Dr. Wolfgang Lipps

Das Leben findet während der Fahrt statt


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erlaubt: Einer der Söhne meines Patenonkels Ludy war Leonhard, der das Landgut „Nonnenhof“ in der Rheinaue betrieb, auf dem ich meinen ersten Porsche-Trecker kennenlernte – heute habe ich eingedenk dessen drei Stück davon, die alle in meiner Jagd ihren Dienst verrichten – und mit dem ich eng befreundet war. Der hatte einen Hofhund namens „Seltsam“, einen riesigen Riesenschnauzer, der mich dazu brachte, täglich um 5 Uhr 30 aufzustehen, denn da kam er in mein Bett, das dann für mich keinen Platz mehr hatte.

      Seltsam war ein Zauberhund und überaus freundlich, half sogar den Zigeunern noch beim Klauen, also als Wachhund eine echte Null. Daraufhin wurde er einem Hundetrainer in Erziehung gegeben, der ein halbes Jahr mit ihm arbeitete und ein Vermögen kostete und am Ende bewies, dass Seltsam knurren und bellen und sich gar bedrohlich aufführen konnte, als er ihn wieder auf dem Nonnenhof ablieferte.

      Der gute Mann wurde entlohnt, fuhr vom Hof, und fortan war Seltsam wieder der liebe Hund, der den Zigeunern wegtragen half. Nix war mit Mannschärfe und so, Reinfall auf der ganzen Linie.

      Bis eines Tages der Hundetrainer auf den Hof fuhr, um mal zu schauen, wie sich sein Eleve so gemacht hat. Seltsam liegt in der Sonne, sieht den Typen aussteigen, geht hin – und beisst ihm jesusmässig in den Arsch. Hat also doch geholfen, das Training!

      Und zum Schluss: Geppi von Heyl, mein Bundesbruder, heiratete Helene von Gemmingen genannt Leneli, ein zauberhaftes Mädchen, aber katholisch, was für die stark evangelischen von Heyls schon etwas befremdlich war. Aber der Charme der Braut und, bei den Heyls wie wir wissen nicht ganz unwichtig, der alte Adel machten das erträglich.

      Was wir alle weniger goutierten, war, dass Geppi und Leneli zum Hochzeitsball Frack befohlen hatten. Wer von uns hatte denn damals einen Frack? Wer hat eigentlich heute einen? Also lieh ich mir einen beim Theaterverleih in Heidelberg. Der war zu gross, so dass mir alle paar Minuten infolge der Zugwirkung der mächtigen Hosenträger die Hose in der weissen Weste nach oben stieg wie Hochwasser, was sehr blöd aussah. Zudem waren die Hosenbeine so weit, dass man die Schuhe nicht sehen konnte. So stand ich den ganzen Abend vor einer Säule und rührte mich nicht, was mir allerdings die Teilnahme an den idiotischen Spielen ersparte, die doch tatsächlich befohlen wurden – Sackhüpfen, Eierlaufen und so.

      Diese Hochzeit werde ich nie vergessen!

      Kriegsende

      Sechsundsechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist es langsam, so meine ich, an der Zeit, mit dem unwidersprochen weltweiten Irrglauben aufzuräumen, die Alliierten hätten den 2. Weltkrieg gewonnen. Gerade in Deutschland ist das Unbehagen darüber weit verbreitet, dass es nicht einen einzigen Kriegsfilm gibt, egal wer ihn wo gedreht hat, an dessen Ende Deutschland mal gewinnt. Man ist ja schon froh, dass in der Mehrzahl der seriösen Filme die Deutschen nicht immer als teutonisch miese Dummbeutel dargestellt werden, die von pfiffigen Amerikanern in gut gebügelten Uniformen reihenweise aus der Hüfte erlegt werden.

      Na ja, die Filmindustrie richtet sich eben danach, was der Markt sehen will, unter anderem gewinnende Amerikaner, tolle action und schöne Frauen.

      Andererseits soll man Geschichtsklitterung da tadeln, wo man sie antrifft. Ich habe selbst als Zeitzeuge erlebt, warum die Alliierten den Krieg gewonnen haben, und Sie sollten das jetzt auch wissen.

      Schuld daran ist nämlich meine Mutter!

      Glauben Sie nicht? Wenn ich Ihnen erzähle, wie das alles kam und was für eine Powerfrau meine kleine rundliche humorvolle und gut erzogene Mutter war, immerhin eine geborene von der Planitz, dann werden Sie mir glauben.

      Der Krieg lag in den letzten Zügen. Wir lebten in Hottendorf in der Altmark, nahe Stendal und Gardelegen, in einem sogenannten Behelfsheim der OT (Organisation Todt) und mein Vater war als Frontoffizier seit einiger Zeit verschollen – später stellte sich heraus, er war in amerikanischer Gefangenschaft und wurde dort fast zu Tode gequält, aber das ist eine andere Geschichte. Ich ging in Hottendorf in die einklassige Grundschule und lernte dort nicht nur „Frühling lässt sein blaues Band…“, sondern auch, dass die angeblich so ritterliche britische Luftwaffe – mit dem Nimbus hatte allerdings Bomber-Harris schon gründlich aufgeräumt – also dass die mit ihren Spitfire nicht nur Bauern auf dem Feld, sondern auch Schulkinder auf dem Schulweg jagten. Deshalb hatte die Verwaltung alle 50 Meter Eisenbahnschwellen über den Strassengraben gelegt und mehr als einmal gelang es mir und anderen Kindern, in letzter Sekunde da drunter zu rollen, während oben die MG-Salven auf die Bohlen knatterten! Einem meiner Kumpels gelang es allerdings nicht, rechtzeitig unter die Bohlen zu hechten und die Engländer schossen ihm eine Ferse ab.

      „Let´s go shelling where they´re dwelling just as good old British airmen do…”

      wie der lustige Jazz-Song so geht – ein Song übrigens, der von einer fast unbekannten Swingband, Charlie & His Orchestra, 1941 in Deutschland im Auftrage von Goebbels´ Propagandaministerium gespielt und getextet wurde; einer Band, die auftragsgemäss Jazzmusik mit subtil antiamerikanischen und anti-alliierten Texten auf Englisch herstellte – dieser Swing gehört zu den unbekanntesten und besten Leckerbissen der deutschen Jazzgeschichte.

      Aber wieder zu unseren englischen Helden der Luft. Für uns Kinder "survival of the fittest" und so ein gutes Training, dass ich Jahre später in Baden-Baden reflexartig unter einen Hauseingang in ein Rinnsal hopste, als ein einmotoriges französisches Jagdflugzeug auftauchte – zur schenkelklopfenden Erheiterung meiner badischen Schulfreunde. Gelernt ist gelernt.

      Die badischen Freunde aber hatten derartige Bedrohungen im Krieg nicht erlebt und konnten sich deswegen meine spontane Aktion nicht erklären

      Zurück nach Hottendorf.

      Dort fanden erst, entfernt, kurze Gefechte in den Wäldern statt, und beim Spielen im Wald fand man schon mal einen toten Soldaten und jede Menge Waffen, die wir frohgemut zuhause stapelten, wo sie unsere Mütter – die Väter wie gesagt auf dem Felde der Ehre bis auf einige bonzenmässigen Drückeberger – mit höchstem Entsetzen einsammelten und entsorgten, jeden Tag!

      Dann kamen die Amerikaner. Sehr jung, sehr nett und unglaublich ängstlich. Meine Mutter, die zufolge ihrer adligen Erziehung fliessend Englisch sprach, wurde alsbald zum Dolmetschen hinzugezogen und berichtete, dass sie immer wieder nach dem „Werwolf“, der bedrohlichen Geheimtruppe, gefragt wurde, die es unseres Wissens ausser einem kläglichen Anfang mit wenigen Idioten nie wirklich gegeben hatte, anders als den „Volkssturm“, der sich aber überwiegend als ein aus Geronten gebildetes Filzpantoffelgeschwader entpuppte – mein Vater hat die mal von der Front geschlossen nachhause geschickt und bekam ein nicht ungefährliches Kriegsgerichtsverfahren angehängt - und etwa so kriegsentscheidend war, wie es später im Ernstfall die lächerlichen Betriebskampftruppen – verzeiht mir, liebe Neubürger – der DDR geworden wären oder die ebenso lächerliche aber stolzgeschwellte „homeguard“ der Engländer.

      Die netten Amerikaner aber erzählten uns, sie würden nach wenigen Wochen weiterziehen und dann kämen die Russen.

      So wars.

      Die Amerikaner waren weg, es folgte ein Tag unheilvoller Stille, und dann bretterte urplötzlich, in einer Staubwolke aber zugleich zunächst einmal merkwürdig ruhig, eine Pferd-und-Wagen-Truppe ins´Dorf, Panjewagen mit kleinen Pferden davor, Panjepferde, tatsächlich aber wohl Budjonny-Pferde; darauf verstaubte tief über den Pferdehals gebeugte Kosaken mit hervorragender Bewaffnung, nämlich fast durchgängig Maschinenpistolen mit runden Magazinen – PPSh 41, wie wir kleinen Technikfreaks bald herausfanden. Die Kavalkade wirbelte auf den Dorfplatz, hielt an, alle sprangen ab, jetzt wurde es laut; Befehle und Mitteilungen an die Bevölkerung wurden gebrüllt, Schüsse in die Luft, aber auch in Scheunentore und das Kriegerdenkmal gejagt, und die Soldateska schwärmte aus zum Plündern, Vergewaltigen, Morden, Saufen – der Dreissigjährige Krieg war zurückgekehrt.

      Wir waren dank unserer amerikanischen Freunde vorbereitet und steckten tief im Wald; dem Wald, in dem ich mich als einsamer mal Winnetou, mal Chingachgook die Grosse Schlange und mal Old Shatterhand besser auskannte als sogar die Förster; und dort in einer komfortablen bestens verblendeten und mit allem Notwendigen bestückten Erdhöhle,

      Und zwei Tage später führte