Alexander L. Cues

Die Ketzer von Antiochia


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er erwachte, mussten sie feststellen, dass er nicht sprechen und sich nicht aufrichten konnte. Berenike wurde hinzugerufen, die auch gleich den Arzt Herophilos mitbrachte, der mit ihrer Unterstützung versuchte, den Kranken wieder auf die Beine zu stellen. Ihre Bemühungen blieben jedoch umsonst. Auch das Sprechen wollte nicht mehr gelingen. Nur ein unartikuliertes Lallen kam aus dem Mund des Patienten, dessen Zustand sich auch in der Folgezeit nicht besserte. Kleopas konnte unter diesen Umständen keinesfalls mehr die Leitung der Christusgläubigen wahrnehmen. „Wir müssen überlegen, wie es ohne Kleopas mit unserer Gemeinde weitergehen kann,“ mahnte Alexander. Fast alle waren der Meinung, dass Euodius der geeignete Vorsteher wäre. Aber die Möglichkeit, ihn zu wählen, blieb ihnen ja aus den bekannten Gründen verwehrt. Ein Sklave als Leiter der Christusanhänger – das war nicht möglich. So blieb nur die Hoffnung darauf, dass er bei seinen Bemühungen um eine Verkürzung der Kerkerhaft Simons Erfolg haben würde, so dass dieser wieder sein Amt würde ausüben können. Zum Abschluss des Abends forderte Euodius alle auf: „Lasst uns der Zwischenzeit dafür beten und mit wohlgefälligen Taten dem Richter zeigen, dass von unserer Gemeinde keine Gefahr für den Staat und seine Behörden ausgeht.“ Bei der nächsten Zusammenkunft der Gläubigen erzählte Demetrios, er wolle mit seiner Frau am Fest des Apollo in Daphne teilnehmen. „Wir haben eine Einladung meines Patrons. Er will dem Gott der schönen Künste seine Dankbarkeit dafür zeigen, dass sein Sohn von einer schweren Krankheit, die mit langem Fieber einherging, wieder genesen ist,“ erklärte er. Seine Glaubensgenossen konnten kaum glauben, was sie da hörten. Sie waren bestürzt und voll Abscheu über dieses Ansinnen. Einer der ihren, der sich von den Abgöttern bekehrt hatte, um dem wahren Gott zu dienen, ging hin und wollte vor einem steinernen Bild opfern, das von Menschen gemacht war! Nach einer Pause, in der sich Betroffenheit ausgebreitet hatte, ergriff die Prophetin das Wort. Auch sie verurteilte die Absicht des Demetrios scharf: „Gott sind beide gleich verhasst, der Gottlose und sein gottloses Werk. Das Werk wird samt dem Meister bestraft werden.“ Demetrios aber versuchte sich zu verteidigen: „Das bin ich meinem Patron schuldig. Er hat mich gebeten, am Fest in Daphne teilzunehmen.“ „Warum sagst du ihm nicht, dass du nur dem einen, wahren Schöpfer-Gott dienen willst?“ fragte ihn Alexander. „Weil er es nicht verstehen würde, dass wir nur einen Gott kennen.“ „Es kann doch aber nicht sein, dass wir wieder Götzen anbeten, die mit Händen gemacht sind!“ meinte Lavinia, die Phönizierin. „Und was machen wir, wenn der Kaiser wieder unser Opfer verlangt?“ fragte die Frau des Demetrios. „Wir werden nicht opfern und unsere Hände besudeln,“ antwortete die Prophetin und zitierte noch einmal die heiligen Schriften: „Götzenbilder zu ersinnen ist der Anfang der Hurerei, und sie zu erfinden ist des Lebens Verderben.“ Demetrios und seine Frau verließen an diesem Abend vorzeitig die Synagoge. Ihre Absicht, das Heiligtum des Apollo in Daphne zu besuchen, verärgerte die Gläubigen und war Anlass für Bestürzung und Trauer. Berenike und Alexander begleiteten Rahel auf dem Nachhauseweg. Sie waren froh, die Sorge um Menachem mit ihnen teilen zu können. Fast zwei Jahre waren nun schon vergangen seit seiner Abreise, und noch immer war keine Nachricht von ihm angekommen. Dabei hatte er der Mutter doch versprochen, aus Rom einen Brief zu schicken, sobald er die Möglichkeit dazu hatte. Den beiden Frauen wurde das Herz schwer, wenn sie an Menachem dachten. „Wie kann er sich dort verständigen? Er spricht doch nicht die Sprache der Römer!“ sorgte sich Rahel, und Berenike antwortete: „Ich glaube, dass man in Rom auch Griechisch versteht, und das spricht Menachem doch sehr gut. Vielleicht lernt er aber auch schnell zu sprechen wie die Römer.“ Da pflichtete ihr Rahel bei: „Das kann schon sein. Er ist doch ein sehr kluger junger Mann.“ Berenike aber fürchtete manchmal, dass Menachem sie in Rom vielleicht auch vergessen würde. Er bekam doch so viel Neues zu sehen und zu hören! Diese Befürchtung behielt sie aber für sich. Als der zweite Winter nach seiner Abreise vergangen war, wurde die Sorge um Menachems Ergehen zur Freude aller beendet. Ein berittener Bote brachte Nachrichten von einem phönizischen Handelsschiff, das im Hafen von Seleukia Pieria festgemacht hatte. Es brachte nicht allein Nachrichten aus Rom, sondern auch aus Cypros und Alexandria, wo es Waren aufgenommen hatte. Der Bote hatte gute Nachrichten für Rahel und ihre Kinder, aber auch für Berenike. Menachem schrieb auf Griechisch und schilderte, was er in Rom und Alexandria, wo er jetzt weilte, erlebt und gesehen hatte. Er teilte auch mit, mit wem er sich getroffen hatte und wer ihm bei seinen Studien geholfen hatte. Außerdem stellte er seine Rückkehr in sechs Monaten in Aussicht, noch vor dem Anbruch der Herbststürme, die das Befahren des Meeres zu einem großen Risiko machten. Die Freude war groß bei den Frauen, und Berenike beschloss, ihrem Bruder Alexander und ihrer Freundin Lavinia davon zu erzählen!

      IX Im Sommer desselben Jahres gab es in einer Nacht noch einmal ein kleineres Beben mit mehreren Erdstößen, das die Menschen vor dem Hintergrund der in ihren Gedanken ständig präsenten Katastrophe erneut in Angst und Schrecken versetzte. In ihrer Panik rannten viele auf die Straßen, verharrten dort wie gelähmt und warteten auf das Ende der Zeiten. Erst als mehrere Minuten lang große Stille geherrscht hatte, löste sich die Schreckensstarre und wich einem Freudengeschrei, das immer mehr anschwoll und zu einem wahren Choral erlöster Seelen wurde. Diesmal waren keine nennenswerten Schäden zu verzeichnen. Die Menschen lagen sich in den Armen und waren nur noch erleichtert über den glücklichen Ausgang dieser Nacht. Warum aber zürnten die Götter immer noch, hatte man sie etwa nicht genug besänftigt? Am nächsten Tag beschloss der Magistrat daher, eine Prozession zu Ehren der Götter zu veranstalten und an ihren Bildern zu opfern. Mit diesem Beschluss hatte die Ratsversammlung ein beinahe einhelliges Bedürfnis der Bevölkerung aufgegriffen, weshalb sich die Menschen sofort mit großem Eifer an die Arbeit machten, um Blumenschmuck und Opfertiere bereitzustellen. Fast drei Monate dauerten die Vorbereitungen. Das Ergebnis war ein großartiges Fest für Augen und Ohren. Auf großen Wagen, die mit Blumen und Girlanden geschmückt waren und von Sklaven gezogen wurden, waren Bilder der Götter und Opfergaben aufgebaut. Auf dem Wagen der Griechen stand Apollo, der im Gedenken an Daphne und seine unerfüllte Leidenschaft den Lorbeer trug. Ihm zur Seite stand seine Zwillingsschwester Artemis, von Jungfrauen und Jagdhunden begleitet. Die Syrer führten Bilder mit von Atargatis, die ihren Granatapfel präsentierte, und Hadad, dem Wettergott, der zwei Stierbilder zur Seite hatte. Saturn, der Gott des Ackerbaus, war auf dem römischen Wagen zu sehen; daneben das Stierbild des Mithras, Beherrscher des Kosmos, den die Legionäre und Veteranen verehrten. Die Phönizier hofften auf Fruchtbarkeit des Landes und zeigten Baal und Astarte, die Liebesgöttin, deren reich geschmückte Wagen von Priestern in kostbaren Gewändern begleitet wurden. In feierlicher Prozession zog man durch die Kolonnadenstraße, die von jubelnden Menschen gesäumt war. Ziel der Prozession war der Platz vor dem kaiserlichen Palast, wo Ummidius residierte. Hier kamen die Wagen in einem Halbkreis zum Stehen, so dass ein Pantheon entstand, vor dem mit riesigen Steinen ein prachtvoller Altar errichtet worden war, der durch das Entzünden lodernder Feuer eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde. Imposante Fanfarenstöße begleiteten das Geschehen. Dann wurden die Schlachttiere, Stiere, Böcke und Schafe, herbeigeführt und von den Priestern und ihren Helfern in Empfang genommen. Diese schlachteten mit viel Geschick und fingen das Blut der Tiere in großen Schalen auf. Mit dem noch warmen Blut besprengten sie den Altar und boten den Göttern die Opfertiere dar. Auch die mitgeführten Feldfrüchte wurden mit feierlichen Gebärden vor den Altar gebracht, bevor die Priester die Wünsche für eine gute Ernte vortrugen: „Auf das Ackerland komme der Regen Baals, und für das Feld der Regen des Höchsten! Süß sei für das Ackerland der Regen des Baal, und für das Feld der Regen des Höchsten! Süß sei er für den Weizen in der Furche, im Neubruch wie Wohlgeruch, auf der Ackerfurche wie Kräuterduft!“ Auch Saturn und Hadad wurden um ihren Beistand angerufen, da man deren Hilfe für Saat und Ernte erhoffte. Als das geschehen war, zerlegten die Priester das Fleisch und legten es auf den Altar, was die Menge mit großem Jubel wahrnahm. Während das Fleisch im Feuer briet, zogen die Menschen in einer langen Schlange am Altar vorbei und jubelten dem Pantheon der Gottheiten zu. Schließlich wurde ein Teil des Fleisches vom Feuer genommen, in Portionen aufgeteilt und unter die Menschen verteilt. Die Stimmung dieses Tages war ausgelassen. Wein, mit Wasser gemischt, floss in Strömen und ließ die Menschen auf den Straßen feiern und tanzen. Im jüdischen Bezirk feierte man an diesem Tag wie gewöhnlich den Sabbat. Niemand nahm an den Gräueln der Götzenanbetung teil. Nach dem Gottesdienst am Morgen