Dr. Wolfgang Lipps

Das Leben findet während der Fahrt statt


Скачать книгу

oder so ähnlich. Ich möchte einfach einiges weitererzählen, nur so um des Fabulierens willen. Mit dem kleinen Hintergedanken „wer schreibt der bleibt“, und wenn es nur bei wenigen geliebten Menschen ist.

      Also: DAS LEBEN FINDET WÄHREND DER FAHRT STATT

      Damit haben wir ihn, den Titel! So lasse mer´s.

      Mord im Kruger Busch

      Eigentlich fing alles ganz harmlos als durchschnittlicher Jagdrechtsfall an. Mehrere Jagdpächter hatten ein Revier gepachtet und bejagten es gemeinsam. Wie oft bei derartigen gemeinschaftlichen Unternehmungen – ob sie nun Ehe heissen oder Verein – kam es allmählich zu Zerwürfnissen.

      Denn eigentlich ist der Mensch ja von Natur aus kein so richtig geselliges Wesen, sondern trachtet zunächst mal danach, seinen eigenen Nutzen zu mehren. „Der Mensch ist des Menschen Wolf“ – homo homini lupus; diese miese Charakteristik stammt ausgerechnet von einem Komödiendichter, Titus Maccius Plautus (ca 200 v. Ch.) und wurde später von Hobbes abgewandelt. Aber wir wissen, was gemeint ist, und die jüngere Geschichte ist voll von Beispielen.

      Ich will das hier gar nicht beklagen, denn ein Teil der Verdienstmöglichkeiten eines Rechtsanwalts beruht ja gerade darauf, oder? Unabhängig davon also, wie richtig oder wie falsch das sein mag – alle menschlichen Zusammenschlüsse haben die Tendenz, sich zu zerstreiten, Ehen zerbrechen angeblich schon an mittig gequetschten Zahnpastatuben.

      Auffällig ist das Explosivpontential bei Zusammenschlüssen von Leuten, die gemeinsam ein Jagdrevier betreiben, die also eigentlich eine gemeinsame Passion, eine gemeinsame Liebe einen sollte. Ich bin ein erfahrener Jagdrechtler mit einer jahrelangen Praxis und bin dennoch einigermassen ratlos, wenn ich gefragt werde, wieso sich gerade Jäger immer wieder derart zerstreiten, dass man häufig schon deshalb besorgt sein muss, weil die ja gleichzeitig zu den wenigen Privilegierten gehören, die mit einer Feuerwaffe herumlaufen dürfen. Grüne und Tierschützer machen es sich da natürlich leicht: der Jäger ist ein potentieller Killer ohne Achtung vor dem Leben, vom machtsuggerierenden Phallussymbol des Gewehrs beherrscht, ergo ein Arschloch.

      Na ja. Es gibt in der Tat Exemplare der Spezies Weidmann, die dergleichen abstruse Theorie jedenfalls nicht a priori als bescheuert erscheinen lassen, aber tatsächlich ist die Sache dann doch erheblich diffiziler. Natürlich spielt ein bisschen Machotum mit, auch ein bisschen Beuteneid, auch Dominanzgehabe, manchmal etwas Aufgeblasenheit – aber im Grossen und Ganzen sind Jäger Naturfreunde, Tierschützer, ausgeglichene Charaktere, und rundherum vernünftige Leute.

      Glaubt zwar kaum einer, aber ich bin der schlagende Beweis, oder?

      Der Fall, zu dem diese langatmige Vorrede den Leser hinführen soll, zeigt die merkwürdige Gemengelage, die im Jagdbetrieb entstehen kann. Ein Mandant, nennen wir ihn Friedhelm O., erscheint eines Tages in meiner Kanzlei und bittet, ihn gegen seine Mitjäger bezw. seine Jagdgenossenschaft zu vertreten. Denn die letztere habe ihm aufgrund einer Intrige der ersteren seinen Jagdpachtvertrag fristlos gekündigt; er läuft Gefahr, sein Jagdrevier zu verlieren.

      Hier höre ich zum ersten Male den Ausdruck „Kruger Busch“, ein Jagdrevier im Nordosten von Brandenburg und eines der schönsten im Lande.

      Das ist also nicht etwa ein Gebüsch im afrikanischen Krüger Nationalpark, sondern ein Waldgebiet, das zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk Kruge/Gersdorf gehört. Der Mandant nun war einer von mehreren Jägern, der in diesem schönen Jagdbezirk als einer der Jagdpächter das Privileg hatte, gerade den Teil zu bejagen, der eben Kruger Busch genannt wird – ein Gebiet, in dem es ein hervorragendes Aufkommen an Rotwild und Schwarzwild, zu bürgerdeutsch Hirsch und Wildschwein, gab und gibt.

      Das Mandat war mir gleich sympathisch, denn die Gemarkungen Kruge und Gersdorf waren mir wohlbekannt.

      Kruge, ein mehr als 700 Jahre alter Rittersitz, war seit 1800 etwa bis 1945 das Gut meines Onkels von Trotha, und ich habe während des Krieges dort eine wunderbare Zeit mit meinen Cousinen Putzi und Mädi verbracht, bis die Verwandten vor den Russen nach Bad Godesberg flohen. In Gersdorf, mit dem sich Kruge 1960 zusammenschloss, ging ich ein Jahr lang zur Schule und sang jeden Morgen die Brandenburger Nationalhymmne „Steige hoch Du roter Adler…“, der bekanntlich gar kein Adler ist, sondern ein roter Milan.

      Zurück zum Fall. Ein Mitglied der Jagdgesellschaft, die dort jagen durfte, war aus mehreren Gründen erpicht darauf, meinen neuen Mandanten aus dieser Gesellschaft auszubooten, und zwar im kollusiven Zusammenwirken mit dem Jagdvorsteher, einem Herrn H..

      Zum Verständnis jagdrechtlicher Laien:

      Alle Grundstücke einer Gemeinde, die nicht zu einer Eigenjagd (einer privaten Jagd) gehören, bilden kraft Gesetzes den sog. Gemeinschaftlichen Jagdbezirk dieser Gemeinde, hier Kruge-Gersdorf. Alle Eigentümer von land- forst- oder fischereiwirtschaftlichen Flächen dieser Gemeinde bilden kraft Gesetzes eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die Jagdgenossenschaft. Diese wählt sich einen Vorstand und verpachtet dann das Jagdausübungsrecht - gemeinhin halt: die Jagd – an einen oder mehrere Jäger, die dann eine Jagdgesellschaft bilden.

      Nach jahrelangem mehr oder minder Friede-Freude-Eierkuchen-Jagen der Jäger von Kruge/Gersdorf, von Eifersüchteleien eines Herrn F., einer der Jagdpächter, wegen des schönen Jagdbezirks des Friedhelm O. mal abgesehen, erschien eines Tages ein etwas unangenehmer aber einigermassen betuchter Herr aus, wie es damals hiess, „Westdeutschland“, also ein sogenannter Wessi. Der hatte plötzlich, wahrscheinlich durch F. „aufgemüdet“, wie der Jäger sagt, ein gewaltiges Interesse daran, nicht nur Mitglied der Jagdpächtergesellschaft zu werden, sondern anstelle meines Mandanten den Kruger Busch, das jagdliche Herzstück der Jagd, dauerhaft zugewiesen zu erhalten.

      Der Herr Jagdvorsteher H. versammelte sich sofort hinter dem, denn er besass in der Gemarkung in älteres und bis dato unverkäufliches Haus, welches der Wessi ihm zu gutem Preis abzukaufen versprach, wenn man für ihn meinen Mandanten loswerde. Auch dem Mitpächter F., der beruflich ziemlich in der Luft hing, wurden lukrative Versprechungen gemacht. Der sah sich schon als reicher Mann.

      So begann man, O. aus der Jagd „herauszumobben“. Jedenfalls versuchte man das und erfand allerlei Verfehlungen von O. und liess ihn abmahnen und schliesslich erteilte ihm der Jagdvorsteher H. erst eine und dann weitere fristlose Kündigungen des Jagdpachtvertrages und behinderte ihn bei der Jagd und, wie gesagt, mobbte und belästigte ihn wo immer möglich. Da aber brachte O. mich als seinen Anwalt in´s Spiel.

      Ich will mich nicht zu sehr aufblasen, aber, halten zu Gnaden, es kam, wie es kommen musste: Ich griff die Kündiung vor dem Amtsgericht Bad Freienwalde an, die Gegenseite versuchte alle möglichen Tricks bis hin zu Meineidszeugen und Prozessbetrug, was man allerdings können muss, sonst geht es nach hinten los; die konnten es nicht, und es ging! O. gewann wie das heisse Messer durch die Butter. F liess noch im Gerichtssaal verlauten, in der zweiten Instanz werde ihr Anwalt mir mal zeigen, wo der Hammer hängt!

      Ich schon verängstigt.

      Die gehen in die Berufung, und was soll ich Euch sagen: verlieren krachend auch vor dem Landgericht in Frankfurt/Oder.

      Im Rausgehen sagt F. zu meinem Mandanten, er solle sich diesen Tag gut merken, denn man werde ab heute nicht eher Ruhe geben, „als bis der O. unter 1 m Erde liege!“ Ich höre das, nehme derartige dusselige Ankündigungen aber selbstredend nicht für voll.

      Wir trinken im Oderturm noch ein Bier auf den Sieg, aber mein Mandant O. ist voller dunkler Ahnungen und sagt, er nehme die Drohung sehr ernst, und wie er sich schützen solle usw. Ich, ehrlich gesagt, lache ihn aus und sage, alle die, denen solche Maulhelden öffentlich mit Vergeltung drohen würden, führen immer noch Rad, und was dergleichen kluge Sprüche mehr sind. Mein Mandant bleibt melancholisch.

      Wie Sie auch in dem Kapitel „Ein Gasthaus brennt“ nachlesen können, kam O. wenige Wochen später völlig aufgelöst auf unserem Hof an, in Tränen gebadet und mit den Nerven am Ende.

      Warum das?

      O. lud jedes Jahr mehrmals Jagdgäste ein, bei ihm auf Hirsch, Rehbock und Schwein zu weidwerken. Die setzte er nur in dem für ihn reservierten Teil des „Kruger Busch“ an, zu dem kein anderes