Christine Boy

Sichelland


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Wenn das Licht darauf fiel, leuchtete er rotgolden und die darin seit langer Zeit eingeschlossenen winzigen Insekten und Pflanzenfasern ließen das Gesamtbild bizarr wirken. Eingefrorenes Leben in einer Waffe des Todes.

      „Gefällt er dir?“ fragte Akosh, als Sara die anderen Dolche nicht weiter beachtete. Sie nickte stumm.

      „Manchmal ist weniger mehr, du hast ganz recht. Du kannst dir wohl denken, dass solche großen Bernsteinstücke so gut wie nicht zu finden sind. Oben im Nordosten des Sichellandes gibt es eine Gegend, wo man manchmal Glück hat, aber selbst, wenn man ganz Sacua absucht, wird die Ausbeute nicht einmal für zwanzig Dolche dieser Art ausreichen. Ich fürchte, mit einem solchen Modell kann ich dir nicht dienen. Er gehörte einem ... guten Freund. Er ist gestorben und niemand sonst soll diesen Dolch sonst tragen. Ich kann dir also nicht einmal diesen hier schenken. Aber ich habe noch einige dieser Steine übrig, einer ist sogar ziemlich groß. Warte, ich zeige ihn dir, vielleicht fällt dir ein, was man damit machen könnte.“

      Sara folgte dem Schmied zu einem eher unscheinbaren Schrank in der Ecke, dessen unterste Schublade Akosh jetzt aufschloss. Darin lagen, in Samt gebettet, an die hundert Bernsteine in den verschiedensten Farben und Größen. Tatsächlich maß einer von ihnen fast die Hälfte der Länge eines Dolchgriffes, doch er lief kegelförmig an einer Seite spitz zu und würde wohl irgendwann als Schmuckstück oder Priesterpendel enden. Noch während Sara auf die golden schimmernden Steine starrte, stellte Akosch eine Holzkiste neben ihr auf den Boden.

      „Hier, das sind noch andere Griffmodelle. Sie ähneln aber einander, da sie nicht für die Kampfdolche gedacht sind, sondern eher für das, was wir schon beinahe als Werkzeug betrachten. Oh, wie ich sehe, sind sogar einige kaputte dabei....“ Er nahm einen zerbrochen Griff aus geschwärztem Holz in die Hand und wollte ihn gerade achtlos in die Kiste zurückwerfen als Sara ein Gedanke kam.

      „Wartet...“ sagte sie und sah noch einmal in die Bernsteinschublade. „Darf ich etwas ausprobieren?“ fragte sie dann.

      Akosh grinste breit. „Ich bitte darum....“

      Sie nahm das abgebrochene Holzstück, das Akosh ihr jetzt reichte und nahm zögernd den großen Bernstein aus dem Fach. Vorsichtig schob sie ihn in die Spalte des zerstörten Griffs. Er passte nicht ganz, der Griff war zu klein, die Spalte zu eng und an einer Seite klaffte noch eine ziemliche Lücke, doch Akosh sah sofort, was Sara vorgehabt hatte. Er stieß einen leisen Pfiff aus.

      „Nicht schlecht. Natürlich müsste ich ein neues Griffstück schnitzen oder ausgießen und den Stein müsste ich neu schleifen und polieren. Aber so könnte es funktionieren. Würde dir das gefallen?“

      „Der Stein ist viel zu wertvoll für mich....“ begann die Novizin Einspruch zu erheben.

      „Unsinn. Ich wusste ohnehin nichts damit anzufangen. Aber jetzt liegt einiges an Arbeit vor mir...."

      Dann machten sie sich gemeinsam ans Werk.

      Sie schmeckte Blut. Doch es war nicht süß, nicht berauschend und warm wie sonst, sondern bitter und kalt. Es war nicht das Blut eines getöteten Feindes, sondern ihr eigenes. Seltsamerweise war dieser Geschmack das Erste was sie wahrnahm. Nicht die entsetzlichen Kopfschmerzen, nicht der harte Boden unter ihr, nicht die schneidenden Fesseln, die ihren ganzen Körper lähmten. All das drang erst nach und nach in ihr Bewusstsein und sie wünschte sich einen Moment lang, in die Schwärze des Vergessens zurückzukehren, aus der sie gerade erwachte. Sterne tanzten vor ihren Augen, obwohl sie diese noch nicht geöffnet hatte und sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass der Erdboden, der eigentlich fest und unnachgiebig sein sollte, wie eine Barke im Sturm schwankte. Nur langsam drängte sich der Gedanke nach vorn, wurde zu einer Tatsache, die es erst einmal zu begreifen galt: 'Sie haben mich.'

      „Beweg dich nicht.“ Die Stimme neben ihr ließ sie zusammen zucken, ohne dass ihr der Grund dafür klar war. „Sie müssen noch nicht wissen, dass du wach bist.“

      Die Stimme schien überall zu sein. Neben ihr. Über ihr. Sogar in ihr. Und sie war kaum zu ertragen, obwohl sie kaum mehr als ein Flüstern war.

      Sie wollte die Augen nicht öffnen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Die Sterne in der Dunkelheit wichen einem Wirbel aus düsteren Farben und schwarzen Schatten und es dauerte einige lange Momente, bis ihr bewusst wurde, dass es Nacht war im Wald. Weit entfernt flackerte ein Feuer. Vielleicht auch mehrere. Ihre Flammen schlugen hoch, lösten sich vom Boden, teilten sich und verschmolzen wieder. Der Wald begann sich zu drehen.

      „Es wird bald Tag werden...“ sagte die Stimme jetzt. „Noch ein oder zwei Stunden...“

      War nicht eben erst die Sonne untergegangen? Wie lange lag sie hier schon?

      „Siehst du die Sonne? Sie leuchtet rot... so wie sie es immer tut, wenn sie uns Großes verheißt...“

      Überrascht sah sie auf. Keine Fesseln, keine Schmerzen mehr. Sie stand an der Küste und die Stimme hinter ihr flüsterte nicht mehr, sondern sprach laut und zuversichtlich. Und doch drehte sie sich nicht zu ihr um. Sie sah weiter aufs Meer, dass nun im Abendlicht glühte und die Prophezeiung der Sonne zu bekräftigen schien.

      „Aber sieht nicht jeder diese Röte? Jeder, ... nicht nur wir.“ hörte sie sich sagen.

      „Sie spricht nur zu denen, die sie auch verstehen. Wir respektieren sie, ganz gleich, ob wir sie mögen oder nicht. Und sie respektiert uns.“

      „Warum kann ich nicht daran glauben? Tust du es wirklich?“

      „Ich möchte es glauben. Wir verlassen uns nur auf uns selbst, nicht auf Vorzeichen am Himmel. Wir sind nicht abergläubisch. Aber ja, ich glaube, dass wir Großes erleben. Großes vollbringen. Und vielleicht... vielleicht ist dieser Abend der Vorbote. Ich weiß nicht, ob dieses Rot uns wirklich etwas erzählt. Doch es hat es schon einmal getan. Nein, zweimal. Und vielleicht ist es auch dieses Mal so.“ Die Stimme klang triumphierend. Siegessicher. So, wie sie selbst sich fühlte. Aber sie machte es nicht von der Farbe der Sonne abhängig.

      „Wir sollten zurückgehen.“ sagte sie jetzt.

      „Du bist zu ungeduldig.“

      „Nein. Es hat nur keinen Sinn, hier zu stehen. Wir dürfen uns keine Fehler erlauben. Zeitverschwendung ist ein Fehler.“

      „Ungeduld und überhastetes Handeln auch.“ Die Stimme war noch genauso ruhig wie zuvor, hatte jetzt sogar einen amüsierten Unterton.

      „Ich weiß, was ich tue.“ erwiderte sie knapp.

      „Daran habe ich keinen Zweifel. Um dich muss man sich keine Sorgen machen. Aber vielleicht muss man dich ein wenig....“

      Es klopfte. Sonne und Meer verschwanden, wurden zu einem schwarzen Nichts. Die Stimme verstummte. Es klopfte erneut.

      Lennys öffnete die Augen und sah wieder die holzgetäfelte Decke. Nur langsam, ganz allmählich, trennten sich die Erinnerungen an den Traum von der Realität, die sie gerade einholte. Realität, die in manchen Momenten so bitter war, wie das eigene Blut, wenn es die Zunge berührte. Erst beim dritten Klopfen antwortete sie.

      „Was gibt es?“ fragte sie und bemühte sich nicht, ihren Ärger über die Störung zu unterdrücken.

      „Es tut mir leid, dass ich dich wecke....“ hörte sie jetzt Akoshs Stimme hinter der weiterhin geschlossen Tür. „Aber ich habe grade eine unschöne Nachricht erhalten..“

      „Ich komme.“ antwortete Lennys gereizt und richtete sich auf. Sie fühlte sich alles andere als ausgeruht und der Traum hatte die angenehme Wirkung des Blutes der Nacht zuvor beinahe vollständig zerstört. Ein unterschwelliges, schlechtes Gefühl begleitete sie auf dem Weg in den Flur.

      „Du siehst blass aus.“ bemerkte Akosh, als er Lennys sah.

      „Spar dir das. Was für unschöne Nachrichten sind das?“

      „Ich war eben auf dem Markt, weil ich noch eine Kleinigkeit besorgen musste. Ein Händler, der aus Fangmor angereist ist, berichtet, dass dort seltsame Dinge vorgehen....“

      „In Fangmor? Was