Carsten Hoop

Caspar rund das Meer spricht Englisch


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erwarten war. Niemals hätte ich das Leben meines Bruders oder das der anderen Beteiligten aufs Spiel gesetzt, um doch noch mitfahren zu können. Obwohl ich zugegebenermaßen, einen sehr starken Willen hatte und hart kämpfte, um mit an Bord des Walfängers zu gehen. Ich sah es absolut nicht ein, warum ich als Zweiundzwanzigjähriger dafür ungeeignet sein sollte. Denn das war, ich sagte es bereits, die damalige Meinung eurer Großeltern, die sie aber später grundlegend änderten. Übrigens auch Onkel Hinrich! Nur die Fortschrittlichsten der Familie, Tante Nathalie und Onkel Clemens, trauten mir damals sofort die Walfangfahrt zu. Sonst hätten sie wohl auch ihren einzigen Sohn Jacob nicht mit auf die Fahrt gelassen, oder?“

      „Deshalb lässt du mich schon eher zur See fahren, stimmt es?“

      „Ja, und es hat dir bisher nicht geschadet!“

      „Im Gegenteil“, mischte sich Caroline mit spitzer Zunge ein, „es tut ausgesprochen gut, wenn er weg ist!“

      „Das sehe ich ausnahmsweise auch so, Caro. Zumindest was dich betrifft!“

      „Schluss mit dem Gezänk! Hoffentlich werdet ihr irgendwann nicht mehr so garstig zueinander sein“, beendete ich knapp das kleine Intermezzo unter Geschwistern, denn der Hafen verschaffte rasche Abwechslung, die uns für einen Moment vom Thema ablenken sollte.

      Im Binnenhafen bugsierte ein Lotse mit lauten Kommandos einen großen Segler durch das Labyrinth des Hafenbeckens. Bald würden die Schiffe dieser Größenordnung nicht mehr in das Hafenbecken gelassen, denn die Unfälle und Karambolagen nahmen stetig zu. Die Hochseeschiffe wurden in ihren Ausmaßen größer, doch der Binnenhafen eben nicht. Der Gedanke war noch in meinem Kopf, da hörten wir ein lautes Knirschen. Ein verdächtiges Geräusch, das nur aus dem Hafen kommen konnte. Cornelius und Caroline hatten genauso wie ich das gemütliche Kanapee verlassen, um die Angelegenheit aus dem Dachfenster zu betrachten. Aufgeregt liefen die beteiligten Stauer- und Seeleute durcheinander. Der Dreimaster hatte einen vertäuten kleinen Frachtewer erwischt. Letzterer ist ein vielseitig nutzbares Schiff für die kleinen Transporte der kurzen Wege. Mit nur einem beweglichen Mast ausgestattet, war der Ewer auch in den bebrückten Fleeten einsetzbar. Er wurde gerade entladen, als es zur knirschend durch Mark und Bein gehenden Kollision kam. Ein paar Dutzend Hühner flatterten nun durch den Binnenhafen, weil die Verschläge sich verselbstständigten. Wir konnten uns kaum vor Lachen halten, obwohl ich mich meiner Schadenfreude vor den Kindern sehr bald schämte.

      „Viel besser sind die Komödien auf dem Hamburger Berg auch nicht“, pustete Caro und klopfte ihrem Bruder in gespielter Eintracht auf die Schulter.

      „Wartet ab, bis sie versuchen die Federviecher einzufangen, ereiferte sich Cornelius, in nichts seiner Schwester nachstehend.

      „Vielleicht wird diese Havarie die Ratsherrn zum Handeln bewegen?“, sagte ich mit nunmehr gefestigter Stimme.

      Nachdem wir das für und wider der dicken Frachtschiffe im Binnenhafen eingehend diskutierten, nahmen wir unsere alten Sitzplätze wieder ein. Ein Vorschlag von Cornelius, der nun richtig aufdrehte, geisterte mir allerdings noch ein wenig im Kopf herum. Seine Vision verriet Fantasie, aber auch beispiellose Rücksichtslosigkeit. Er wollte das große Fleet zur Nikolaikirche verbreitern und fernerhin Häuserzeilen einfach abreißen lassen, um es seeschifftauglich zu machen. Wenn wir noch weiter diskutiert hätten, käme bestimmt noch ein Durchbruch zur Alster dazu. Infolgedessen hätte man beispielsweise Hochseeschiffe im kleinen verträumten Eppendorf beladen können. Doch dazu kam es zum Glück nicht mehr und alles blieb erst mal so, wie es war.

      Im Übrigen diskutierten wir in der Kaufmannschaft mit ernstem Hintergrund das allgegenwärtige wichtige Thema der Hafenerweiterung, dass wohl nie den Zustand der Vollendung erreichen wird. Die meisten Herren vertraten allerdings die Ansicht, dass die Schiffsgrößen aus technischen Gründen nicht beliebig erweitert werden konnten, die Hafenflächen allerdings schon. Doch es entstand schnell Uneinigkeit darüber, ob die Größe der Schiffe für Walfänger genauso gelten sollte, wie für Handelsschiffe oder Kriegsschiffe.

      Zum Thema Schiffsgrößen und Ladung sagte mein Vater immer gerne Finger erhebend, um die Wichtigkeit seines Satzes zu unterstreichen:

      „Die gefühlvolle, meist durch Erfahrungswerte genährte Risikoabwägung des Eigners bestimmt den Erfolg maßgeblich, sowie selbstverständlich das Glück des Tüchtigen.“

      Doch dieser Rempler hatte nichts mit Risikoabwägung zu tun. Der Binnenhafen war einfach zu vollgestopft. Es wurde im Hafen langsam wieder ruhiger und wir erinnerten uns flugs, warum wir hier oben versammelt waren.

      Die ersten Monate des Jahres 1756 wurden durch Trauer, Streit, Neid und Missgunst geprägt. Der Tod eurer Großmutter, Charlotte Kock, hatte die Familie schlagartig verändert. Euer Großvater zog sich aus privaten Streitigkeiten zurück, anders als im Geschäftsleben, wo er noch immer seine Tätigkeiten hatte. Sein Verhalten bei Familienangelegenheiten kannten wir bereits, nur dass eure Großmutter sonst intervenierte, und allen Hindernissen trotzte. Josephine zog nicht mehr mit ihren Freunden über den Reesendamm, wie sie es noch im letzten Sommer tat, sondern sie unterstützte eure Mutter in der Kirche und nahm wieder regelmäßig am Gottesdienst teil. Zunächst wohnten wir noch alle unter einem Dach in der Katharinenstraße. Die missliche Lage spitzte sich unaufhörlich zu und die Neuordnung der Familie, sowie des Unternehmens Kock & Konsorten in Hamburg war unausweichlich geworden.

      Während der Ostertage des Jahres setzten wir uns zusammen, damit wir über die Neuverteilung der Arbeit sprechen konnten. Obwohl wir uns in den Wochen in vielen persönlichen Dingen nicht einig waren, erreichte die Familie eine für alle einvernehmliche Lösung für das Familienunternehmen.

      Hinrich und Konstanze hatten Großvater viel Arbeit abgenommen, als es Großmutter so schlecht ging und ich mich auf einem wackligen Postschiff am Mississippi befand. Dessen ungeachtet verstarb gerade erst Onkel Benjamin, der Zeit seines Lebens eine Apotheke am Neuen Wall betrieb, wo Konstanze zuvor ihr zuhause und Arbeit hatte. Konstanze musste ihr alleiniges Erbe antreten und die Apotheke samt Anliegerwohnung verkaufen. Sie verzichtete auf ihr schmuckes Heim und der Apotheke am Neuen Wall, in der sie Onkel Benjamin, ihr letzter lebender Verwandte, bis zu seinem Tod zur Hand ging. Konstanze war inzwischen befähigt die Apotheke allein fortzuführen, doch sie entschied sich, Hinrich und den Schwiegereltern zu helfen, indem sie im Kontor in der Katharinenstraße mitarbeitete. Konstanze arrangierte sich mit den übrigen Kocks in dem großen Haus. Josephine übernahm Mutters Arbeit, ohne dass sie gefragt werden musste. Sie organisierte das Familienleben, sowohl den großen Haushalt. Darüber hinaus erledigte sie ihre Kontoraufgaben und vielerlei Weihnachtsverpflichtungen gegenüber der Stadt und dem Handel.

      Große Anerkennung und den Stolz meiner Eltern erfuhr ich, als ich im Dezember 1755 von der vermeintlichen Walfangfahrt heimkam. Obwohl ich ohne Mannschaft und Schiff dastand, allerdings mit einem kleinen Vermögen aus dem Erlös des Walfangs. Gerade die Anerkennung meiner Eltern vermisste ich in den Jahren meiner Jugend so sehr, dass ich mich schon lange danach gesehnt hatte, endlich als vollwertiger Mensch angesehen zu werden und nicht als jüngster Spross der Familie mit der Narrenfreiheit eines Harlekins gesegnet zu sein. Die Einzelheiten erzählte ich bereits ausführlich.

      Doch nun zum Ergebnis unseres Familientreffens Ostern 1756. Großvater wollte weiter für das Kerngeschäft, den Handel zuständig sein, Hinrich kümmerte sich um die Reederei, während ich für alle überseeischen Unternehmungen zuständig wurde - sozusagen Ressort übergreifend. Insbesondere für die Waren unserer europäischen Nachbarn aus ihren Kolonien, die einen immer größeren Stellenwert bekamen. Ob Kock & Konsorten den Walfang fortführen wollte, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Vater hatte sich mit Onkel Clemens aus La Rochelle per Schriftwechsel verständigt. Denn Onkel Clemens redete als Miteigentümer des Konsortiums selbstverständlich mit und zudem war seine Meinung von großem Gewicht. Damals wie heute wurden die Schiffsverbindungen zwischen La Rochelle und Hamburg während des Winters unterbrochen, wenn die Witterungsverhältnisse entsprechend ausfielen. Deshalb bekam euer Großvater, Johann Ludwig Kock, erst kurz vor Ostern die Antwort aus Frankreich, indem Onkel Clemens meinem Vater freie Hand ließ und die Sache nicht weiter verkomplizierte. Onkel Clemens war bekanntermaßen schon viel früher von den Fähigkeiten meiner Geschwister und mir überzeugt gewesen.