Carsten Hoop

Caspar rund das Meer spricht Englisch


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Für dieses hausgemachte Schauspiel war Caroline um keine List verlegen, und es störte sie nicht im Geringsten, dass ich alles mitbekommen hatte. „Niedlich“, sagte sie in solchen Situationen kichernd, und ging lächelnd zur Tagesordnung über, ohne wirklich böse Absichten gehabt zu haben. Sie liebte ihren Bruder eben auf ihre höchst eigene Weise.

      Der folgenschwere Krieg in Europa und Übersee veränderte unser Leben in Hamburg zunächst recht wenig. Die Stadt setzte ihre stete Neutralitätspolitik fort, soweit dies aufgrund der Verpflichtungen möglich war. Friedrich II. lieh sich unentwegt Geld von der Stadt. Ohne das Hamburg vom bedingten Handel und von der Aufrüstung des Königreiches wirklich profitieren konnte. Obwohl Preußen in diesen Zeiten Hamburg auch als Überseehafen nutzte, flossen die Warenströme an den Stadtkassen vorbei.

      Die Preußen wickelten ihren Seeverkehr aber weitestgehend über den dafür ausgebauten Ostseehafen Stettin und dem preußischen Hafen in Emden-Ostfriesland an der Nordsee ab. Ostfriesland gehörte seit 1744 zu Preußen. Wurde aber eigenständig durch einen Kanzler dezentral regiert. Getreide verkauften die neutralen Dänen und Mecklenburger an die Preußen, wenn es auch inoffiziell geschah.

      So lernte Tante Josephine in jener Zeit preußischer Aktivitäten ihres zukünftigen Gatten kennen. Die Stadt war gespickt mit preußischen Agenten, die einerseits die Unternehmungen in Hamburg beobachteten, anderseits Vorräte aller Art aufkauften, die im Krieg benötigt wurden. Insofern verzeichnete Hamburg einige Gewinne, ohne nennenswerte Bedeutung. Diese Agenten traten als Diplomaten, Edelleute und Gesandte, aber auch als Handwerker und natürlich als Kaufleute auf.

      Als eure Tante Josephine von Jacobs Geschichte erfuhr, trauerte sie drei Tage in ihrer Kammer um ihren geliebten Cousin. Ohnehin hatte sie deswegen sehr gelitten. Jacob erwiderte ihre Liebe, wenn auch auf seine Art und Weise. Ihr braucht hier nicht nachfragen. Ich kann dazu nicht mehr sagen. Jacob hatte mich diesbezüglich auf See ins Vertrauen gezogen und deswegen will ich nicht darüber sprechen, auch nach so langer Zeit nicht.

      Alsbald verabredete sie sich wieder mit den Freunden, so wie sie es früher in unbeschwerten Zeiten gemacht hatte. Sie war immer eine Frau von höchster Anmut und besonderer Heiterkeit gewesen, die ihre Wirkung auf das männliche Geschlecht nicht verfehlte. Darauf gaben sich ihre Verehrer wieder die Klinke in die Hand, sowie es früher der Fall war. Sie hatte den Anschluss an das Gesellschaftsleben schnell wieder gefunden, bis dieser Mann aus Mecklenburg in ihr Leben trat, von dem nun die Rede sein wird.

      Die Liebe schlug wie ein Blitz bei Josephine ein. Er umgarnte sie mit seiner schmierigen Art von morgens bis abends und es war nur eine Frage der Zeit, bis er an Vater herantreten würde, um seine Absichten kundzutun. Hinrich und ich waren uns nach langer Zeit so einig, wie nie zuvor. Wir trafen uns insgeheim in einem entfernten Gasthaus vor den Toren der Stadt und überlegten, wie unsere Schwester vor dem Gauner zu retten war. Auch unsere Frauen sollten erst einmal von unserem Vorhaben ausgeschlossen bleiben, da wir eine kleine Verschwörung der Frauen aus Unwissenheit nicht ausschließen konnten. Wir wussten, dass er für die Preußen im Hamburger Hafen spionierte und zum Teil über seinen Landsitz in Mecklenburg Getreide nach Potsdam aufkaufte. Getreidehändler hatten ihn sogar im Holsteinischen, wie im heimischen Land gesehen, wie er mit Bauern um den Preis feilschte. Später berichteten sie meinem Vater von den Vorfällen, als die Gelegenheit in Hamburg dies ermöglichte. Außerdem war Freiherr Bernhard von Bräsow Anteilseigner einer mysteriösen Fregatte, die unter dänischer Flagge nach Übersee fuhr. Wir hatten noch nie etwas von dem Schiff gehört. Es war jedenfalls nicht an der Elbe beheimatet.

      „Wir müssen herausfinden, wie er seine neu hinzugewonnenen Kenntnisse transferiert“, sagte Hinrich in gedämpften Ton, als der Schankwirt irgendwo im dunklen Hohenfelde die Biere an unseren Tisch brachte.

      „Und es ist erforderlich zu wissen, welchen Weg das Getreide nach Preußen nimmt“, fügte ich mit gedämpfter Stimme bei unserem konspirativen Treffen an.

      „Genau! Wir werden jemanden hinter ihm herschicken müssen, der in solchen Angelegenheiten geübt ist. Sollten wir dem Kerl auf diesem Wege nicht sein schmutziges Handwerk nachweisen können, wäre auch eine Überprüfung seiner Schiffsanteile hinzu zuziehen. Er sagt einfach nicht, um was für ein dubioses Schiff es sich handelt.“

      „Ich habe versucht, ihm die Namen seiner Partner und des Kapitäns zu entlocken, doch er ist geschickter als ein windiger Jongleur des Hopfenmarktes. Zusätzlich müssen wir Josephine mit reichlich Arbeit eindecken, damit sie wenig Zeit für ihn hat. Kannst du dich darum kümmern?“, fragte ich Hinrich.

      „Ja, das ist eine gute Idee! Da fällt mir schon was ein. Doch zunächst wird sich Bernhard von Bräsow einstweilen verabschieden. Er wird mit seinen Fuhrwerken und wahrscheinlich viel Getreide in seine Heimat aufbrechen und Josephine hat mindestens vier Wochen Zeit zum Nachdenken. Weißt du jemanden, der ihn verfolgen kann?“, meinte Hinrich begeistert und kratzte seinen beeindruckenden braunen Bart, der sein halbes Gesicht verdeckte.

      „Ich hatte an Joswig Stein gedacht. Er fährt in drei Tagen für Kock & Konsorten nach Stormarn. Fast die Richtung, die auch Freiherr von Bräsow einschlägt, um sein Getreide zu den preußischen Rebellen zu fahren.

      „Nicht schlecht die Idee! Der Stein war es doch, der säumige Händler bis Tönning verfolgte, die Schulden eintrieb, und mit Taschen voller Geld zurückkam. Joswig ist mit allen Wassern gewaschen, und uns bisher immer treu ergeben gewesen. Und er kann die preußischen Schnösel nicht leiden, die in unserer Stadt herumstolzieren und überall ihre gepuderten Nasen reinstecken. Was für den mecklenburgischen Freiherrn Bernhard von Bräsow ebenso gilt, der aus Habgier und sonstigem Eigennutz die deutsche Sache verrät, wie Friedrich selbst.“ Auch in dem Punkt waren Hinrich und ich gleicher Meinung. Deutsche schießen nicht auf Deutsche, nur weil die höher gestellten Persönlichkeiten als Vertreter ihres Germanenstammes sich nicht einigen können!

      Nach vier Wochen trafen wir uns aus dem gleichen Anlass im selben Gasthaus wieder. Nur diesmal hatte ich unseren Fuhrmann und Mann für alle Fälle, Joswig Stein mitgebracht. Er war erst letzte Nacht zurückgekommen und Hinrich und ich waren sehr gespannt, was er zu berichten wusste. Joswig, der recht kurz geraten war, konnte man trotzdem ganz leicht von weiten erkennen. Zu seinem grauen Dreispitz passte exakt seine Haarfarbe, die auch die buschigen Brauen einschlossen. Sein Filzhut zierte immer eine aufrecht stehende Gänsefeder, die ihn größer erscheinen ließ, dachte er zumindest. Doch die Mühe lohnte sich kaum, denn seine kleinwüchsige Natur war unverkennbar. Das noch volle Haupthaar des Hinterkopfes hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Des Weiteren bestand Joswig Stein aus braunen Kutscherstiefeln, die fast bis zum Gesäß ragten. An seiner Gestalt war nur eines groß: Die verhornten narbigen Hände mit den erdfarbigen Fingernägeln hatten die Größe von Mistgabeln. Man sah ihm an, dass er die Arbeit nicht scheute und blickte man ihm tief in seine Augen erkannte man einen gütigen Menschen in kleiner Gestalt. Wir schätzten jeden Zentimeter an ihm, denn er stand für Fleiß, Loyalität und Zuverlässigkeit.

      „Gut Caspar, dass du Joswig gleich mitbringen konntest. Wie ist es gelaufen?“, raunte Hinrich ganz elektrisiert vor Neugier.

      „Wir fuhren seinen Gespannen hinterher. Die Fahrt ging überraschenderweise zum hiesigen Hafen. Ich hatte mich schon gewundert, seine Wagen waren gar nicht voll beladen gewesen. Im Hafen sahen wir, wie er noch zusätzlich Kisten verstaute, die mit vorhandenen Weizensäcken verdeckt wurden. Dann fuhr der feine Herr in Kolonne mit seinen Leuten nach Osten. Jede Zollstation ließ er aus und nahm dafür große Umwege in Kauf. Auch durch tiefe Wälder mit schlechten Straßen schreckten ihn dabei nicht ab. Seine Männer bemerkten uns nicht. Wir konnten genügend Abstand halten, weil die Räder der Fuhrwerke tiefe Spuren in dem morastigen Boden hinterließen. Nachdem wir weiterhin ostwärts Stormarn und anschließend Lauenburger Gebiet durchquert hatten, sahen wir die erste Mecklenburger Zollstation kurz vor Boizenburg an der Elbe. Dort hatte ich das erste Mal die Chance, die Waren des Freiherrn von Bräsow näher zu betrachten. Unter dem Weizen befanden sich Kisten mit Waffen! Zeitgleich erfuhren meine Männer im Wirtshaus der Zollstation, das von Bräsow lediglich den Weizen verzollte. Jetzt verstand ich, warum er nicht direkt sein Zeug elbaufwärts transportierte. Dort wäre er viel öfter kontrolliert worden, als auf dem zurückgelegten Weg. Und in Hamburg fuhr er mit dem Weizen in den