Carsten Hoop

Caspar rund das Meer spricht Englisch


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gleichberechtigt arbeiten zu können und so hatte jeder von uns eine bedeutende wichtige Aufgabe innerhalb von Kock & Konsorten zu erfüllen. Heute bin ich froh, dass wir diesen Teil der Familienchroniken hinter uns haben und in ruhigeres Fahrwasser steuerten und ich mich nicht mehr ständig beweisen musste.

      „Vater, wie wirkte sich Neid und Missgunst unter euch aus“, fragte Caroline und erwischte den Punkt, den ich ungern näher ansprechen wollte, weil es bei diesem Thema nur Verlierer gab.

      „Nun gut, ich hatte es erwähnt. Also muss ich es euch auch erklären. Nach meiner Rückkehr fühlte ich mich von Vater akzeptiert, wenngleich das Los des Erstgeborenen an mir haftete. Er behandelte Hinrich und mich gleichermaßen, so wie es nie vorher der Fall gewesen war. Hinrich empfand es als Herabsetzung und sah seine Vorrechte als Erstgeborener beschädigt. Seinen Bruder als gleichwertiges Familienmitglied zu sehen, fiel ihm damals ziemlich schwer. Er war mit dem Ergebnis der Walfangfahrt gar nicht einverstanden. Hinrich sagte jedem, dass er nicht mit der Mannschaft und dem Walfänger in Quebec bei den Franzosen überwintert hätte, sondern mit dem Fang nach Hamburg gesegelt wäre und die Briten in die Flucht geschlagen hätte. Schließlich brauchte man den Waltran in Hamburg. Meinen umständlichen Heimweg, auf dem Ohio und den Mississippi nach Neu Orléans, fand er idiotisch und zudem hätte ich den Erlös des Walfangs aufs Spiel gesetzt. Außerdem warf er mir vor, unsere Mannschaft und das Schiff allein gelassen zu haben. Allerdings war er der Einzige, der diese Ansichten vertrat. Doch mein Zorn wurde deswegen immer wieder durch seine Beschuldigungen genährt. Schließlich wurde die Situation für alle unerträglich und Lisa und ich beschlossen ohne Brimborium kurzerhand zu heiraten. Vor allem aber, ein eigenes Heim zu beziehen. Es ging auch ohne pompöse Feier im Baumhaus, wie sie ursprünglich einmal geplant war. Ihr wisst vielleicht, dass gleich nach der Walfangfahrt im Oktober die Verlobungsfeier im Baumhaus gefeiert werden sollte, die eure Mutter vorbereitet hatte. Ihre Enttäuschung meines Fernbleibens war der Anfang des zermürbenden Wartens. Im Sommer heirateten wir schnörkellos, natürlich in der Katharinenkirche und mieteten die kleine Wohnung, drei Hauseingänge neben unserem heutigen Haus in unserer geliebten Kehrwiederstraße. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir von der Konstanze noch nichts gehört. Frühestens im September rechneten wir mit ihrer Ankunft. Erst in der zweiten Hälfte des Aprils war überhaupt mit dem Aufbrechen des Eises auf dem Sankt-Lorenz-Strom in Kanada zu rechnen. Vorab bedeutete dies, eine wiederum verkürzte Walsaison für die Konstanze und damit ein vielleicht spätes Eintreffen in Hamburg. Der Krieg der Franzosen und Briten in Amerika anno 1756 verstärkte sich indes. Wie eine heimtückische Seuche breitete sich auch in Europa der Krieg weiter aus. Seeblockaden, Kaperfahrer und Handelsbeschränkungen, bis hin zu weitreichenden Handelsverboten machten unsere Arbeit schwierig. Es brodelte in den Königshäusern Europas und die Herrscher überlegten, ob sie die richtigen Verbündeten hatten. Nun zählte auch ich zu den Wartenden und erfuhr die tägliche Qual des Durchlesens der Schiffsregister, die unter anderem die ankommenden Schiffe im Hafen aufführte. Damals könnte man meinen, dass sich die Heimfahrt der Konstanze nicht weniger risikoreich entwickelte, als das was ich zuvor in Neufrankreich erlebte. Im September bilanzierte Großvater die Neuaufteilung der Arbeit bei Kock & Konsorten mit einem zufriedenstellenden Ergebnis. Segensreich! Wir schlossen uns ihm in seinen Ausführungen an. In der Tat entspannte sich die Situation, sodass langsam die privaten Kontakte wieder zunahmen. Konstanze, Josephine und eure Mutter hatten hingegen diese Probleme nie gehabt. Die drei klugen Frauen versuchten sich, von Anfang an, aus allen Streitigkeiten herauszuhalten. Was der prekären Lage ohne Zweifel dienlich war.

      „Wieso bist du damals ausgezogen und nicht Hinrich?“, wollte Cornelius wissen.

      „Und warum wirst du immer so böse, wenn ich mich mit Cornelius streite?“, ergänzte Caroline mit dem gleichen unwiderstehlichen Lächeln ihrer Mutter und der ganzen Wonne ihrer Spitzbübigkeit. Inzwischen regnete es heftig und der erhellende Anblick des Frühlings verflüchtigte sich zusehends. Unterdessen hörten wir vom Hafen wiederholt laute männliche Stimmen, die unsere Neugier nochmals beflügelte. Caroline sprang in atemberaubender Geschwindigkeit aus ihrer Chaiselongue. Ihr aufwendiges Kleid verdankte nun wegen der verlängerten Liegefläche des Möbelstückes viele ungewollte Falten, die einer jungen Dame nicht stadthaft waren. Doch wir waren unter uns. Sie überschlug sich fast:

      „Der Ewer sinkt! Das Heck ist schon nicht mehr zu sehen.“ Nun liefen auch Cornelius und ich zum Fenster, um dem zweiten Akt des Schauspiels beizuwohnen. Fast ertrunkene Hühner wurden mit Netzen mühselig wieder eingefangen. Das vorherrschende Niedrigwasser nützte dem Schiff nichts. Der Ewer konnte komplett, bis auf den Mast natürlich, versinken. Die Männer arbeiteten hart, um dies noch zu verhindern. Denn dort war ausgerechnet das Hafenbecken erst vor einiger Zeit notdürftig vertieft worden. Der aufkommende böige Wind peitschte den Regen gegen das Glas unserer Fenster. Vom Lenz keine Spur mehr, stattdessen Hagelkörner. Bald erlahmte unsere Sensationslust und die nunmehr schlechte Sicht beschleunigte den Gang zurück zu unseren Plätzen, weg von der Misere am nahen Hafenrand. Zurück ins Jahr 1756, das noch eine Menge Scheußlichkeiten ganz anderer Art parat hatte.

      Ende August 1756 hatte Friedrich II. von Preußen das Kurfürstentum Sachsen blitzartig überfallen und löste damit einen gewaltigen Krieg aus, der sieben Jahre andauern sollte. Ich nehme es gleich vorweg. Die Rückkehr zur Barbarei verschob das Machtgefüge in Europa wenig, wenn man von der Eroberung Schlesiens, dem wahrscheinlich angestrebten Ziel des preußischen Königs, absieht. Doch es half den verbündeten Briten in den Kolonien, die Frankreich personell in der Alten Welt einbanden und somit in Amerika und Indien schwächte. Ich werde später noch darauf eingehen. Zunächst aber erzähle ich euch von unserem Walfänger, der Konstanze. Sie hatte ich samt Mannschaft in Quebec zurückgelassen, um nicht dort selbst überwintern zu müssen. Schließlich war die Verlobung mit eurer Mutter geplant, und ich wollte schnell nachhause zu ihr fahren und nicht in Quebec monatelang einschneien.

      „Gut so, Vater! Nur eines muss ich sofort wissen. Warum hat Friedrich II. die Sachsen angegriffen? Es ging doch um Schlesien, wie du sagtest“, fragte Cornelius, während uns Caroline unter erschwerten Bedingungen neuen Tee einschenkte. Ihre dunkelblonden hochgesteckten Haare hatten sich inzwischen in den Kissen des Kanapees verselbstständigt, sodass Carolines Korkenzieherlocken die Sicht stark einschränkten und der Tee nicht nur die Tassen flutete, sondern auch den Tisch. Cornelius grinste dazu anerkennend, während er auf meine Antwort wartete. Caroline ignorierte vornehm den verschütteten Tee, wie ihres Bruders schamlosen Grimassen.

      „Weil Friedrich II. eine Verschwörung und sogar eine Zerschlagung Preußens erwartete. Das Versailler Bündnis enthielt einen Angriffsplan gegen Preußen. Friedrich hatte durch seine zahlreichen Spione sehr wohl davon erfahren. Er kam seinen Feinden zuvor und konnte später nach dem Einmarsch in Sachsen in den Schubladen des kurfürstlichen Schlosses in Dresden genau ebenjene Angriffspläne auffinden. Später entlastete das Ereignis den preußischen König Friedrich II., der von seinen Gegnern zunächst als Aggressor der Auseinandersetzung hingestellt wurde.

      Nachdem wir unseren Tee getrunken hatten und der kalte Wind von peitschendem Regen abgelöst wurde, schauten mich die Kinder erwartungsvoll mit ihren großen Augen an, als ob der Zauberer vom Hopfenmarkt gleich vorbei kommen wollte.

      Es klingelte im Treppenhaus. Das bedeutete, Herminchen kam mit neuem Tee und Gebäck. Ich haderte mit mir, wegen des Verlusts von Josephine, die ich so lange nicht gesehen hatte und nach der ich mich sehnte. Ihre Gesellschaft bereitete stets größtes Vergnügen. In unserer Familie hinterließ sie eine Riesenlücke, die niemand zu füllen vermochte.

      „Herr Kooock!“ Herminchen wartete wie immer vor der Tür und Cornelius sprang erwartungsvoll auf und kam ihr entgegen, damit er das verheißungsvolle Tablett abnehmen konnte. Sie füllte sich hier oben immer unwohl. Besonders dann, wenn man ihr etwas Gefälliges sagte, witterte sie Argwohn und ihr zerknautschtes Gesicht verwandelte sich wie ein Akkordeon in Spiellaune.

      „Ihr Vater schickt nach Ihnen. Sie möchten in das Kontor der Katharinenstraße kommen. Was wünschen sie dem Boten mitteilen zulassen, Herr Kock?“, rief sie an Cornelius vorbei.

      „Hat er möglicherweise einen Grund genannt, nach mir jetzt sofort zuschicken, Herminchen?“

      „Hat er, Herr Kock.“ - Stille! - Ich beneidete