Horst Fesseler

Das Böse wartet schon


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Dimension mit anderen Gesetzmäßigkeiten. All die Sterne lagen ihm zu Füßen wie ein Meer aus tausend Lichtern. Und er konnte an jedem Ort sein, den er sich vorstellte, schnell wie ein Gedanke.

      Nun erst erkannte Heiko, dass das Jenseits, das Reich der Toten und der Seelen, nicht aus Engeln oder Teufeln bestand, dass es nicht Himmel oder Hölle gab, weder Gut noch Böse. Er begriff, dass Gott nicht Gott war, und all die Vorstellungen von Glaube und Religion nur reine Phantasie bedeuteten. Denn ein jeder von uns war Gott. Heiko war ein Teil davon, seine reine und klare Seele.

      „Was ist es, das ich hier vollbringen muss?“, rief er und spürte zum ersten Mal, dass die Worte reine Gedankenenergie darstellten und keine akustischen Laute. Aber er wusste, man würde ihn hören und verstehen.

      Im selben Moment bekam er die Antwort auf seine Frage. „Was du vollbringen musst, das hast du schon getan. Gehe tief in dich. In das, was du wirklich bist. Begreife deine ungeheure Macht der Vollendung, lass die Elemente tanzen. Mach was dir gefällt. Öffne deinen Geist. Bau dir ein energetisches Feld auf und erkenne deine Erfahrungen.“

      Es war die Stimme, die er schon mehrmals in diesen neuen Dimensionen hörte, ein Klang, den er vertraut in sich aufnahm und der ihm Kraft und Erkenntnis gab, der aber gleichzeitig auch Harmonie ausstrahlte.

      Umgeben von den unzähligen funkelnden Sternen trieb Heiko im weiten Meer der Ewigkeit durch das endlose Universum. Dunkel, angefüllt mit Abermillionen leuchtenden Punkten, breitete es sich vor ihm aus. Dann sah er sie, diese rotierende Spirale in den buntesten Farben, wie sie unvorstellbarer nicht sein konnte. Es war das Tor hinein in die Urschöpfung aller Welten und aller Dimensionen, zur Geburtsstätte allen Seins, an den Anfang der Entstehung. Dort entsprangen die Elemente und nahm das wahre Leben seinen Ursprung. Hier gab es weder Zeit noch Raum.

      Deutlich spürte Heiko, dass er wie ein mikroskopisch kleines Staubkorn war, einsam und allein durch die Unendlichkeit dahintreibend. Es schien ihm, als sei um ihn herum alles nur für ihn geschaffen. Als sei er der Mittelpunkt jeden Geschehens. Er, ein kleiner Punkt, ein mit Lichtgeschwindigkeit dahinschießendes Photon, von dem gewaltige Energien ausgingen und den Raum ins Unermessliche ausdehnten.

      Heiko hatte das Tor in die Ewigkeit durchschritten. Ein ungeheuer wohltuender Lichtblitz durchzuckte ihn. Er spürte es ganz deutlich in diesem Moment. Um Heiko herum gab es bald überhaupt nichts mehr. Nur die absolute Leere, keine Materie, keinen Raum, kein Licht und keine Schatten. Nur Heiko war mitten darin, als Geist, als ein Gedanke, unsichtbar und ohne Formen, ein gewaltiges Energiebündel, kleiner noch als ein Atomkern und dennoch gewaltiger als der mächtigste Vulkan.

      Nun war Heiko herausgetreten aus der Welt des Diesseits. Er wusste, dass es von nun an kein Zurück mehr gab und die andere Seite bereits nach ihm griff, dort wo er geborgen in einem Meer der Wohltat entspannt und gelöst sein Dasein verbringen konnte.

      Heiko gelangte dorthin, wo die Seelen geboren wurden, wo sie sich mit Bewusstsein füllten und ihre Reise in die vielen unbekannten Dimensionen, in die Welten der physischen und der geistigen Materie antraten. Hier aber, in dieser pulsierenden Ebene, wimmelte es von Lichtblitzen, und jeder davon war eine neugeborene Seele. All die jungen Seelen, die ahnungslosen, gelangten hinaus in die materiellen Welten, wo sie zunächst ihren Platz in dem Pflanzenreich fanden. In Bäumen, Sträuchern, den Blumen und Gräsern. Dafür waren sie zunächst auserkoren, um ihre ersten Erfahrungen zu sammeln, damit sich ihr Geist ohne Vorbelastungen bilden konnte. Dann, nach dem Absterben ihrer Pflanze, würden sie zurückkehren in das Jenseits, um sich den ersten Prüfungen und Bewährungen zu unterziehen.

      Hier in dieser Sphäre gestalteten sich die Träume aller Menschen auf Erden als ein Spiegelbild in einer realistischen Wirklichkeit. In diese Parallelwelt kam der Astralkörper, um seine Phantasien auszuleben und psychische Gestalt anzunehmen. Jeder der Mitwirkenden hatte seinen vorgegebenen Platz in diesem Rollenspiel und erkannte dessen Bedeutung.

      Und Heiko wurde um eine Erfahrung reicher. Er bestaunte anfangs noch dieses Abstrakte, bevor er dessen Bedeutung begriff und sie ihm wie etwas ganz Normales und vollkommen Selbstverständliches erschien.

      Heiko wanderte weiter durch den Strom der Unendlichkeit. Zeit war kein fester Begriff, zählte nicht im Meer der stetig pulsierenden Gedanken. Gemächlich floss der Strom des unbekannten Seins dahin. Doch alles hatte seinen Sinn, einen geregelten und geordneten Ablauf. Nach Gesetzen der göttlichen Schöpfung, wovon er ein Teil war. Es gab nichts, das nicht vollendet war. Jeder lebende Gedanke fügte sich zu einem Ganzen zusammen, jede Energie strömte in gesetzmäßigen Bahnen. Und nichts ging verloren im sprudelnden Meer der Ewigkeit.

      Heikos Körper war hier eine alles durchdringende Substanz, feinstofflich und dennoch voller gebündelter gewaltiger und unsichtbarer Energie. Er fühlte sich wohl in seinem neuen Dasein. Von hier wollte er niemals weg, verspürte auch kein Verlangen danach. Heiko war geborgen. Für ihn bedeutete dies den Neubeginn einer eindrucksvollen Ära, ein Auferstehen aus dem Tiefschlaf, in den er jahrzehntelang versunken gewesen war.

      KAPITEL II

      Wenn Abschiednehmen schmerzt

      Heiko Strewe war nur neununddreißig Jahre alt geworden, hatte mitten im Leben gestanden, hätte noch seine ganze Zukunft vor sich gehabt. Der Tod war so plötzlich und unerwartet für alle gekommen. Herzversagen, schrieb man auf den Totenschein. Carmen Strewe, Heikos Frau, hatte es einfach nicht fassen können. Sein Tod war für sie wie ein brutaler Faustschlag gewesen, wie alles zerfetzende Dornen in ihrem Gesicht.

      Vier Tage lag das furchtbare Geschehen nun schon zurück, das eine Zeit der schrecklichsten Alpträume nach sich zog. Carmen verbrachte schlaflose Nächte, in denen sie sich, von Gedanken und Erinnerungen gequält, die Seele aus dem Leib heulte. Keiner konnte ihr in diesen furchtbaren und entsetzlichen Stunden Trost spenden. Was hätte es auch genutzt? Was brachten die Zurückgezogenheit und der Kummer schon ein? Nichts und niemand konnte ihr den geliebten Mann zurückbringen. Aber die Trauer befreite von dem allergrößten Schmerz, machte ihn erträglicher, wenngleich sie auch keine Erlösung brachte.

      Heute hieß es Abschied nehmen für immer. Heikos letzter Gang, der die endgültige Trennung von dem bedeutete, was sie noch miteinander verband, stand bevor. In ein paar Stunden war es soweit. Mit Grauen dachte Carmen an die Beerdigung, diesem schlimmsten und übelsten Moment ihres Lebens. Die letzten Tage hatte sie sich so sehr davor gefürchtet. Aber diesen Weg musste sie nun mal hinter sich bringen. Noch ein paar Minuten blieben ihr, dann würde sie zum Friedhof aufbrechen.

      Als Carmen in ihrer Wohnung vor dem Fenster stand und fast apathisch in den Regen hinausschaute, liefen ihr die Tränen unaufhaltsam an den Wangen herunter. Sie ließ es geschehen und wehrte sich nicht dagegen. Ihr Atem bebte bei dem Gedanken an die schrecklichen Begebenheiten vor vier Tagen. Sie konnte den Tod von Heiko, ihrem geliebten Mann, noch immer nicht in seiner vollen Tragweite erfassen, geschweige denn begreifen.

      An diesem ekelhaften verregneten Tag sollte er zu Grabe getragen werden. Schrecklich! Anfang der Woche, als er so plötzlich starb, herrschte so wundervolles sonniges Wetter mit angenehm milden Temperaturen, dachte Carmen. Da hatte niemand mit seinem Tod gerechnet, sie am allerwenigsten. Warum musste das geschehen? Weshalb so früh, quälte sie immer wieder ihre ohnehin schon stark strapazierten Gedanken. Heiko durfte einfach nicht tot sein, er war noch viel zu jung, hatte doch niemandem etwas getan. Er war ein herzensguter Mann gewesen, immer für die anderen da. Vor allem für Carmen ... sie durfte nicht weiter nachdenken. Der Schmerz war zu groß und ließ die Tränen wie einen unaufhörlichen Strom fließen.

      Carmen blickte nervös auf die Uhr, es war langsam an der Zeit, aufzubrechen. Wenn doch nur endlich Sabine Ullmann käme. Sie wollte sie abholen. Angespannt schaute Carmen zum Fenster hinaus. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen. Von Sabine jedoch war weit und breit nichts zu sehen.

      Plötzlich läutete es an der Tür, und Carmen fuhr erschrocken zusammen. Ihre Hände zitterten, im Magen kam ein mulmiger Druck auf. Sie verspürte ein unsicheres Gefühl, obwohl sie genau wusste, dass nur Sabine vor der Tür stehen konnte. Dennoch fürchtete sie sich vor diesem Augenblick, denn er bedeutete ein unaufhaltsames Aufwallen der Emotionen. Carmen öffnete, und Sabine