrer weniger interessanten Form der Autobiographie. Stattdessen möchte ich aus diesen 75 Jahren lauter bunte Krümel herumwirbeln lassen wie die Scherben im Rohr eines Kaleidoskops, grosse und kleine, helle und dunkle, kantige und vielgestaltige – zusammengehalten und geordnet nur durch den jeweiligen Bildausschnitt.

      Was für eine Fülle von Eindrücken haben uns die letzten 75 Jahre gebracht! Und nahezu 67 Jahre davon habe ich als aufgeweckter Zeitgenosse miterlebt und in der Tat sehr genossen. Da gibt es immer wieder Lebensabschnitte, Zusammenhänge, Komplexe, Eindrücke und „Ideen und Glaubensgewissheiten“ (Ortega y Gasset), zu denen Gedanken, Erinnerungen und Geschichten gehören.

      Nur mal ein kleiner Zeitlauf:

       Kriegsende in der Mark und in Berlin,

       Die Zeit der Berliner Street-Gangs nach 45

       Blockade, Baden-Baden und der Schwarzwald

       Heidelberg, Paris, Korsika, Algerien

       England, USA.

      Oder die vielen zum Teil skurrilen Begegnungen mit

       Verwandten

       Verrückten Freunden

       Gangstern und liebenswerten Trotteln,

       tollen unerreichbaren und

       ebenso tollen aber höchst erreichbaren Frauen.

      Sie werden den

       Jagdhaus-Schorfheide Krimi und beamtete Idioten kennenlernen,

       sowie merkwürdige Leute wie Herrn Rowedder

       und bescheuerte Institutionen wie die Treuhandanstalt.

      Natürlich erfahren Sie alles über

       den Mord im Kruger Busch, und

       wie das Gasthaus am Weiher abbrennt, wobei

       die brennende Wiese meiner Jugend nicht zu kurz kommen darf.

      Genug genug – schauen Sie in das Inhaltsverzeichnis; dann können Sie selektiv oder von hinten nach vorn oder gleich von vorn loslesen.

      Ich drücke mir den Daumen, dass Ihnen die Lektüre Spass macht. Wenn nicht, ist Christian schuld!

      Disclaimer

      (neudeutsch für: ich hafte für nix):

      "Für alles, das in diesem Buch steht, trage ich allein die volle Verantwortung, übernehme aber für den Wahrheitsgehalt keine Garantie und rechtfertige die Abwesenheit jeglicher Fussnoten damit, dass ich nichts zitiert habe was so zu kennzeichnen wäre, ausser vielleicht einigem das ich vergessen habe wegen dessen ich aber einen Rücktritt ablehne. Ähnlichkeiten mit lebenden oder nicht mehr lebenden Personen sind rein zufällig auch dort wo sie bewusst erkennbar geschildert oder gar namentlich benannt sind, Haftung ausgeschlossen.“

      Warum dieses Buch diesen Titel hat.

      Jeder Schriftsteller weiss: der richtige Titel ist die halbe Miete. „Deutschland schafft sich ab“ ist ein Bombentitel, während „Ansichten von Thilo“ nicht ganz so gut gekommen wäre. Weil Frau Breuel ihr Buch über die Treuhandanstalt „Das Unmögliche wagen“ genannt hat, dachten vielleicht viele, das sei ganz interessant; hätte sie es ehrlicherweise mit „Selbstlob für beschissene Arbeit“ betitelt, hätte kein Mensch es gelesen.

      Moment mal.

      Jetzt, wo ich das schreibe, kommen mir Zweifel. Weil vielleicht ein Buch „Die Scheißtreuhand“ ein echter Renner geworden wäre, vor allem, wenn es – was wir Frau Breuel aber nicht unterstellen dürfen – ehrlich gewesen wäre.

      Also:

      Der Titel ist ganz wichtig, aber welcher Titel? Die Schriftstellerin Sabine Ebert hat vier zauberhafte Bücher über das Leben einer Hebamme zu Zeiten Barbarossas geschrieben, die sie ganz anders nennen wollte, aber dann auf Druck ihres Verlages „Das Geheimnis…“, „Die Spur…“, „Die Entscheidung…“ und „Der Fluch der Hebamme“ genannt hat und war damit höchst erfolgreich.

      Ich wollte – ich sollte, wie Christian das verlangt hat – alle mehr oder minder witzigen interessanten erbaulichen lehrreichen usw. Krümel aus meinem Leben zusammenwürfeln und aufschreiben, denn meine Erzählungen seien so anregend, dass sie der Nachwelt erhalten bleiben müssten. Als ob flüssige Redner auch flüssig schreiben könnten. Vor allem, weil Christian verlangt hat, ich müsste immer wieder zwischendurch den Leser mit „Knallern“ anheizen, damit ich dann weitere Informationen ausbreiten könnte, und vor allem dürfe natürlich die Erotik nicht zu kurz kommen, das wollten die Leute lesen.

      Er hat gut reden! Aber damit stosse ich dann allerdings an meine erzählerischen und vor allem an meine selbstentblösslerischen Grenzen!

      Nach langem Kampf mit mir und anderen habe ich mich dann aber mal drangemacht. Und dafür, wie gesagt, als Erstes einen Titel überlegt.

      Einige Titel fallen aus, definitiv, völlig ausgeschlossen; so wie „Aus meinem Leben“ („aus dem Leben eines Taugenichts“ hätte es super getroffen, gibt es aber schon von Joseph von Eichendorff). „Ein Vagabund unterwegs“ ist durch Mark Twain „A Tramp Abroad“ genial blockiert. „Gedanken und Erinnerungen“ ist von Bismarck, „Erlebtes und Erlauschtes“ haben Ganghofer und andere schon besetzt. „Irrungen und Wirrungen“ kommt mir bekannt vor und trifft ausserdem mein ordentliches Leben nicht. „Durch die Wüste“ oder „Durch´s wilde Kurdistan“ oder „Von Bagdad nach Stambul“ oder „In den Schluchten des Balkan“ oder gar „der Schut“ – alles irgendwie schon mal dagewesen. Und ausserdem: wer will denn von einem Anwalt aus Berlin irgendwelche Lebenserinnerungen lesen? Ausser Christian.

      Deshalb dachte ich an den Spruch meines alten Freundes Ellermann „das Leben findet während der Fahrt statt“. Will heissen: das Leben rast davon, vor sich hin, an vielem vorbei, durch vieles hindurch, reisst uns mit, lässt uns auch mal fallen, rammt uns zuweilen um, schleudert uns herum und in immer neue Lebenslagen, zwingt uns gelegentlich zum Kampf, lässt uns den mal gewinnen, mal verlieren. Aber es steht nie still und saust mit uns unweigerlich auf ein Ende zu. „Hoch auf dem gelben Wagen…“ sagt das Gleiche, nur viel besser und kürzer. „Ich wäre so gern noch geblieben, aber der Wagen, der rollt!“. Der Wagen des Lebens, in dem wir sitzen. Und am Ende „sag ich: Ade nun, Ihr Lieben, die ihr nicht mitfahren wollt. Ich wäre gerne noch geblieben, aber…“ siehe oben.

      Aber während der Fahrt passiert auch vieles, an dem sich vielleicht auch noch andere erfreuen können, erheitern, von dem sie vielleicht