Carsten Hoop

Caspar rund das Meer spricht Englisch


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mit ihnen gehabt?“

      „Zum Glück nicht, obwohl wir nach dem Walfang die viel befahrene Nordroute über den Atlantik wählten, weil sie eben die Kürzeste ist, und wir ganz normale Walfänger mit der hamburgischen Flagge sein wollten. Broders Plan sah vorher folgendermaßen aus: Sobald das unheimliche Knacken des Eises auf dem tauenden Sankt Lorenz zu vernehmen war, bereiteten wir uns auf die Abfahrt vor. Der Kapitän kam den Briten zuvor, indem wir die Ersten auf dem mit dicken Eisschollen beladenen Strom waren. Seiner Zeit hatte die Konstanze einen eisernen Steven erhalten, um den Eisschollen etwas entgegensetzen zu können. Und wir blieben stromabwärts 1000 Kilometer bis Labrador unentdeckt und unbehelligt. Mit der hamburgischen Flagge segelten wir in die Fanggebiete der Davisstraße und die Briten sahen uns als Walfänger, der wir nun mal waren - bis auf die neue graue Farbe - die uns einige respektlose Bemerkungen der anderen Walfänger einbrachte. Ziemlich gerissen vom Kapitän, was? Und nun sind wir zurück, Caspar!“

      „Ja und wir haben einen Bootsmann, der nun auch navigieren kann!“

      Ich klopfte ihm als Zeichen meiner Wertschätzung auf die Schulter und mir wurde in diesem Moment klar, dass wir verdammt gute Leute auf der Konstanze hatten. Alsdann richtete Jan sein Augenmerk auf die Waltranfässer, die unbedingt noch am gleichen Tag die Tranbrennereien an der Elbe erreichen sollten.

      „Was meinst du mit „dem Schicksal von Jacob nicht abfinden“, Caspar?“, fragte Lisa mit leiser Stimme. Selbstverständlich wusste sie, dass ich nicht tatenlos zusehen werde, wenn es noch eine Chance für Jacob gäbe.

      „Ich bin mir nicht sicher, was zu tun ist. Doch wir müssen Nachforschungen anstellen, Lisa. Schon für Jacobs Familie, Tante Nathalie, Antoinette und Onkel Clemens. Bedenke, Antoinette hat ihren Bruder noch nie gesehen. Auch von uns hat es in diesem Jahr niemand geschafft, nach La Rochelle zu fahren und dabei hatten wir mit Tante Nathalie und Onkel Clemens doch unseren Besuch so überschwänglich besprochen.“

      „Da war deine Mutter noch nicht tot und es gab auch keinen Streit in der Familie, Caspar!“, antwortete Lisa mit fester Stimme. Natürlich hatte ich falsch argumentiert und sie wieder Recht gehabt.

      „Das ist wahr. Doch dafür kann die kleine Antoinette nichts!“

      Auch Konstanze und Hinrich eilten aus der Katharinenstraße herbei. Es ging auch ohne Rennkutsche und ohne kollabierendes Ross. Jacobs Schicksal betrübte sie ebenso wie uns alle.

      Langsam löste sich die Ansammlung am Kehrwieder auf. Bald würde es die ganze Stadt wissen. Die verschollene Konstanze der Kocks war zurück! Vater fuhr mit Kapitän Broder und Steuermann Jaspar in seiner fliegenden Kalesche gemäßigt davon. Die letzten Waltranfässer wurden im atemberaubenden Tempo auf Fuhrwerke verladen, die in geordneten Kolonnen auf die Beladung warteten. Schnell hatte man die Apparatur in Gang gesetzt, die für die Weiterverarbeitung des Waltrans notwendig wurde, und in Hamburg immer noch eine Menge Leute beschäftigte. Die Letzten am Ort des Geschehens waren die allgegenwärtigen schreienden Möwen und ein übler stechender Geruch, der sich auch ohne Walfänger über dem Binnenhafen verteilte. Die Fleete der Stadt hatten wieder durch Versandung an Fließgeschwindigkeit eingebüßt. Die Kloaken der Stadt, die die zunehmende Bevölkerung schufen, missbrauchten das langsam fließende Alsterwasser als Transportmittel – bis zur Elbe. Entgegengesetzt fluten die Gezeiten der Nordsee die Elbe und befreien uns von Abwasser und Gestank. Wann werden die Ratsherren endlich die Gelder freimachen, die zur Entsandung der Fleete dringend notwendig waren?

      Hinrich kümmerte sich schließlich um das graue hässliche Schiff, das den Namen seiner schönen Frau trug, und auch den Möwen nicht mehr genügte, nachdem die blutigen Spuren des Walfangs und mancher Happen ins Hafenbecken gespült worden waren, und längst neue Fischer mit ihren Fängen im Hafen auftauchten.

      Ich wischte Lisa die letzten Tränen ab, und wir gingen wortlos heim. Sie zitterte noch immer. Nun gab es sehr viel zu überdenken. Lisa hatte wohl schon angefangen. Ich legte meinen weiten Rock um ihre schmalen Schultern. Auch ich bewegte mich auf wackligen Beinen. Eigene Gedanken, die uns die schockierenden Neuigkeiten von der Konstanze abverlangten, hielten uns noch eine Weile gefangen.

      Der Maler an der Malerbrücke, die offiziell eigentlich Brooksbrücke hieß, hatte seine Arbeit beendet. Jeder Hamburger sagte wie selbstverständlich Malerbrücke, schließlich sah man meistens Künstler mit ihren Staffeleien von der malenden Zunft oder solche, die es werden wollten, wenn man sie überquerte. Der Maler jedenfalls, dem ich an jenem Morgen begegnete, saß wahrscheinlich in einem Hafenlokal und berichtete blumig von einem Verrückten, den er früh morgens auf der Brücke getroffen hatte. Wohl in der listigen Hoffnung, sein mit einer übertriebenen Geschichte angereichertes Bild zu einem höheren Preis verkaufen zu können.

      „Meine großen Kinder, aufwachen! - Das war also die Ankunft unseres schrecklich grau gestrichenen Walfängers Konstanze in Hamburg. Es war damals ein großer Schock für uns, als wir von Jacobs Dilemma hörten. Ich lief zunächst voller Freude auf das Schiff zu und dann diese furchtbaren Nachrichten!“ Die Wechselgefühle waren schnell wieder präsent, als ich in die alte Geschichte hineinschlupfte. Ich schluckte sie mit dem restlichen Tee herunter, der inzwischen kalt und bitter geworden war.

      „Könnt ihr überhaupt noch zuhören?“, fragte ich erneut.

      „Na klar, Vater! So langweilig erzählst du gar nicht - heute! - Uns beide gab es da noch gar nicht und der Mief, von dem du zuletzt sprachst, der liegt nunmehr zwei Jahrzehnte über der Stadt. Scheinbar ist immer noch nichts passiert. Liegt das Rathaus im Windschatten des Gestanks?“, fragte Cornelius entsetzt.

      „Du hörst tatsächlich zu, gut! Allerdings rechtfertigt dies nicht, gegenüber deinem Vater frech zu werden, mein Sohn!“

      „Entschuldige, es sollte lustig sein. Insgeheim weißt du, wie gerne wir dir zuhören“, gab er an. Ich schaute ihn eine Weile an, er verzog keine Miene. Schließlich fuhr ich fort.

      „Nein, vor dem Rathaus riecht es auch nicht besser. Aber ganz so ist es nicht mit dem Duft über der Stadt. Die Fleete, die Abwässer der Stadt aufnehmen, wurden öfters vertieft. Doch die aufgestaute Alster führt unterschiedlich Wasser und somit ist auch der Transport durch die Fleete mal mehr oder weniger wirksam. Heute riecht es deshalb ab und zu. Früher den ganzen Sommer lang. Seit einiger Zeit denkt man, mit Schleusen das Problem zu lösen. Aufgestautes Wasser könnte druckvoll durch die Fleete rauschen, um einen heftigen Spüleffekt zu erzeugen. Die Ratsherren werden bestimmt lange streiten, bis eine Entscheidung getroffen wird. Schließlich können keine Schuten oder Kähne be- und entladen werden, wenn zeitgleich Flutwellen durch die Fleete toben, oder?“

      „Ja, ja, die Interessen der Kaufleute. Trotzdem können wir für die Stadt und seine Bewohner hoffen. Am Kehrwieder weht immer eine frische Brise, darum merke ich erst die schlechte Luft, wenn meine Nase die andere Hafenseite erreicht hat. Aber eigentlich wollte ich nochmals zurückkommen auf die Ankunft der Konstanze: Waren Tante Nathalie und Onkel Clemens schon zu diesem Zeitpunkt über Jacobs Verschwinden informiert gewesen?“, meinte Caroline, die als Erste den Faden wiedergefunden hatte.

      „Der Umweg über Frankreich wäre für Kapitän Broder zu groß gewesen. Sie hatten versucht, die Nachricht einem Schiff unterwegs auf See nach La Rochelle mitzugeben. Leider blieben die Versuche erfolglos. Es war dementsprechend unsere Aufgabe gewesen. Das nächste Schiff nach Frankreich segelte selbstverständlich mit einer ausführlicheren Nachricht.“

      „Hatte der Walfänger die weite Reise und den Beschuss gut überstanden, Vater?“, fragte Cornelius.

      „Der Neubau Konstanze war, trotz widriger Umstände, in einem erstaunlich guten Zustand. Allerdings wurden einige kleine Reparaturen im Quebecer Winterquartier vorgenommen, schon allein deswegen, um die lange Liegezeit zu nutzen, in der das Schiff kein Geld verdiente.“

      Cornelius vermied es, nochmals zum Gebäck zu greifen und dabei lag es nicht an seinem Appetit. Seine Finger zuckten und seine Schwester lauerte, nachdem sie in einem unbeobachteten Moment die Schale näher zu ihm stupste. Nur