Christine Boy

Sichelland


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dort...“

      „Wieso gerade da?“ fragte Akosh erstaunt.

      „Ich... es war nur ein Gedanke, mehr nicht. Der Weg dorthin führt hier vorbei.“

      Akosh beschloss, nicht länger um den heißen Brei herum zu reden.

      „Du weißt, was hier passiert ist? Ich meine, ...“

      „Warum hier zwei Tote liegen und warum Lennys' Klinge und ihre Lippen voller Blut sind? Ja, das weiß ich.“

      „Und es erschreckt dich nicht?“

      Sara schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Gromuits Erlebnisse hatten sie darauf vorbereitet, auch wenn sie im ersten Moment Furcht empfunden hatte, als sie Akosh und Lennys wie tot daliegend gefunden hatte.

      „So etwas wie hier... du darfst es dir nicht immer so vorstellen, Sara. Es war für uns beide das erste Mal seit langem.“ Er lachte kurz. „Normalerweise gehen wir nicht wie die Tiere auf Beutejagd, nur weil wir Hunger... oder vielmehr Durst haben.“

      „Tun das... alle Cycala?“ fragte Sara nachdenklich.

      „Oh nein, nur sehr wenige. Lennys tut es. Und ich. Und einige andere. Aber seit dem Großen Krieg wurden die Kelche nicht mehr benutzt. Das hat Gründe, über die ich nicht sprechen will. Nun, da wir angegriffen wurden, ist die Zeit der Entbehrung für uns vorbei. Du hast Lennys nach Valahir begleitet, Sara. Sie hatte dort ihren Kelch bewahrt und ihn zurückgeholt, um damit den Kampf einzuläuten. Das was du hier siehst, sind Spuren eines uralten Rituals und es wurde zum ersten Mal seit der Dunklen Zeit wieder praktiziert.“

      „Warum gerade hier? Und warum gerade sie?“

      „Auch das kann ich dir jetzt nicht sagen. Hab Geduld.“ Er betrachtete Lennys und lächelte. „Eine Eigenschaft, die manchen ein wenig fehlt.“

      „Anderen fehlt dafür die Verschwiegenheit.“ Lennys öffnete die Augen und richtete sich auf, ohne Akosh oder Sara anzusehen. Wortlos wischte sie die Sichel mit dem Umhang ab und ließ anschließend den Kelch wieder in einer Tasche verschwinden.

      Ohne weiter auf Lennys' Anspielung einzugehen, fuhr Akosh fort:

      „Ich denke, wir sollten machen, dass wir hier weg kommen, bevor die ersten Wanderer oder Händler auftauchen.“

      Statt einer Antwort stand Lennys auf und sah nun zum ersten Mal zu den beiden hinüber. Ihr Blick ruhte kurz auf Sara, dann wandte sie sich an Akosh.

      „Geh du vor. Wir sehen uns später.“

      Seufzend erhob sich jetzt auch Akosh und sah sich noch einmal auf dem Platz um. Die Leichen mussten sie nicht verstecken, denn so würden bald auch die anderen Mitglieder der Gemeinschaft von dem Beginn des Krieges hören. Mit einer knappen Geste verabschiedete sich der Goldschmied von den beiden Frauen und machte sich wieder daran, die Steigung zu den Dornbüschen zu erklimmen.

      Lennys wartete, bis er außer Sicht war, dann bedeutete sie Sara, ihr zu folgen und wählte einen Pfad, der sie nach Westen führte.

      „Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast, aber jetzt ist die Zeit der Abenteuer für dich vorbei. Ich bringe dich zurück.“

      Sara blieb stehen. „Ich gehe nicht zurück.“

      „Das ist nicht deine Entscheidung.“

      „Es ist auch nicht eure.“

      Verblüfft drehte sich Lennys um und sah Sara an. „Was hast du gesagt?“

      „Ich sagte, es ist auch nicht eure Entscheidung, ob ich in den Tempel zurückkehre.“ Es kostete Sara einiges an Mut, so zu ihrer früheren Herrin zu sprechen, aber sie war ganz sicher nicht hierher gekommen, um nun wie ein ausgerissenes Kind zurück nach Hause gebracht zu werden.

      „So, und wenn ich dich recht verstehe, würdest du dich meinen Wünschen widersetzen, wenn ich von dir verlange, wieder zu Beema zu gehen?“ fragte Lennys jetzt herausfordernd.

      „Ja, das würde ich.“

      „Du magst den Tempel nicht?“

      Sara bemühte sich, nicht den Blick abzuwenden. Sie hatte das Gefühl, Lennys würde sie mit ihren Augen durchbohren, würde in jeden Winkel ihrer Gedanken sehen.

      „Nein, ich mag ihn nicht. Aber ich kenne nichts anderes, deshalb war es bisher mein Heim.“

      Lennys stand nun etwas unschlüssig mitten auf dem Weg und sah erst in die eine Richtung, nach Westen zum Nebeltempel hin, dann wieder nach Osten, wo sie hergekommen waren und wo der Wegweiser einer nahen Kreuzung nach Goriol wies.

      „Ich kann dich nicht mitnehmen. Es wäre dein sicherer Tod.“

      Es klang nicht so kalt und gleichgültig, wie Sara erwartet hatte, aber letztendlich hatte sie auf keine andere Antwort hoffen können.

      „Jeder muss irgendwann sterben. Und ich will meine letzten Tage nicht im Nebeltempel verbringen, selbst wenn sie dort in weiterer Ferne sind.“ antwortete sie dann.

      „Dieser Kampf geht dich nichts an. Du hast schon mehr gesehen, als du hättest sehen dürfen und das, was heute morgen geschehen ist, war nur der Anfang von etwas viel Größerem. Und es ist keine romantische Abenteuergeschichte für kleine Tempelmädchen.“

      Sara ließ sich nicht einschüchtern.

      „Gut. Denn vom Tempel habe ich mich schon losgesagt. Und das kleine Mädchen, das nun vor euch steht, wird seinen Weg notfalls auch alleine gehen. Und er wird den euren irgendwann kreuzen. Ich gehe nicht zurück.“

      Wider Willen war Lennys ein wenig beeindruckt von Saras Hartnäckigkeit. Natürlich hatte die Novizin nicht die geringste Ahnung von dem, auf das sie sich da unbedingt einlassen wollte. Doch sicherlich wusste sie schon mehr als sie zugab, sonst hätte sie bei dem Anblick auf der Lichtung an diesem Morgen ganz anders reagiert.

      „Für jene, die uns jagen, sind unsere Helfer eine beinahe ebenso erstrebenswerte Beute wie wir selbst.“ sagte die Cycala dann.

      „Dann werde ich lernen müssen, ihnen zu entkommen und mich gegen sie zu wehren.“

      „Wahrscheinlich wirst du den nächsten Sommer nicht mehr erleben.“

      „Besser, als viele Jahre im Tempel zu verbringen und dabei jeden Tag ein wenig mehr zu sterben.“

      Hunderte Argumente gingen Lennys durch den Kopf. Sie wusste, dass sie nur 'Nein' sagen musste, dass sie ihre Entscheidung, Sara zurückzulassen, vor niemandem rechtfertigen musste. Dass Sara ihr nicht helfen konnte in dem Kampf, der unweigerlich bevorstand. Dass dieses Gespräch sinnlos war und dass alles – jede Vernunft und alle Bedenken - dagegen sprachen und dennoch... Irgendetwas hielt sie davon ab, der Novizin einfach den Rücken zu kehren.

      „Dann sieh dem Tod entgegen, wenn du es nicht anders willst.“ sagte sie schließlich.

      Sara zeigte nicht, was sie fühlte. Doch als sie jetzt Lennys und mit ihr dem Weg nach Westen folgte, wieder weg vom Tempel und in Richtung Goriol, da wusste sie, dass sie sich richtig entschieden hatte in der Nacht, da sie zum letzten Mal durch den Kräutergarten gegangen war.

      Auf etwa halbem Weg zurück in die Stadt setzte Regen ein. Es störte die beiden Frauen nicht und sie beschleunigten auch ihre Schritte nicht. Dieser Regen hatte etwas Friedliches an sich, etwas Beruhigendes.

      Doch auch ohne ihn hätte sich Lennys ausgeglichener gefühlt als in den letzten Tagen. Das Blut hatte nach so langer Zeit seine Wirkung voll entfalten können und sie mit einer – wie sie wusste, nur vorübergehenden – inneren Ruhe erfüllt. Es würde nicht lange anhalten, denn einmal zurück in den Händen des Durstes, war es schwer und qualvoll, ihnen wieder zu entfliehen. Sie konnte sich noch allzu gut an das letzte Mal erinnern.

      In diesen Momenten, da sie mit Sara die regenschwere Luft des Drei-Morgen-Waldes einatmete und da der Geschmack der Belohnung noch nicht ganz verflogen war, wollte Lennys nicht über die Zukunft nachdenken. Die Situation hatte sich geändert, sie war nicht mehr allein und mit