Alexander L. Cues

Die Ketzer von Antiochia


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vergeht. Alles in ihr ist nur Schein. Auch die Sklaverei. Lasst uns einander mit Achtung begegnen, aber nicht selbst erhöhen.“ Nach dieser Predigt blieb bei der Sitzordnung alles beim Alten und die Mitglieder fügten sich der Anweisung ihres Vorstehers, aber Simon merkte, dass er nur wenige überzeugt hatte. In der Stadt erweckten die Versammlungen der Christianer zu dieser Zeit zunehmende Aufmerksamkeit. So erzählte man sich, dass es dort ungewöhnlich zugehen würde. Ein syrischer Beamter, der seit einigen Wochen die Versammlungen in der Synagoge regelmäßig besuchte, informierte sogar die Behörden darüber, dass dort Herren und Sklaven gemeinsam zu Tisch lagen und eine unverschleierte Frau öffentliche Reden hielt. Dies führte letztlich zu einer Untersuchung, bei sich der Simon erklären musste: „Beim heiligen Mahl, das wir wöchentlich feiern, hat jeder einen Platz nach seinem Rang. Die Sklavinnen und Sklaven verrichten die anfallenden Küchendienste. Somit bleibt die Ordnung erhalten.“ „Und eure Frauen reden öffentlich in euren Versammlungen?“ fragte der Richter. „Eine von ihnen hat die Gabe der Lehre, und sie redet öffentlich. Das hat es in der Geschichte unseres Volkes schon öfter gegeben. Mirjam, die Schwester des Mose, war eine Prophetin, und Deborah, die Richterin, nannten sie Mutter in Israel.“ Der Untersuchungsrichter war milde gestimmt und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von hundert Denaren, die an den Magistrat zu zahlen war. Außerdem wurde ihm auferlegt, zukünftig darauf zu achten, dass die Prophetin auf jeden Fall ihren Schleier zu tragen habe.

      VI Sechs Monate waren bereits seit der Abreise von Menachem vergangen und Berenike dachte noch immer mit Wehmut an das letzte Zusammensein mit ihm in der Synagoge der Christianer. Sie hatte damals gespürt, wie sehr er in Sorge um sie und ihre Geschwister war, aber auch, wie ihn das Geschick der Christusanhänger beschäftigte. Schließlich hatten sie sein Leben und das seiner Familie gerettet. Ob er wohl mit dem Gedanken spielte, selbst einer von ihnen zu werden? Sie wusste es nicht, hoffte aber inständig, es möge so sein. Ihre Liebe und Zuneigung zu ihm hatte sie ihm nicht zeigen können, sie konnte jedoch spüren, dass sie erwidert wurde. Ihrem Bruder, der nach dem Tod der Eltern der Pater familiae war, würde sie sich offenbaren müssen, wenn Menachem zurückkäme. Sie sah regelmäßig Menachems Familie. Jede Woche ging sie für seine Mutter Rahel und seine Geschwister einkaufen und brachte die Einkäufe in deren Wohnung. Auch sahen sie sich hin und wieder in der Synagoge, wo die Mutter gelegentlich die Versammlungen der Christusanhänger besuchte. Manchmal kam sie alleine, manchmal brachte sie auch alle Kinder mit und übernachtete dann mit ihnen in der Synagoge. Berenike war ihr herzlich zugetan, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Rahel hatte nach einem Gespräch mit Simon ihre anfängliche Zurückhaltung gegenüber den Fremden abgelegt. Ihre Kinder hatten sich mit denen des Nachbarn aus der Cyrenaika angefreundet, und ihr gefiel, dass bei den Christianern alle um einen Tisch saßen, die Glaubensgeschwister aus Iudaea und aus Cypros, aus Syria und aus Asia. Trotzdem versuchte sie nach wie vor, ihre Kinder im jüdischen Glauben zu erziehen, sie feierte mit ihnen den Sabbat und die Feste, vor allem Pessach. Auch war sie darauf bedacht, koscher zu kochen, was angesichts der Verhältnisse nach dem Erdbeben nicht einfach war. Beim heiligen Mahl der Christusanhänger vermied sie deshalb den Genuss von Fleisch, denn fast alles Fleisch, was man auf dem Markt kaufen konnte, war Opferfleisch. Dieses Verhalten war aber nicht ungewöhnlich, denn auch andere in der Gemeinschaft der Christus-gläubigen hielten das so und beschränkten sich auf den Genuss von Gemüse und Fisch. Manche Judäer aber waren in dieser Hinsicht noch immer sehr konsequent. Sie lehnten den Genuss von Speisen, die nicht-jüdische Gläubige mitgebracht hatten, ganz ab und blieben auch dem gemeinsamen Mahl in der Synagoge fern. Sie forderten die strikte Einhaltung der Speisegebote und waren nicht bereit, die Kompromisse mitzutragen, die beim Treffen der Apostel einige Jahre zuvor verabredet worden waren. Die Ankunft des neuen Legaten wurde in der Hafenstadt Seleukia Pieria und in Antiochia ausgiebig gefeiert. Mit seiner Ankunft waren hohe Erwartungen verbunden. Ummidius Quadratus war enger Vertrauter des Claudius und hatte große Verdienste als Feldherr an den Grenzen des römischen Reiches gesammelt. Zuletzt war er Praetor in Nordafrika gewesen. Nicht der Senat, sondern der Kaiser selbst hatte ihn für sein neues Amt auserwählt. Mit ihm sollten in den nächsten Jahren vier Legionen und eine entsprechende Zahl von Hilfstruppen in der Provinz Syria stationiert werden. Damit sollte dem Treiben der Parther an den Ostgrenzen des Reiches Einhalt geboten werden, denn die kriegerischen Einfälle dort hatten ein Ausmaß angenommen, das Rom als ernste Bedrohung seiner Herrschaft ansehen musste. Claudius plante darüber hinaus, die von ihm im Jahre 43 begründeten Olympischen Spiele in Antiochia wieder aufleben zu lassen. Ummidius wollte der Bevölkerung gleich zu Beginn seiner Amtszeit etwas bieten. So lud er einen Monat nach seiner Ankunft – am Frühlingsfest - ins Amphitheater ein, wo es einen Gladiatorenkampf geben sollte. Auch sollten dort Lebensmittel kostenlos verteilt werden. Bei den Christianern löste diese Einladung heftige Diskussionen aus: „Wir müssen dem neuen Statthalter des Kaisers die gebührende Achtung erweisen und an der Veranstaltung teilzunehmen,“ gab Silvia zu bedenken. Die Prophetin widersprach ihr: „Gladiatorenkämpfe werden zu Ehren des Saturn veranstaltet und sind ein abscheulicher Götzendienst.“ Einige Frauen mahnten: „Wir dürfen uns nicht zu Zeugen blutiger Taten machen. Die Anwesenheit beim Mord bedeutet das Einverständnis mit dem Verbrechen.“ Auch in den anderen Synagogen der Stadt gab es ähnliche Diskussionen. Die Christusanhänger einigten sich schließlich darauf, dass Simon, der Vorsteher, zusammen mit Kleopas und Alexander zum Gladiatorenkampf gehen sollten, um dem neuen Legaten Ehre zu erweisen. So würde man Vorwürfen begegnen können, man habe sich nicht loyal verhalten. Den Glaubensgeschwistern aber bliebe durch diese Lösung ein schwerer Gewissenskonflikt erspart. Das Amphitheater lag nahe beim jüdischen Wohnviertel. Vor allem aber aus dem syrischen und dem griechischen Bezirk strömten die Menschen voller Neugierde dorthin. Vornehme Bürger des römischen Stadtbezirks, Senatsmitglieder und Aristokraten, wurden von Sklaven in Sänften getragen, um ihre Wichtigkeit zur Schau zu stellen. Die Plätze von Kleopas und Alexander befanden sich ganz in der Nähe der Loge des Legaten. Das Volk durfte sich mischen, was ungewöhnlich war. Syrer und Griechen, Phönizier und Araber, Zyprer und auch einige Judäer saßen dicht beieinander. Man konnte die gespannte Erwartung über der Menge auf das, was da kommen sollte, regelrecht greifen. Die erste öffentliche Veranstaltung nach der Katastrophe! Für die Menschen war es beinahe wie ein symbolischer Akt, der wieder ein Stück weit in die Normalität überleiten sollte. Ummidius hatte weder Kosten noch Mühe gescheut, um die Bevölkerung für sich einzunehmen. Schon am Vorabend hatte es ein Mahl der Gladiatoren gegeben, bei dem die Besucher ihre Favoriten für die Kämpfe begutachten und Wetten auf sie abschließen konnten. Zuerst traten zwei Schauspieler auf, die die Gladiatorenkämpfe karikierten. Damit stimmten sie das Publikum auf die folgenden Geschehnisse ein. Dann folgte ein beliebter Zweikampf: Ein Secutor, mit Schwert und Schild bewaffnet, kämpfte gegen einen Retiarius, der einen Dreizack und einen Dolch trug. Letzterer verfügte außerdem über ein Netz, mit dem er versuchte, seinen Gegner zu Fall zu bringen. Im Gegensatz zum Secutor war er aber durch keinerlei Helm oder Schild geschützt. Er war somit eindeutig schwächer bewaffnet, konnte aber durch Schnelligkeit und Gewandtheit diesen Nachteil ausgleichen. Viele im Publikum hatten ihn zu ihrem Favoriten erkoren und in Wetten auf ihn gesetzt. Es zeigte sich jedoch, dass der Secutor ihm überlegen war, weil auch er sehr schnell reagierte und den Netzattacken seines Gegners immer wieder auswich. Nach einer eher passiven Belauerungsphase rammte er mit einer blitzschnellen und gezielten Aktion sein Schwert in den Hals des überrumpelten Gegners, so dass das Blut nur so strömte, was von lautem Gejohle eines Teils der Zuschauer begleitet wurde. Die Enttäuschung war jedoch groß bei denen, die ihr Geld verloren hatten. Den nächsten Kampf bestritten zwei Reiter, die mit Schwertern bewaffnet waren. Sie trugen weder Helm noch Schild und griffen sich gegenseitig mit großer Schnelligkeit an. Mehrfach ließen sie den anderen ins Leere laufen und versuchten, ihn dann von hinten zu attackieren. Aus dem Kampf zu Pferd wurde dann unter tosendem Applaus der Zuschauer ein Bodenkampf, als beide Pferde von Schwerthieben getroffen wurden. Die Reiter vermochten sie nicht mehr zu lenken, sprangen herunter und gingen mit den Schwertern aufeinander los. Beide waren äußerst geschickt und brachten dem anderen mehrere Hiebe auf Arme und Körper bei, bis schließlich beide schwer verletzt zu Boden sanken. Der Kampf musste daraufhin abgebrochen werden, was das Publikum zu massiven Miss-fallenskundgebungen herausforderte, während Sklaven die verwundeten Kämpfer aus der Arena schleiften. Zum Schluss