Alexander L. Cues

Die Ketzer von Antiochia


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ihrer Herren dürfen sie unsere Versammlungen besuchen.“ Der Richter drohte ihm: „Ihr wisst, dass euch verboten ist, Menschen zu überreden, euren Aberglauben anzunehmen. Tut ihr das dennoch, verbiete ich eure Zusammenkünfte.“ Simon hatte sich geschickt verteidigt und damit größere Konsequenzen für seine Gemeinde verhindern können. Den Verdacht des Proselyten-Machens konnte er aber trotz aller Bemühungen nicht entkräften, was ihm eine Prügelstrafe von 50 Stockschlägen und eine Geldstrafe von 300 Denaren mit einer Frist von einer Woche einbrachte. Das drohende Verbot der Gottesdienste und Zusammenkünfte war damit aber erst einmal abgewendet. Bis zur Entrichtung der Summe wurde Simon in Kerkerhaft genommen. Die vermögenden Mitglieder der Gemeinde konnten nach fünf Tagen das Geld aufbringen, das ihm die Freiheit brachte. Hierbei tat sich Silvia, die Frau des Commodus, durch besondere Güte hervor. Die Gemeinde musste aber in Zukunft mit verschärfter Beobachtung durch die Behörden rechnen. Alexander und Berenike hatten ebenfalls einen Beitrag geleistet, um die geforderte Summe aufzubringen. Der junge Grieche besuchte den nächsten Gottesdienst ohne seine Schwester, die seit zwei Tagen krank daniederlag. Als er ihr erzählte, wie die Verhandlung gegen Simon abgelaufen war und was dieser zu seiner Verteidigung geantwortet hatte, meinte sie sichtlich irritiert: „Ich dachte, wir seien alle Geschwister und vor Gott gleich in unserer Gemeinde. Wie kann Simon uns als Gottesfürchtige bezeichnen? Wir sind auf Christi Namen getauft. Was unterscheidet uns von den jüdischen Geschwistern?“ Ihr Bruder wusste darauf nicht gleich zu antworten, meinte dann aber: „Ich glaube auch, dass alle, die an Christus glauben, Gottes Kinder sind, ob sie beschnitten oder getauft sind.“

      VIII Einige Wochen später starb Timotheus, der jüngste Bruder von Berenike, im Alter von zehn Jahren. Er hatte bereits seit Tagen über heftige Schmerzen im Unterleib geklagt. Der hinzugerufene Arzt verordnete die Einnahme eines Abführmittels, was aber nur eine kurzfristige Besserung brachte, ehe sich der Zustand des Jungen am nächsten Tag verschlimmerte. In der Nacht vor seinem Tod fieberte er hoch und erbrach sich. „Kann es sein, dass nichts geschieht ohne den Willen Gottes? Wenn er gütig ist, warum lässt er dann unseren Bruder elend sterben?“ klagte Berenike in ihrem Kummer. Alexander versuchte zu trösten: „Niemand kann den Willen Gottes ganz verstehen. Aber wir dürfen glauben, dass Christus uns nahe ist im Leid. Lass´uns nicht vergessen, dass wir hier nur Gäste und Fremdlinge sind. Unser Bruder geht uns voraus in die ewige Heimat. Er wird Gott sehen in seiner Herrlichkeit.“ Die Haut des Kindes hatte sich gelb verfärbt. Sein abgemagerter Körper wurde von heftigem Schüttelfrost gepackt. Alles, was sie ihm einflößten, kam sofort wieder heraus. Berenike wandte sich in ihrer Not an Gott, der zugelassen hatte, dass ihre Eltern umkamen und ihnen nun auch noch ihren Bruder nahm: „Was haben wir versäumt, dass du uns mit dem Tod bedrohst? Hat nicht Christus für uns gelitten?“ Es half nichts: In den Morgenstunden starb Timotheus, der Bruder, den sie so sehr geliebt hatte. Sie beerdigten das Kind auf dem Gräberfeld, das die Christianer von einem phönizischen Kaufmann erworben hatten, dessen Familiengrab sich hier befand. Er hatte mit ihnen ausgehandelt, dass auch er hier einmal beigesetzt werden sollte, wenn er auch kein Christusgläubiger war. Auf dem Heimweg nach der Beerdigung sprachen sie darüber, wie die Toten, die im Glauben an Christus gestorben waren, zu Gott gelangen. Berenike, die ihren Bruder sehr geliebt hatte, war nach wie vor untröstlich. Viele Fragen waren ihr gekommen: „Wird es eine Auferstehung der Toten geben? Wird der Leib von Gott wiederhergestellt? Oder wird nur die Seele zu Gott gelangen?“ Darauf wusste Alexander keine rechte Antwort und meinte: „Lass´uns die Prophetin fragen. Sie weiß mehr darüber und kennt sich gut aus in den Heiligen Schriften der Judäer. Vielleicht wissen auch Simon oder Kleopas mehr.“ Sie beschlossen, die Glaubensgeschwister in dieser Sache zu befragen. Alle mussten doch ihre Toten begraben und hatten deshalb großes Interesse daran zu erfahren, was mit ihnen geschieht. Antwort auf ihre Fragen kam bald darauf zur Überraschung aller von jemandem, der neu in der Gemeinde der Christianer war und den sie noch nicht kannten. Euodius, Sklave eines Ratsherrn, besuchte erst seit kurzer Zeit ihre Gottesdienste und erwies sich als philosophisch gebildet. Er unterrichtete im Hause seines Herrn die Kinder desselben, konnte lesen und schreiben und sprach Lateinisch, Griechisch, Aramäisch und Syrisch. Nachdem er drei Monate die Gottesdienste besucht hatte, begehrte er die Taufe mit Wasser und Geist. Als Simon und die Prophetin den Ernst seines Anliegens geprüft hatten, unterrichteten sie ihn wie alle anderen, die zu den Christusgläubigen gehören wollten. Nach vier Monaten stand seiner Taufe nichts mehr im Wege. Er war von nun an regelmäßig anwesend, so auch jetzt, als Alexander die Prophetin und Simon danach fragte, worauf die Christusgläubigen nach ihrem Tod hoffen dürften. „Wir werden unsere Toten wiedersehen,“ schaltete sich Euodius ein und fuhr fort: „Ich glaube, wir können uns den Tod vorstellen wie das Ausziehen eines Kleides. Gott schafft Körper aus dem Nichts und wird uns ein neues Kleid geben.“ Diese Vorstellung gefiel Berenike gut, minderte aber nicht ihre Trauer um den Verlust des jüngeren Bruders: „Er war doch noch ein Kind, unschuldig wie alle Kinder. Was hat Gott damit zu tun, wenn Kinder sterben?“ Darauf erhielt sie aber auch von Euodius keine Antwort. Simon meinte noch, es könne ja auch so sein, dass Christus selbst die Verstorbenen zu sich hole in den Wolken des Himmels. Alle waren sich einig in der Hoffnung, Gott werde sie nicht dem Tod überlassen, weil er ja auch Christus wieder lebendig gemacht habe. Die Taufe des Sklaven war ein wichtiges Ereignis, an dem alle Christusanhänger teilnahmen, denn neu Hinzugekommene wurden in ihrer Mitte immer feierlich begrüßt, ganz gleich, ob es ein Sklave oder ein Wohlhabender war. Alle trafen sich bei Sonnenaufgang am Orontes-Ufer außerhalb der Stadt in der Nähe des Daphne-Tores. Simon, der Vorsteher, Kleopas, der Armenpfleger, mit seiner Frau Rebekka, Demetrios, der Färber, mit seiner ganzen Familie, Silvia, die Frau des Commodus, Lavinia, die Sklavin, und ihre Herrin Lydia. Auch Alexander und Berenike waren mit ihren Geschwistern dabei, ja sogar Rahel, die Mutter Menachems, wohnte mit ihren Kindern der Taufe bei. Sie mussten trotz ihrer Feierlaune darauf achten, sich vorsichtig zu bewegen, um durch ihre Zusammenkunft nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen, schließlich standen sie unter Beobachtung. Die Prophetin sprach ein Gebet. Euodius, der zur Vorbereitung auf das Ereignis drei Tage gefastet hatte, trat ans Ufer und entkleidete sich. Feierlich legte er sein Taufgelübde ab: „Ich entsage dem Satan und allen Dämonen und gebe allein Gott die Ehre.“ Nach diesen Worten wurde er mit dem heiligen Öl gesalbt, woraufhin Simon und die Prophetin den Täufling ins Wasser begleiteten und ihn nach seinem Glauben fragten: „Glaubst du an Jesus, den Gesalbten Gottes? Willst du auf seinen Namen getauft werden?“ Nachdem er dies laut bejaht hatte, tauchten sie ihn dreimal unter und salbten ihn ein zweites Mal. Nach der Taufe kleidete er sich wieder an und empfing ein drittes Mal die Salbung. Die Prophetin legte ihm die Hand auf, betete um den Geist Gottes und küsste den Täufling, bevor alle anderen es ihr gleichtaten. Sie waren voll Freude und Dankbarkeit, denn jetzt hatte Euodius den Geist Gottes empfangen und war einer von ihnen. Bis zur Mittagszeit lobten sie Gott, der sie zu einem Volk gemacht hatte. Nach seiner Taufe erzählte er ihnen vom Leben im Hause des Ratsherrn Basilios, der zu den reichsten Großgrundbesitzern in Antiochia gehörte: „Er hat mich vor einigen Jahren zusammen mit meinen Eltern auf einem Sklavenmarkt an der phönizischen Küste gekauft. Wir waren froh, dass wir in der Familia unseres neuen Besitzers zusammenbleiben konnten. Schon mein früherer Herr, ein reicher Händler aus Sidon, hat mich gefördert und mich zusammen mit seinen Kindern von einem Privatlehrer erziehen lassen. Meine Eltern arbeiten jetzt im Hause des Basilios. Ich durfte am Unterricht eines Grammaticus teilnehmen und lernte die Werke der großen Philosophen und Schriftsteller kennen. Mit achtzehn Jahren habe ich die Rhetorikschule des berühmten Gnaeus Domitius Afer in Rom besucht. Dort konnte ich die Rhetorik, aber auch die Rechtskunde studieren. Vor zwei Jahren kam ich wieder nach Antiochia zurück und lehre die Kinder meines Herrn das Lesen, Schreiben und Rechnen. Basilios lässt mir weitgehend freie Hand und bezahlt mich sogar für meine Dienste. Ich hoffe sehr, dass er mich auch bald in die Freiheit entlässt.“ Für die Gemeinde der Christianer bedeutete die Tatsache, dass nun ein Gebildeter wie Euodius zu ihnen gehörte, einen großen Gewinn, denn er konnte mit seinen Kenntnissen der Rechtskunde Unheil von ihnen abwenden, aber auch ihre Interessen bei der Abwicklung von Geschäften wahrnehmen und den Vorsteher Simon beraten. Schon früher als ihnen lieb gewesen ist, waren seine Fähigkeiten und Kenntnisse gefragt. Einige führende Männer des jüdischen Gemeinderates stellten Simon zur Rede wegen der Aufnahme von nichtjüdischen Gläubigen: „Sag´uns, ob sie dem Bund Abrahams angehören.