Carsten Hoop

Caspar rund das Meer spricht Englisch


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mir anfangs als Nachteil erschien. Ich hatte gehört, dass Irokesen auch Weiße in ihre Stämme integrierten. War diese Frau eine von denen, die vielleicht zuvor ein ganz normales Leben in einer gewöhnlichen Stadt Neufrankreichs geführt und viele Kinder und einen treuen Ehemann ihr Eigen genannt hatte? Sie kam näher und schaute mir nur Bruchteile einer Sekunde in die Augen. Nein, das konnte doch nicht wahr sein. Das konnte ich nicht glauben! Dieses Lächeln und die grünen Augen, die unvergleichlich waren? Nun stand sie allein vor mir. Ich sah nur noch in ihr Gesicht. Ihre funkelnden Augen leuchteten mich im Feuerschein an. Das dunkelblonde Haar wehte ihren Lavendelduft im leichten Wind zu mir herüber. Ihr Lächeln jagte mir einen eiskalten Schauer über den schmerzenden Rücken. Dann sagte sie völlig ruhig, wie bei einem Sonntagspaziergang auf dem Stadtwall: „Ich wusste gar nicht, dass du auch eingeladen bist!“

      Es war Lisa! Meine Lisa! – Das konnte doch gar nicht sein!

      Ich versuchte, mich von meinen Fesseln zu befreien. Ich zappelte und zappelte, bis … ich schließlich aus dem Bett fiel!

      Lisa zündete in aller Ruhe eine Kerze an, die immer griffbereit auf ihrem Nachttisch stand, eine von den Mehrfarbigen, die sie regelmäßig zum Geburtstag von Konstanze und Hinrich bekam.

      „Komm zurück ins Bett. Du hast wieder einmal geträumt!“

      Es war eine der traumatisierten Nächte, die mich seit meiner Amerikareise heimsuchten und quälten. Ich konnte den grausam erlebten Krieg, der zwischen den französischen und britischen Kolonien während meiner Amerikaquerung 1755 getobt hatte, nicht vergessen. Immer wieder sah ich die bestialisch zugerichteten Leichen, so als wäre ich gestern noch in Amerika gewesen. Ganz anders war es hier zu leben, zu lieben und zu arbeiten – in einer relativ friedlichen Welt mit einigermaßen geordneten Verhältnissen. So ganz ohne Einschränkungen ging es zwar auch nicht! Aber es war ein anderes Milieu, das in einem höhere Bedürfnisse weckte, die mit den nackten Existenzkämpfen im Indianerland, die den Menschenseelen auf Dauer nur schaden konnten, nicht das Mindeste zu tun hatten. Doch ich bereute fast nie, damals mit einer Handvoll Männer diesen Weg entlang des Grenzlandes gegangen zu sein, anstatt einer langwierigen Überwinterung in Quebec entgegenzusehen, die die Mehrheit der Mannschaft des Walfängers Konstanze bevorzugt hatte. Nach dem Löschen der Ladung war die Mannschaft ungebunden gewesen und hatte über ihren Verbleib selbst bestimmen können. Doch die Konstanze war in den Kolonialkrieg hineingerutscht. Der Kapitän und ich, wir wollten nicht über das Schicksal der Mannschaft bestimmen, weil unsere Reise einen anderen Verlauf nahm, als bei der Schließung der Heuerverträge vorhersehbar wurde.

      Lisa wartete damals auf mich, denn unsere Verlobungsfeier war fest verabredet, und ich wusste, wie sehr sie den Tag meiner Rückkehr herbeisehnte. Doch zu diesem Zeitpunkt befand ich mich Hunderte Seemeilen von Lisa und meiner Heimat entfernt.

      2. Wechselspiel der Generationen

      Bis zuletzt pfiffen die regelmäßigen Brisen in arktischer Manier um die Kehrwiederinsel und damit auch über die roten Dachziegel unseres Backsteinhauses. Doch wie auf Kommando endete dieser letzte winterliche Ansturm. Nun schien der Wind, der „quirlige Freund des Seemanns“ ein verspätetes Nachsehen mit allen Zuhausegebliebenen zu haben, die den wahrhaftigen Frühling herbeisehnten und dem unbeständigen Wetter ihre Kehrseiten zeigen wollten. In einem Moment der Stille schaute ich aus dem Dachfenster unseres Hauses hoch über den Landestegen, um das emsige Treiben im Binnenhafen am ersten Frühlingstag zu verfolgen.

      Die Kinder und ich waren heraufgekommen, um nochmals meine Reisen über den Atlantik gemeinsam zu durchleben. Sie hatten inzwischen Durchhaltevermögen gewonnen und ich brauchte so etwas wie eine Eigenbehandlung gegen die nächtlichen Angstzustände, die meine Frau Lisa und mir schwer zu schaffen machten. Nicht, dass uns nach ebenjener Nacht der Schlaf früh morgens fehlte. Gelegentlich hatte Lisa meine geballte Faust gespürt, weil ich in meiner Fantasie gegen sämtliche amerikanische Feinde gleichzeitig kämpfte. Ich musste mich dem Problem stellen. So konnte das nicht weitergehen. Sonst würde womöglich Lisa bald mit einem blauen Auge aufstehen müssen.

      Meine erste Geschichte hatten die Kinder bereits geduldig ertragen, ja sogar mit Begeisterung vernommen, ohne dass ich hier übertreiben wollte. Ich hatte mich gewiss nicht als Held verkauft. Von meinen nächtlichen Störungen wollte ich sie allerdings nicht in Kenntnis setzen.

      Als junger Kerl trieb es mich damals zum Walfang, voll von quälendem Fernweh, tugendhaften Idealen, dem Wunsch nach Anerkennung und mit den dazugehörigen Hummeln im Hintern. Dann die Ernüchterung auf See, der qualvolle Tod der Tiere, das viele Blut durch die Zerstückelung und meine vorsichtige Abkehr von diesem einträglichen Gewerbe, dessen Wert zweifelsohne für die Entwicklung der Menschen nicht geschmälert werden sollte, doch ich wollte nie wieder etwas damit zu tun haben.

      Nun hatte ich selbst einen neugierigen Sohn in diesem Alter, der die Welt in ihrer Unermesslichkeit kennenlernen wollte. Mit den gleichen jugendlichen Hummeln? Ich war mir nicht sicher.

      Leider blieb der Blutzoll der Völker in Form von Kriegen der Welt damals wie heute erhalten. Der 1775 begonnene und fortwährend andauernde Unabhängigkeitskampf der Amerikaner, die mit der englischen Krone gebrochen und sich bereits eigenen Gesetzen verschrieben hatten, sorgte wieder für Kriegszustände, die die Seeleute der neutralen Staaten nicht unberührt ließen. Nun also sollte mein Sohn Cornelius auf verantwortlichem Posten auf das Meer hinaus, wo gleichzeitig dieser weitreichende Konflikt ausgetragen wurde, dessen Ende nach zwei Jahren in keiner Weise absehbar war.

      Derweil meinte ich, meinen Eltern heute mehr Verständnis für ihre Entscheidungen bezüglich meiner Erziehung entgegenzubringen. Anders allerdings vor zweiundzwanzig Jahren, als ich selbst um einen Platz als Seemann auf dem Walfänger kämpfen musste und meinte, meine eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen. Damals hatten sie mir die Fahrt zunächst verboten und ich durfte überhaupt nur wegen Hinrichs Unfall an der ersten Walfangfahrt des Familienunternehmens teilnehmen. Deshalb sollte mein Sohn diesen Kampf mit den Eltern nicht ausfechten müssen. Aus Cornelius war ein kluger ansehnlicher junger Mann mit Begeisterung für die Handelsschifffahrt geworden – manchmal in seiner Art noch vorsichtig, zögerlich und nachdenklich, statt kühn und entschlossen. Oder möglicherweise auch behäbig, aber was er tat, hatte Hand und Fuß. Darauf kam es schließlich an, wenn man als Offizier eines Schiffes Verantwortung übernehmen wollte.

      Meine Schwester Josephine hatte ich leider schon vor langer Zeit aus den Augen verloren. Doch ich wusste, dass ich sie irgendwann wiedersehen würde. Meine Tochter Caroline, Cornelius` ältere Schwester, hatte einige Talente mit ihrer Tante Josephine gemeinsam, ohne das Erbe ihrer Eltern in den Schatten stellen zu wollen. Sie beherrschte wie diese die Rechenkunst, die Josephine damals im Kontor von Kock & Konsorten idealerweise ausgelebt hatte. Äußerlich hingegen ähnelte Caroline mehr und mehr ihrer Mutter, mit den täuschend sanften grünen Augen und dem langen dunkelblonden Haar, das sie seit ihrer Jugend genauso hochsteckte, wie Lisa es gern tat, seitdem sie die Modejournale aus Paris las, die Tante Nathalie nimmermüde mitbrachte. Ja, manchmal dachte ich für einen Augenblick, Caroline statt Lisa lächelte mich an. In einem Punkt unterschied sich Lisa jedoch von allen anderen: Sie hatte eine ausnahmslos feinfühlige Intelligenz. Sie konnte mit Hirn und Bauch zugleich denken. Unsichtbare Signale verarbeitete sie mit magischen Schwingungen, die ihre Sinne aus der Umgebung einfingen. Wer weiß das schon genau, wenn es nicht greifbar ist! Zeitgenossen sollten sich davor hüten, in ihrer Nähe zu flunkern. Allein der Versuch löste kleine, rötliche gekräuselte Fältchen auf ihrer Stirn aus. Dadurch las sich allerhand aus ihrem ebenmäßigen zarten Gesicht ab, bevor es in Worte gefasst oder gar gröberes Unterfangen seinen Lauf nahm. Doch das passierte selten, denn eigentlich hatte sie immer ein nach Harmonie strebendes Wesen und Lisa fühlte sich durch ihre Religion allemal verpflichtet, mit ihren Mitmenschen friedlich auszukommen.

       C. Hamburger Hafenviertel um 1755

      

      Entgegen der üblichen Bauweise hiesiger Kaufmannshäuser fertigten wir den Speicher unterm Dach, auf dem wir uns gerade befanden, zum Wohnraum für besondere Anlässe um. Der himmlische Ausblick auf Elbe, Stadt und Hafen belohnte für die fantasievolle