Alexander L. Cues

Die Ketzer von Antiochia


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des Himmels und der Erde, achten menschliches Leben und vergießen kein Blut.“ „Trifft es zu, dass ihr gemeinsam esst und trinkt? Auch Fleisch, das auf den Märkten gekauft wird?“ „Ja, aber nicht alle essen davon.“ „Und wer liest am Sabbat in eurer Synagoge?“ „Wir wechseln uns ab mit der Wochenlesung.“ „Dann lesen also nicht nur die Söhne der Beschneidung, sondern auch die Unbeschnittenen.“ Da Simon sich nicht der Lüge schuldig machen wollte, musste er eingestehen, dass bei ihren Zusammenkünften auch die nichtjüdischen Gläubigen den Dienst der Lesung aus der Tora wahrnahmen. Der Vorsteher Aidesios von der großen Synagoge, die auch Bet Ashmunit genannt wurde, warf ihm daraufhin entsetzt vor, die Gebote der Väter zu missachten: „Wie kannst du es dulden, dass ihr gemeinsam zu Tisch liegt und Opferfleisch genießt? Ein widerlicher Götzendienst! Wie kannst du zuschauen, dass unsere heilige Tora in den Händen von Ungläubigen liegt? Eine ganze Synagoge in den Händen der Götzenanbeter!“ Simon aber hielt dagegen und erwiderte: „Wir glauben, dass Gott seinen Geist ausgegossen hat über die Söhne der Beschneidung, aber auch über die Heiden, die Jesus von Nazareth als den Gesalbten Gottes und Kyrios verehren.“ „Ketzer seid ihr, und eure Synagoge ist eine Synagoge des Satans!“ antwortete Aidesios voller Rage. „Wir achten euch von jetzt an nicht mehr als Söhne des Bundes, den der Gott unserer Väter mit uns geschlossen hat!“ Das Ergebnis dieser Konfrontation war entmutigend. Simon hatte zwar seinen Glauben verteidigt, aber jetzt mussten die Christianer damit rechnen, dass auch die Behörden davon erfuhren, dass andere Judäer sie nicht als Glaubensgenossen achteten, was unweigerlich zu neuen Verdächtigungen führen würde. Simon beriet sich deshalb mit Euodius, wie solchen Verdächtigungen zu begegnen sei und wie er bei einer erneuten Vernehmung durch den Untersuchungsrichter am besten argumentieren sollte. Euodius meinte: „Es ist am besten, wenn du bei deiner bisherigen Darstellung bleibst, dass die Nichtjuden in unserer Synagoge Gottesfürchtige sind.“ Auch diesmal ließ die Reaktion der Behörden nicht lange auf sich warten. Simon wurde durch zwei Bewaffnete vor den Richter Antigonos gebracht, der jetzt genau wissen wollte, mit was für einem Aberglauben er es bei den Christianern zu tun hatte. Er warf Simon Atheismus vor: „Ihr ehrt die Götter nicht und bringt dem Kaiser keine Opfer. Gottlosigkeit aber ist die Ursache für Aufruhr und Gewalttaten. Was für einem Aberglauben hängt ihr an?“ Simon verteidigte sich nach Kräften: „Wir opfern in Jerusalem dem Gott, der den Himmel und die Erde schuf. Er hat Mose, dem Gründer unserer Religion, die Gesetze offenbart, nach denen wir mit Erlaubnis des Kaisers leben dürfen.“ „Was ist das für ein Heiligtum, an dem ihr euren Gott verehrt?“ hakte der Richter nach. „Es ist der Tempel des Herodes, in dem geopfert wird nach den Vorschriften unserer Väter. Unsere Abgaben für den Tempel und die Priester entrichten wir einmal im Jahr.“ „Und was ist mit diesem Christos, den ihr verehrt und zu dem ihr betet?“ ließ der Richter nicht locker. „Er ist der Gesandte Gottes, genau wie die Propheten, die vor ihm gekommen sind.“ „Was lehrt euch dieser Gesandte Gottes? Den Aufruhr gegen den Kaiser?“ fragte der Richter in provozierender Weise. „Er hat uns gelehrt, dem Kaiser zu geben, was ihm gehört, und Gott zu geben, was ihm gehört.“ „Und was hat er euch gelehrt über die Menschen? Sollt ihr sie hassen und euch von ihnen fernhalten?“ „Nein, er hat uns gesagt: Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihr ihnen auch,“ entgegnete Simon. „Trifft es zu, dass man diesen Mann wegen Aufruhrs in Jerusalem gekreuzigt hat?“ wollte der Richter wissen. „Pilatus hat ihn´König der Juden`genannt. Deshalb hat er ihn kreuzigen lassen.“ „Ist es richtig, dass ihr ihn anbetet wie einen Gott?“ „Nein, aber wir verehren ihn und glauben, dass er bald kommen wird in Herrlichkeit.“ „Wie kann ein Toter wiederkommen in Herrlichkeit?“ „Wir glauben, dass Gott ihn auferweckt hat.“ Der Richter schüttelte verwundert den Kopf und meinte: „Was für ein Aberglauben! Ein Gekreuzigter wird wie ein Gott verehrt!“ Simon versuchte weiterhin, den Richter für sich einzunehmen: „Wir achten die Gesetze und halten unsere Gläubigen an, gute Bürger dieses Landes zu sein.“ Antigonos erwiderte: „Mir liegen Zeugenaussagen vor, nach denen ihr versucht, Bürger für euren Glauben zu gewinnen. Sagt mir, zahlen alle bei euch die Steuer für den Tempel des Herodes?“ „Nein, die Gottesfürchtigen nicht. Sie feiern den Sabbat und besuchen unsere Gottesdienste.“ „Sie sind also nicht den Beschnittenen gleichgestellt?“ „Nein, sie sind Menschen, die den Ewigen fürchten und seinen Gesalbten verehren,“ versuchte Simon mit einer salomonischen Antwort zu beschwichtigen. „Aber sie feiern mit euch, essen und trinken bei euren Mahlzeiten.“ „Ja, denn wir sind gleich vor unserem Gott.“ „Wie nehmt ihr sie bei euch auf?“ „Durch ein Reinigungsbad, wie es auch die anderen Synagogen tun.“ „Aber sie werden nicht beschnitten wie bei den anderen?“ „Nein, sie werden nicht beschnitten.“ „Ihr nehmt sie also auf durch eine Taufe, sie leben nach euren Gesetzen, aber sie sind dadurch keine Judäer geworden? Was sind sie dann?“ wollte der Richter wissen. „Gottesfürchtige, die uns gleich sind.“ Simon hatte geschickt geantwortet, jedoch spürte er, dass er den Verdacht des Proselyten-Machens auch diesmal nicht ausräumen konnte, was ihm jetzt eine drakonische Strafe von drei Jahren Kerkerhaft einbrachte. Ohne ihren Vorsteher, der die Apostel Barnabas, Petrus und Paulus noch persönlich gekannt hatte, standen die Christusanhänger in Antiochia plötzlich ohne Führung da. Am nächsten Sabbat mussten sie nun beraten, wie es ohne Simon weitergehen konnte und ob es eine Möglichkeit gab, ihm zu helfen. „Lasst uns Kleopas zum Vorsteher der Synagoge wählen,“ schlug Euodius vor. „Wir müssen alles vermeiden, was unseren Stand als jüdische Synagoge gefährdet.“ Er erkannte die Wichtigkeit dieser Einstufung, weil deren Mitglieder ein eingeschränktes Bürgerrecht genossen. Sie durften ihre Angelegenheiten - wie andere Collegia auch – selbst regeln. Dazu gehörten Grundstücksangelegenheiten, aber auch die Bestattung ihrer Mitglieder. Einige meinten, Euodius solle doch selbst das Amt des Vorstehers übernehmen. Das aber lehnte er aus nachvollziehbaren Gründen ab: „Wie soll denn ein Grieche, der dazu auch noch ein Sklave ist, eine jüdische Synagoge leiten?“ fragte er sie. Da war leider einleuchtend und so wählten sie einstimmig den Armenpfleger Kleopas zum neuen Leiter der Synagoge der Christianer. Außerdem begrüßten sie den Vorschlag des Euodius, dass er im Auftrag aller Gläubigen noch einmal mit dem Untersuchungsrichter sprechen sollte, um eine Minderung der Strafe für Simon zu erreichen. In den folgenden Monaten wurden die Christusanhänger von den Behörden in Ruhe gelassen. Kleopas erwies sich als geistbegabter neuer Leiter der Gemeinde, denn er besaß die Gabe der Krankenheilung. Durch seine Tätigkeit hatte er sich im jüdischen Bezirk, aber auch bei Teilen der Bevölkerung des syrischen Bezirks hohes Ansehen erworben. Immer noch litten viele Menschen unter den Zerstörungen, die das Erdbeben angerichtet hatte. Die Christianer hatten schon kurz nach dem Beben eine Armenspeisung eingerichtet, die aus der Gemeindekasse bezahlt wurde. Sie bekamen auch des Öfteren Spenden von angesehenen Bürgern, die selbst nicht zu ihnen gehörten. Das beförderte wiederum ihren Ruf in der Stadt, und immer mehr Menschen besuchten ihre Versammlungen, darunter auch Judäer der anderen Synagogen, was natürlich den dortigen Vorstehern nicht passte. Diese begegneten den Christianern, die sie von nun an als Minim, als Ketzer, betrachteten, mit immer größerem Misstrauen. Zur neuen Armenpflegerin wählten die Gläubigen Berenike, die durch ihr freundliches Wesen viele Sympathien genoss. Sie musste nun mit einigen Helfern die Speisung für die Bedürftigen organisieren, hatte aber auch die Kranken zu versorgen. Gelegentlich hospitierte sie bei Herophilos, dem Arzt aus der Cyrenaika, der ein Nachbar von Menachems Familie war. Er machte sie bekannt mit verschiedenen Krankheitsbildern, die er auf die Stockung des Blut- und Pneumastroms zurückführte. Auch lernte sie die Pulszählung kennen sowie verschiedene Heilmittel aus Pflanzen und Mineralien, aber auch aus tierischen Stoffen. Herophilos zeigte ihr, wie sie anzuwenden und zu dosieren sind. In den Erzählungen über Jesus von Nazareth aber fand sie das, was sie für ihre Tätigkeit als Heilerin als das Wichtigste erkannte: Christus war der beste Arzt für Leib und Seele. Wenn Menschen zum Glauben an ihn fanden als ihren Retter, erlebten sie Heilung und fanden ihr Heil. Nach einigen Monaten der Ruhe wurde die Gemeinde erneut vor eine schwere Prüfung gestellt, als ihr Vorsteher Kleopas überraschend erkrankte. Als er am Vorabend des Sabbat die Synagoge betrat, um dort die Kerzen auf den Leuchtern anzuzünden, erfasste ihn ein heftiger Schwindel, so dass ihm schwarz vor den Augen wurde und er zu Boden stürzte. Erst nach einiger Zeit fand ihn seine Frau Rebekka, die ihn zur Abendmahlzeit erwartete. Sie holte