Christine Boy

Sichelland


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auf und legte sich dort flach auf den Boden.

      'Ich bin an einem geweihten Ort.' dachte sie. 'So lange Zeit habe ich die Erinnerungen im Vergessenen gelassen, warum kommen sie gerade jetzt zurück? Hierher folgen sie mir nicht. Hier werden sie Abstand nehmen.' Aber sie war sich ihrer eigenen Gedanken nicht mehr sicher. Sicher war nur eines, nämlich dass sie nicht vollkommen ohne Ruhe bleiben konnte, bis sie wieder in Cycalas war. Sie musste schlafen, ob sie wollte oder nicht.

      Der glatte Steinboden presste sich angenehm kühl gegen ihre Haut. Er erinnerte sie an die Planken der cycalanischen Barken, wenn sie nachts darauf lag und den Himmel über dem Meer beobachtete. Hier gab es keinen Himmel, nur die anthrazitfarbene Kellerdecke. Wie Gewitterwolken in der Dunkelheit. Keine Holztäfelung wie Speere und Pfeile. Noch bevor sie die Sterne im Stein suchen konnte, war sie eingeschlafen.

      Der glühende Schmerz ließ langsam nach. Zumindest der Körperliche. Sie hatte nicht geschrien und sie würde es auch nicht tun.

      Es roch nach feuchtem Gras und Moos. Niemand war in ihrer Nähe und so würde es bleiben. Die anderen waren nicht allzu weit entfernt, aber niemand wagte sich an sie heran. Es war besser so.

      Manchmal hörte sie Schritte auf dem weichen Boden und das Knacken von Zweigen, wenn jemand darauf trat. Doch er kam nicht näher.

      Sie wollte niemanden sehen, niemanden hören. Und sie wollte nicht denken.

      Diesmal wurden die Schritte lauter. Sie erkannte jeden ihrer Gefährten am Gang, am Atmen. Die Stimme überraschte sie nicht.

      „Wir können nicht mehr lange bleiben. Sie werden bald hier sein.“

      Sie reagierte nicht.

      Der andere wusste nicht, ob er noch etwas sagen sollte, entschied sich dann aber dagegen und entfernte sich wieder.

      'Dann lass sie kommen.' dachte sie. Sie ahnte, wie der Gedanke weiterging, doch in diesem Moment war nichts leichter, als ihn abzuschütteln. Was spielte das 'danach' auch noch für eine Rolle?

      Wieder kam jemand näher.

      „Bitte... verzeiht.. die Störung., hohe....“ begann jetzt eine andere, viel unterwürfigere Stimme, doch plötzlich erwachte ihre innere Abwehr wie ein feuerspeiender Drache.

      „Sag... es... nicht! Was immer dir gerade auf der Zunge lag!“ zischte sie wütend. Sie hatte die Lippen kaum bewegt, doch jedes Wort war so deutlich vernehmbar als hätte sie aus voller Kraft geschrien.

      Die Stimme verstummte.

      Sie öffnete die Augen und sah weiße Wolken über den strahlend blauen Himmel ziehen. Ein Bussard zog seine Kreise und hin und wieder schob der Wind einen Zweig der nahestenden Birken in das sonst perfekte Bild.

      „Geht. Alle.“ sagte sie dann ohne eine weitere Erklärung.

      Kurz darauf erhob sich Gemurmel. Die anderen schienen über ihre letzten Worte unsicher, wollten diesen vielleicht auch nicht glauben, als sie wiedergegeben wurden. Nun kam der Erste wieder zurück.

      „Wir werden nicht ohne dich gehen.“

      Sie sah sein Gesicht nicht, nur die ziehenden Wolken weit oben. Er seufzte.

      „Es ist mir gleich, was ihr tut.“

      „Bitte... wir haben nicht viel Zeit. Wir können nicht hierbleiben, aber...“

      „Ich halte euch nicht auf.“

      „Im Süden werden wir sicher genügend Heilkräuter finden, mit der ich deine....“

      „Lass mich in Ruhe.“

      Anscheinend hatte er begriffen, dass er sie nicht überreden konnte und ging wieder zu den anderen. Sie spürte, wie der Schmerz wieder in Begriff war aufzuflackern, doch es war ihr gleichgültig. Beinahe begrüßte sie ihn, denn er stand wie eine große, undurchlässige und schützende Wand zwischen ihr und klaren Gedanken, die sie gar nicht haben wollte. Mal konnte sie sie durch bloßen Willen von sich fernhalten, dann stürzten sie wieder über sie herein.

      Sie hatte nicht einmal versucht, aufzustehen. Sicher hätte sie es geschafft, aber wozu? Es gab keinen Ort auf dieser Welt, an den sie jetzt hätte gehen wollen. Wenn ihre Gefährten von 'Zuhause' sprachen, wusste sie nicht mehr, wovon sie redeten. Wollte sie es überhaupt noch wissen? Die Stimmen Cycalas', die einst in ihr erklungen waren, sie waren kaum noch zu hören. Würden sie bald für immer sterben? Oder würden sie zurückkommen, lauter denn je zuvor?

      „Glaubst du, er wird dulden, dass du dich deinem Schicksal auf diese Art entziehst?“

      Sie wusste, dass sie diese Worte nicht wirklich hörte, doch gleichzeitig war ihr, als würden sie ihr entgegengeschrien, mit Donnern und Tosen und selbst im Tode würden sie ihr noch nacheilen, jeden Tropfen Blut in ihr erfüllen und zum Erbeben bringen. Niemand außer ihr konnte es hören, niemand sonst das unerträgliche Brennen spüren, das jede Silbe mit sich brachte. Das Gras unter ihr bewegte sich wie im Sturm, schien zu wachsen... legte sich um ihre Handgelenke, um ihre Beine und kroch ihren Körper entlang... wie Schlangen, die aus der Erde geboren wurden. Schlangen, die glühende Spuren auf ihrer Haut hinterließen. Wie brennende Nadeln stießen ihre Zähne ins Fleisch und ihr Zischen vermischte sich mit der weit schallenden Stimme, wurde zu Gelächter von Tausenden, die sich um sie wanden, um sie hinabzuziehen in eine endlose Tiefe, in die sie sich eben noch hineingewünscht hatte. Doch sie war noch nicht bereit für das, was dort auf sie wartete und je mehr sie sich gegen das Zerren und Reißen wehrte, desto mehr verbissen sich die Ungetüme in ihr, desto unerträglicher wurde der Schmerz und desto schneller schwand die wenige Kraft, die noch nicht verloren war. Jeder Atemzug war schwerer als der vorherige und ihr Herz quälte sich von Schlag zu Schlag mehr. Der Himmel hatte sich verfinstert und alles um sie herum bestand jetzt nur noch aus Schwärze und Nichts. Kein Wald, kein Boden, keine Gefährten, kein Gras, keine Wolken.... Nur Schlangen, Stimmen und die Gewissheit, dass das Unausweichliche immer näherkam. Weit, weit hinten zog sich die Finsternis plötzlich zusammen, um noch intensiver, noch vollkommener zu werden... sie wand sich hin und her, wurde größer und verdichtete sich weiter zu einer gigantischen Schlange, die sich entrollte, ihr Maul aufriss und plötzlich zu explodieren schien...

      Mit rasendem Herz, aber vollkommen bewegungslos, wachte Lennys auf. Selbst die dunkle Steindecke über ihr war blendend grell im Vergleich zu dem, was sie eben gesehen hatte.

      Es hatte nicht funktioniert. Selbst hier, in diesem Raum, der vollkommen unter dem Schutze Cycalas' stand, fand sie keine Ruhe, es war eher so, als würde die Umgebung die Träume noch verstärken. Oder als hätte sie zumindest keinerlei Einfluss darauf.

      Als Lennys wieder ins Erdgeschoss des Hauses zurückkam, stellte sie überrascht fest, dass es schon Abend geworden war. Sie hatte nicht dass Gefühl gehabt, den ganzen Nachmittag geschlafen zu haben, sondern nur wenige Minuten.

      Das nächste, was ihr auffiel, war, dass sie allein war. Weder Akosh noch Sara waren irgendwo zu sehen und alles war still. Erst als sie sich dem anderen Ende des Ganges näherte, hörte sie leise Stimmen. Sie kamen aus Akoshs Werkstatt.

      Lautlos schob Lennys die angelehnte Tür auf und sah, wie der Schmied und ihre Dienerin über die Arbeitsfläche gebeugt am anderen Ende standen. Links und rechts von ihnen brannten Öllampen und verbreiteten ein goldenes Licht, das tanzende Schatten an die Wand warf. Akosh trug diesmal keinen Umhang, sondern nur ein dünnes, ungefärbtes Hemd und in seinem Nacken glänzten Schweißperlen. Er sprach immer noch leise und Sara nickte ab und zu oder machte eine kurze Bemerkung, doch noch konnte Lennys nicht verstehen, was beide sagten. Sie trat einige Schritte näher.

      „... , das macht ihn leichter als er aussieht. Du wirst also keine Probleme damit haben, ihn zu führen.“ sagte der Schmied gerade.

      „Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal lernen muss....“ antwortete Sara.

      „Der Moment, in dem du ihn benötigst, kommt vielleicht sehr bald. Oder nie. Du solltest aber auf jeden Fall darauf vorbereitet sein. Je schneller du die Angst davor verlierst, desto besser.“

      „Ich habe keine Angst, ihn zu benutzen, wenn