Alexander L. Cues

Die Ketzer von Antiochia


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kleinen rechteckigen Schild trugen. Von Chancen-gleichheit konnte hier jedoch keine Rede sein, der Kampf entwickelte sich zu einem blutigen Gemetzel. Schienenpanzer und Schilde sicherten den Legionären entscheidende Vorteile. Die Thraker versuchten vergeblich, die weniger geschützten Arme und Beine der Legionäre mit ihren Schwerthieben zu treffen, was ihnen aber nicht gelang. Sie kämpften einen aussichtslosen Kampf, waren schließlich hoffnungslos unterlegen und wurden Opfer ihrer Ungestümheit, mit der sie ihre Gegner attackierten. Das Ende glich einer Hinrichtung, die das Volk im Rund des Amphitheaters mit Beifall und Gejohle begleitete. Keiner der Thraker überlebte den Kampf. Alexander saß zusammen mit Simon und Kleopas seitlich von der Loge des Legaten. Sie hatten kein Gefallen gefunden am Gemetzel, das sich vor ihren Augen abspielte. Ihre Sitznachbarn waren überwiegend einheimische Syrer, die sich beim Anfeuern der Gladiatoren hervortaten. Als die Kämpfe vorüber waren, brachten die Honoratioren der Stadt dem Gesandten des Kaisers ihre Huldigungen entgegen, gefolgt von den Abordnungen der einzelnen Volksgruppen. Sie alle versicherten dem Legaten ihre Loyalität, indem sie das Opfer für den Kaiser präsentierten. Die jüdische Abordnung grüßte Ummidius mit einem silbernen Abbild des Leuchters aus dem Tempel in Jerusalem, hielt sich aber abseits, als das Opfer für den Kaiser vollzogen wurde. Nach der Veranstaltung wurde vor dem Theater noch ein großes Fest gefeiert. Viele Händler verteilten Fladenbrote und Teigtaschen mit scharfen Gewürzen. Andere brieten an riesigen Spießen Ochsenfleisch. Wein stand bereit in großen Amphoren, Sklaven boten Wasser an aus Ziegenschläuchen. Musiker und Gaukler unterhielten die Menge. Der neue Statthalter begann seine Amtszeit sehr freigiebig und bot den Einwohnern der Stadt ein Fest nach ihrem Herzen. Nach aller Not und Entbehrung, die das Erdbeben über sie gebracht hatte, durften sie jetzt den Anbruch einer neuen Zeit feiern. Es war kurz vor Einbruch der Dunkelheit, als in der feiernden Menge der Ruf immer lauter wurde: „Wo bleibt das Opfer für den Kaiser?“ Alexander begriff erst nicht, was hier gemeint war. Simon, der so etwas schon mehrmals miterlebt hatte und mit einem unguten Gefühl daran zurückdenken musste, klärte ihn auf: „Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden sie zum jüdischen Bezirk ziehen und uns des Unglaubens bezichtigen. Sie werden verlangen, dass wir dem Kaiser opfern.“ Er sollte Recht behalten. Die Rufe wurden lauter und aggressiver, die Stimmung war aufgeheizt. „In das Judenviertel! Tötet die Ungläubigen!“ Die aufgebrachte Menge setzte sich schnell in Bewegung und lief in Richtung der großen Synagoge. Dort angekommen, forderte man lautstark: „Zwingt die Judäer, dem Kaiser zu opfern. Tun sie das nicht, stürzt sie in die Schlucht des Parmenios.“ Simon, der mit Alexander und Kleopas aus einiger Entfernung das Treiben mit ansehen musste, äußerte, es sei besser, sich nach Hause zu begeben, um bei Dunkelheit nicht in die Hände des Mobs zu fallen. „Sie werden sich ein Opfer suchen und ihre Wut an ihm auslassen.“ Zu ihrer eigenen Sicherheit entfernten sich die drei vom Ort des Geschehens. Alexander begleitete Simon zur Synagoge, der dort seine Wohnung hatte. Noch war hier glücklicherweise alles unversehrt. Als Alexander sich auf den Heimweg machte, musste er mehrfach Umwege gehen, um der aufgehetzten Menge nicht zu begegnen.

      VII Bei der nächsten Zusammenkunft der Christusanhänger waren die Geschehnisse jenes Abends das bestimmende Thema. Wie befürchtet, war es zu brutalen Übergriffen gekommen. Demetrios, Färber aus dem griechischen Viertel, schilderte den anderen, was er erlebt hatte: „Ich konnte sehen, wie sie Steine in die Fenster der großen Synagoge warfen. Dann zogen sie durch die angrenzenden Gassen und schlugen drei Männer in der Dunkelheit nieder, zwei Judäer und einen syrischen Sklaven, der noch Besorgungen für seine Herrschaft machte und ihnen gerade über den Weg lief. Er bettelte um sein Leben.“ Demetrios´ Bericht löste eine emotionale Diskussion darüber aus, wie man angesichts solcher Brutalität seine Feinde lieben könne. „Sollten wir wirklich Menschen, die uns schmähen und bedrohen, uns sogar das Leben nehmen wollen, noch lieben?“ fragten einige, die Demetrios aufmerksam zugehört hatten. Simon erinnerte an das Wort Jesu:Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen!“ Die Prophetin mahnte, sich nicht den Dämonen des Hasses hinzugeben. Jesus habe selbst denen vergeben, die ihn töteten. Einer der beiden überfallenen Judäer, erst achtzehn Jahre alt, starb am darauf folgenden Tag an den Verletzungen, die ihm der Mob zugefügt hatte. Die Behörden sicherten zwar zu, den Vorfall zu untersuchen, taten dies jedoch nur halbherzig, da sie offenbar nicht daran interessiert waren, den Eindruck der Großherzigkeit des Ummidius stören zu lassen, der sich durch diesen Tag bei der Bevölkerung einen Namen gemacht hatte. Sie hatten jedoch die Feindseligkeiten unterschätzt, die es in der letzten Zeit zwischen der Bevölkerung des syrischen und des griechischen Bezirks gegeben hatte. Häufigkeit und Schärfe derselben hatten spürbar zugenommen. Für die griechische Bevölkerung waren die aramäisch-sprechenden Syrer Barbaren. Die Anlässe für den Ausbruch von Gewalttaten waren meist geringfügiger Art. Mal ging es um Wasserentnahme aus Zisternen, mal kam es auf dem Markt des einen oder anderen Viertels zu Streitereien zwischen Angehörigen beider Volksgruppen. Da die Mauer, die vor dem Erdbeben beide voneinander trennte, stark beschädigt war, drangen ständig einzelne Unruhestifter auf die jeweils andere Seite vor und warfen mit Steinen auf Händler und Passanten. Jetzt hatte die schwere Misshandlung des syrischen Sklaven das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht, zumal die Beschwerde, die sein Herr dem Magistrat vorbrachte, zwar entgegengenommen, aber erneut nur schleppend behandelt wurde. Die Bevölkerung des syrischen Bezirks sah sich dadurch zum wiederholten Male gedemütigt und reagierte mit zornigem Protest. Eine Gruppe zog daraufhin zum Gebäude des Magistrats und verlangte lautstark die Bestrafung der Schuldigen. Da sie nicht erhört wurden, machte sich ein Teil dieser Gruppe, meist Sklaven und Freigelassene, auf und lief – mit Steinen und Knüppeln bewaffnet – zur Kolonadenstraße, wo viele griechische Händler ihre Läden hatten. Sie drangen gewaltsam in diese ein und richteten drinnen und draußen große Verwüstungen an. In ihrer aufgebrachten Stimmung misshandelten sie die Händler und deren Kundschaft. Niemand hinderte sie bei ihrem Treiben, weil keiner mit einem solchen massiven Ausbruch von Gewalt gerechnet hatte. Diese Vorfälle ereigneten sich nur elf Tage nach dem Amtsantritt des neuen Legaten, der sich nun zum Handeln gezwungen sah und entschlossen durchgriff. Er ließ den Centurio Silvanus mit seinen Legionären ins syrische Quartier marschieren, um die Schuldigen ausfindig zu machen. Silvanus hatte Erfahrung mit der Suche nach Schwerverbrechern. Er schreckte auch nicht davor zurück, ganze Familien als Geiseln zu nehmen, und ließ Frauen und Kinder erst einmal tagelang hungern und dürsten, bevor er sie nach dem Verbleib der Gesuchten befragte. Es dauerte nicht lange, bis die Rädelsführer gefunden waren: fünf Sklaven und zwei Freigelassene, die von Zeugen beschuldigt wurden, die Menge aufgewiegelt und selbst Gewalttaten begangen zu haben. Das Urteil wurde schnell gefällt und bereits am nächsten Tag vollstreckt: Fünf Kreuze wurden vor dem Brückentor, direkt am Orontes, errichtet. Man nagelte die Verurteilten unter Beifallskundgebungen der griechischen Händler an die Balken und richtete die Kreuze auf. Die Toten hingen dort wochenlang zur Abschreckung, und ihre Leichname dienten den Vögeln zum Fraß. Die anderen zwei wurden lebenslang in die Steinbrüche geschickt, was einem Todesurteil gleichkam. Der syrische Bezirk musste während der Urteilsvollstreckung von Legionären bewacht werden. Bei den Christusanhängern war die Bestürzung über die jüngsten Ereignisse groß, zumal sich noch herausstellte, dass zwei der hingerichteten Sklaven zur Gemeinde gehörten. Wie konnte es sein, dass Menschen aus ihrer Mitte zur Gewalt aufgerufen, ja selbst Gewalttaten verübt hatten? Oftmals hatten sie darüber gesprochen, was es für sie bedeutet, dass Jesus gesagt hatte: „Wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Sie waren sich einig darin, dass nur der Verzicht auf Gewalt auf Dauer andere Menschen überzeugen würde, sich ihnen anzuschließen. Somit war es für die ganze Gemeinde ein herber Rückschlag, dass die beiden Sklaven Gewalttaten verübt hatten. Jetzt musste sie weitere Verdächtigungen und Nachforschungen durch die Behörden befürchten. Simon, der Vorsteher, machte den Vorschlag, in Zukunft regelmäßig für das Wohlergehen des Kaisers zu beten: „Lasst uns durch unsere Gebete alle Dämonen vernichten, die Kriege entfachen und den Frieden unter den Menschen stören.“ Wie befürchtet, dauerte es nicht lange, bis Simon tatsächlich in dieser Angelegenheit vor den Untersuchungsrichter geladen wurde. Der Richter fragte ihn gezielt nach den Sklaven, die als Schuldige ausgemacht und hingerichtet worden waren: „Sagt mir, waren auch sie Judäer? Sind alle bei euch Judäer? Lassen sich alle beschneiden?“ „Nein, es gibt auch Gottesfürchtige, die unsere Gottesdienste besuchen und den Sabbat feiern. Sie sind keine Judäer.“ „Warum nehmt