Christine Boy

Sichelland


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aufzunehmen, der unweigerlich kommen wird, habe ich jedoch noch eine Nachricht...“

      Akosh hob den Kopf, er wusste, was jetzt kommen würde. Und alle Cycala hörten mit ihm, wie die Worte gesprochen wurden, die sie schon beinahe vergessen hatten und die noch einmal zu vernehmen sie nie geglaubt hatten. Es war ein Aufruf, der zuletzt vor zwölf Jahren an die Sichelländer gerichtet worden war.

      Eine seltsame Stimmung lag in dem Keller, nachdem Lennys geendet hatte. Vielleicht war es eine Mischung aus Angst und Sehnsucht und obwohl niemand auf diesen Moment vorbereitet gewesen war, war es doch allen, als ob nichts anderes als das Unausweichliche geschehen war.

      Akosh erhob sich von seinem Platz und sah in die Runde.

      „Wir haben heute weder die Zeit noch die Sicherheit, diese Zusammenkunft länger als notwendig abzuhalten. Ihr alle habt viel zu tun und noch mehr darüber nachzudenken, doch bitte überstürzt nichts.“ Er warf einen unsicheren Seitenblick auf Lennys, die aber keine Reaktion zeigte. Dann stand auch sie auf und sagte nur:

      „Ihr werdet von uns hören. Seid wachsam.“

      Ohne ein Wort des Abschieds ging sie wieder nach oben und überließ es Akosh, das Treffen aufzulösen und die Mitglieder der Gemeinschaft wieder in sicheren Abständen durch den Gang zurückzuschicken. Mehr als zwei Stunden vergingen bis er zurückkam.

      „Es ist gut gegangen, wie immer.“ sagte er. „Niemand hat sie gehen sehen.“

      „Sie glauben es noch nicht.“ erwiderte Lennys.

      „Sie brauchen Zeit. Und ich bin mir sicher, dass sie es glauben, aber es wird ihnen gehen wie mir. Es zu glauben ist eine Sache, es zu begreifen eine völlig andere.“

      Lennys warf sich den Umhang über und ging zur Tür.

      „Wo willst du hin?“

      „Ich werde den Anfang machen. Jetzt.“

      Akosh riss erschrocken die Augen auf.

      „Du willst jetzt hinausgehen und....? Lennys, nein, das geht nicht. Du kannst nicht alleine gehen, es ist zu....“

      „Gefährlich?“ fragte sie spöttisch. „Komm mit, wenn du es nicht lassen kannst, den Beschützer zu spielen, aber halte mich nicht auf und stell dich mir nicht in den Weg.“

      Sie wartete nicht. Noch vollkommen von dem plötzlichen Aufbruch überrascht, musste Akosh sich beeilen, den Kurzsäbel aus einem verborgenen Fach unter den Dielen zu holen, seinen schwarzen Umhang herauszusuchen und möglichst ungesehen sein Haus zu verlassen. Er sah sich auf der Straße um, doch Lennys war schon verschwunden.

      Einer Ahnung folgend, schlug er nicht den Weg zum Markt ein, sondern folgte der Südgrenze Goriols nach Westen. An den Äckern der Getreidebauern holte er sie endlich ein.

      „Das ist ein ziemlicher Umweg...“ keuchte er, als er endlich auf ihrer Höhe war.

      „Ich habe nicht vor, von neugierigen Schlafwandlern beobachtet zu werden....“ Abrupt blieb sie stehen und sah ungläubig auf Akoshs Waffe. „Was ist das denn?“

      „Mein Shajkan, du kennst ihn doch...“

      „Wo ist deine Sichel?“

      „Lennys....“

      „Hör zu, das ist keine Spassveranstaltung hier! Damit kannst du vielleicht einen durchgedrehten Banditen erledigen oder einen tollwütigen Eber! Überlass den Shajkan denen, die keine andere Wahl haben, aber du hast sie!“

      Akosh seufzte. „Ich hatte mir geschworen, sie nie mehr zu tragen...“

      „Solange du nur den Eid gegenüber dir selbst brichst, wirst du schon nicht gleich zur Hölle fahren. Aber jetzt haben wir keine Zeit mehr für deine Nachlässigkeiten. Es muss eben so gehen.“

      „Und wo gehen wir jetzt hin?“

      „In den Wald. Dort wo sie sind. Ich weiß es.“

      Bis sie den Rand des dunklen Forstes nordwestlich von Goriol erreichten, sprachen sie kein Wort mehr. Es war eine kühle, etwas feuchte Nacht, wie schon die vorangegangene, doch selbst in einem Eisregen hätte Lennys jetzt nicht gefroren. Eine innere Glut schien sie zu versengen und sie genoss das Gefühl und die Aussicht auf eine Erlösung, die so nahe war wie lange nicht.

      Sie bewegten sich lautlos und niemand, der in der beinahe undurchdringlichen Finsternis weiter als einen Meter von ihnen entfernt war, hätte ahnen können, dass zwei Jäger durch die Bäume schlichen, die ihre Gier auf ein Opfer nur schwer im Zaum halten konnten.

      Sie hielten sich weiter nördlich, überquerten den Bach und anschließend den Hügel, auf dem Lennys bereits am Nachmittag ausgeharrt hatte. Diesmal war sie weniger risikofreudig und leichtsinnig, sondern hielt sich im Schatten der Bäume und hinter hohen Sträuchern verborgen. Nach einer Weile blieb sie plötzlich stehen. Die Anhöhe lag schon ein ganzes Stück hinter ihnen und selbst, wenn sie jetzt umkehrten, würden sie erst nach Sonnenaufgang Goriol erreichen. Doch das war unwichtig.

      „Was ist los?“ flüsterte Akosh.

      „Riechst du es nicht?“

      „Was?“

      „Es riecht nach Met. Nach abgestandenem, gammligen Met.“

      Akosh sog die Luft ein und nickte.

      „Du hast recht...“

      „Hantua aus Zrundir trinken alten Met lieber als frischen. Sie sind hier....“ Ihre Hand umklammerte den Griff der Sichelklinge.

      „Wir sind nur zu zweit....“ gab Akosh zu bedenken. „Gegen ein ganzes Lager haben wir keine Chance."

      „Ein Lager hätten wir schon längst gehört, sie lassen immer Wachen aufstellen. Es sind höchstens zwei oder drei. Und sie sind nicht sehr weit weg. Met und Schweiß... der Gestank des Abschaums von Zrundir.“ Sie betonte die letzten Worte voll Abscheu und spuckte auf den Boden, dann nickte sie zu einer hohen Wand aus Dornbüschen einige Meter vor ihnen. „Dahinter ist ein kurzer Steilhang.“

      Akosh hatte Mühe, ihre leisen Worte zu verstehen.

      „Sie sind dort unten, an der Quelle des Goriolbaches. Du wirst sie gleich sehen können....“

      Lennys spürte die Dornen nicht, die dünne blutige Linien auf ihre Haut malten und das Leder ihrer Kleidung zerkratzten. Sie schob sich auf dem Bauch liegend durch die Büsche und verspürte einen Hauch von Belustigung, als sie hörte, wie Akosh immer wieder ein Fluchen unterdrückte. Gleich würde er für diese Mühen entschädigt werden. Wie sie auch.

      Hinter dem Abhang gurgelte tatsächlich die Quelle des Baches, den sie einige Zeit vorher schon überquert hatten, aber diesmal war sie nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Ein Feuer brannte daneben und spiegelte sich im Wasser.

      Zwei hünenhafte Männer saßen davor und drehten Akosh und Lennys den Rücken zu. Einer von ihnen hatte irgendetwas auf einen langen Spieß gesteckt, den er in den Flammen hin und her wendete, der andere nahm gerade einen gewaltigen Schluck aus einem Lederschlauch, der gewiss nicht mit Wasser gefüllt war. Der, der den Spieß in der Hand hielt, hatte einen kahlen Schädel, der mit Brandnarben übersät war.

      Nun stand der andere mühsam auf und schwankte etwas, bevor er sich wohlig streckte.

      „Ich hau' mich auf's Ohr. War 'ne lange Nacht, auch wenn's wieder nichts gebracht hat.“

      „Diese verfluchten Ratten haben sich in ihre Löcher verkrochen. Wir werden sie schon ausräuchern.“ knurrte der andere.

      „Feige sind sie, lassen sich kaum noch blicken. Verdammte Dämonenbrut!“

      Lennys spannte die Muskeln an, doch sie spürte Akoshs warnenden Blick hinter sich.

      „Der Met ist auch schon wieder leer...“ grunzte jetzt wieder der Betrunkene.

      „Was säufst du auch so viel. Wir können nicht schon wieder welchen klauen, sonst fällt es sogar diesem Bauernpack auf.“