Dr. Wolfgang Lipps

Das Leben findet während der Fahrt statt


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der damals noch einfach Heyl hiess, ohne von. Die Heyls werden schon viel früher urkundlich erwähnt als bedeutende Fischer- und Flösserfamilie aus Worms. Cornelius ging in jungen Jahren unter anderem auch nach Paris. Dort soll er – jetzt kolportiere ich Gerüchte, wie ich überhaupt etliches nur aus Überlieferungen meiner Verwandten wiedergeben kann und insgesamt einigermassen unvollständig bleiben werde – also dort soll er ein Mägdelein beglückt haben, die Tochter eines Herstellers von Chevreauxleder. In einer Liebesnacht oder mehreren soll sie ihm das Geheimnis der Herstellung dieses unglaublich dünnen, festen, wunderbar in allen Farben glänzenden Ziegenleders, auf das Frankreich damals ein Weltmonopol hatte, verraten haben.

      Jedenfalls kehrte er nach Worms zurück, gründete die Heyl´schen Lederwerke Liebenau und stellte – was wohl? – Chevreauxleder her. Das Unternehmen florierte, nein, boomte. Er wurde ein bedeutender Mann, Abgeordneter der Paulskirche, grosser Kunstsammler (Heyl´sche Kunstsammlung in Worms), sozialer Arbeitgeber (baute als einer der ersten Industriellen in Deutschland Arbeiterwohnungen). Sein Enkel - dazwischen gab es kurz seinen Sohn Daniel Cornelius Heyl - Cornelius Wilhelm Heyl (1843 bis 1923) war ebenfalls ein bedeutender Mann, wurde deshalb 1886 geadelt, kaufte sich das Schloss Herrnsheim, und hiess fortan Freiherr von Heyl zu Herrnsheim. Er war Dr. h.c., Lederindustrieller, Reichstagsabgeordneter, Mitglied und Präsident der I. Hessischen Abgeordneten-Kammer (Januar 1874 bis Juli 1878, 30. Oktober 1879 bis Oktober 1881 und Juni 1893 bis November 1918), Nationalliberale Partei, zuletzt bei keiner Fraktion.

      Mein ehemaliger Bundesbruder in meiner studentischen Verbindung „Heidelberger Kreis“, der spätere Präsident der Bundesdeutschen Rektorenkonferenz und langjährige Präsident der Stiftung preussischer Kulturbesitz, Prof. Dr. Werner Knopp, pflegte sich über unseren Bundesbruder Gebhard „Geppi“ von Heyl gelegentlich zu dessen mit säuerlichem Lächeln verbrämten Missfallen mit der „wahren Geschichte, wie die Heyls geadelt wurden“ lustig zu machen.

      Danach steht 1918, nach dem verlorenen 1. Weltkrieg, der Kaiser in seinem Zimmer und packt eilig für die Abreise nach Doorn. Da pfeift es gellend vor dem Fenster. Der Kaiser zu seinem Adjudanten: „Itzenplitz, sehn´se mal nach wer da so vulgär pfeift“. Itzenplitz tritt an´s Fenster und meldet: „Das issn Bote von dem lästigen Heyl aus Worms, Majestät, der will sein Adelspatent abholen“. Darauf der Kaiser: “Mensch Itzenplitz, det liegt da links auf´m Schreibtisch. Binden Sie ´n Stein dran und werfen´se ´s runter“. Itzenplitz verfährt so, der Bote wendet das Ross, die meuternden Matrosen kommen schon auf das Schloss zu, haben aber an der Ampel Rot, und das verschafft dem Getreuen den nötigen Vorsprung. Ergo: VON Heyl.

      Wie Sie wissen, ist das erfunden, 32 Jahre nach vorne verlegt; aber super erzählt.

      Der frischgebackene Freiherr hatte viele Kinder, darunter meine oben erwähnte Grossmutter und deren Bruder, meinen sehr geliebten und verehrten Patenonkel Ludy von Heyl, ein guter Unternehmer, grosser Kunstmäzen und gläubiger Christ. Vermutlich deswegen hatte der Karl bei ihm immer noch die besten Karten, wenngleich auch nicht richtig gute.

      Um meinen Onkel Ludy zu charakterisieren, mag eine kleine Geschichte dienen. Er war königlich preussischer Oberleutnant oder Oberst und Bataillonskommandeur oder so was im 1. Weltkrieg. Als die Kapitulation verkündet wurde, löste sich die Reichswehr weitgehend auf und alle latschten nachhause.

      Nicht so Ludys Leute. In geschlossener Formation und in voller Bewaffnung führte er sie aus dem Felde heim nach Worms. Auf dem Domplatz liess er in Reih und Glied und Habacht-Stellung anhalten und sprach: „Soldaten, Ihr habt treu Eure Pflicht getan für Kaiser und Vaterland. Der Krieg ist aus. Ich entlasse Euch hiermit aus Eurem Fahneneid. Abgesessen! Geht nachhause, und Gott mit Euch“!

      Das ist, auch von einem Rheinländer, echtes Preussentum, oder?

      Als Onkel Ludy 1962 starb, war ich im Ausland. Aber meine Mutter nahm an der Beerdigung teil und erzählte mir, es wäre ihr schwer gemacht worden, sich ihrer Trauer hinzugeben. Denn die Familie ging hinter dem von zwei Pferden gezogenen Katafalk her zur kleinen Grabkapelle der Heyls in Herrnsheim, und auf dem Wagen, der den Sarg trug, stand hinten in grossen weissen Lettern „Pietät Wiesel“ drauf.

      Reklame an der falschen Stelle, würde ich mal sagen.

      Von der Planitz

      Ich habe bereits erwähnt, dass die einzige echte grosse Liebe meiner Grossmutter der schneidige Reiteroffizier Max von der Planitz war, General der Feldartillerie, Adjudant und Lehrer des Kronprinzen, ein blendender Reiter und Schütze und ein grosser Jäger. Meine Mutter hat ihren Goßvater, den sie nur kurz kannte, vergöttert. Denn er war zauberhaft zu ihr, ging eines Tages im Tiergarten in voller Uniform und mit dem Gewehr über dem Arm spazieren – das konnte man sich damals als hoher preussischer Offizier leisten - und sagte, ob sie wolle, dass er ihr mal ein Eichhörnchen schiesst.

      Au ja!

      Er geht weiter, bedeutet ihr, ganz still zu sein, zeigt ihr auf einem Baum ein kleines Tier, legt an und holt das mit einem Schuss herunter, indem er den Ast abschiesst. Meine Mutter rennt hin und findet ein süsses Stofftier, das er vorher auf den Ast gesetzt hatte. So war er!

      Das Stofftier hat bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet und räudig aber sehr geliebt sogar den Tod meiner Mutter überdauert.

      Max von der Planitz war ein preussischer Offizier von echtem Schrot und Korn und vom Kaiser hoch geachtet, der ihn zum Adjudanten des Kronprinzen bestimmte, damit der Junge mal Zucht und Ordnung und das Artilleriewesen lernen könne. Ich habe heute noch die handschriftlichen Aufzeichnungen meines Grossvaters, mit denen er dem Kronprinzen Geschützstellungen, Schusswinkel und ähnliches verdeutlichte.

      Eines Tages war der Kronprinz irgendwohin gereist, ohne meinen Grossvater, und sollte mit der Bahn zurückkommen. Auf dem Bahnhof warteten mein Grossvater proper gewandet in Paradeuniform und die Kronprinzessin mit ihrem kleinen Hund auf dem Arm. Der Zug fährt ein und hält nicht akkurat am roten Teppich, sondern 50 m weiter.

      Damit sie zur Waggontür eilen kann, drückt die Kronprinzessin meinem Grossvater den Hund in den Arm und der lässt ihn wortlos fallen.

      Grosses Geschrei, die Kronprinzessin geht zum Kaiser und verlangt die Entlassung des von der Planitz.

      Darauf der Kaiser: „Meine Liebe, ich muss mich doch sehr wundern über Dich. Du kannst doch nicht im Ernst einem preussischen Offizier einen Hund in den Arm drücken. Wenn der mit so was gesehen wird, kann er seinen Abschied nehmen, als Lacher der ganzen Armee. Dass mir so eine Sottise bitte nicht wieder vorkommt“.

      Damals war die Welt noch in Ordnung.

      Was meinem Grossvater allerdings nie gelungen ist, war, dem Kronprinzen anständig Reiten beizubringen. Auf allen Fotos sitzt der auf dem Pferd wie der Affe auf dem Schleifstein.

      Am 11. Oktober 1915 besichtigt der Kronprinz mit seinem Adjudanten von der Planitz die Front und beide besteigen einen Turm, um von dort aus das Schlachtfeld zu überblicken. Von diesem Augenblick gibt es tatsächlich ein Foto, das die beiden auf dem Turm zeigt – wir, d. h. meine Grossmutter und ich, haben es zufällig im STERN in einem Bericht über den Kaiser gefunden und es hängt jetzt bei mir zuhause. Als sie das Schlachtfeld studiert haben, steigt der Kronprinz die Treppe hinab und geht zu seiner Entourage und den Pferden. Mein Grossvater bleibt zurück, um noch mal eine bestimmte Schlachtformation in Augenschein zu nehmen. In diesem Augenblick trifft ein Volltreffer den Turm und pulverisiert ihn.

      Obwohl ich meinen Grossvater natürlich nie gekannt habe, trage ich, seitdem ich jage, sein Abzeichen am Jägerhut, das ihn als Mitglied der kaiserlichen Jagdgesellschaft auswies. Das bedeutende Grabmal meines Grossvaters steht auf dem Darmstädter Friedhof (1920 in Darmstadt angefertigt von Ludwig Habich (1872 - 1949 ), der auch andere Denkmäler in Darmstadt schuf, zum Beispiel das Goethe - Denkmal im Herrngarten (1903 mit Adolf Zeller)). Ich habe es durch