Christine Boy

Sichelland


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kann nicht hier und nicht durch uns beide entschieden werden.“

      „Das wird es auch nicht, verlass dich darauf. Für heute Nacht reicht es mir schon, wenn wir ihnen erneut eine Wunde hinzufügen. Lass uns endlich gehen und sie suchen.... ich habe Durst.“

      Akosh war erleichtert, als sie wieder die Stelle erreichten, an der die Pferde warteten. Die Singenden Sümpfe waren nicht gerade die Gegend, die er am liebsten aufsuchte. Genau aus diesem Grund hatte er auch Sichel und Kelch dort verwahrt, wohl wissend, dass er kaum zufällig dorthin zurückkehren würde. Wohl wissend, dass die Versuchung, dort hinzugehen, gedämpft werden würde. Er hasste die Sümpfe, auch wenn ihr Klima nicht das Unangenehmste war im Vergleich zu hitzeflimmernden Ödländern.

      „Weißt du, warum man sie die Singenden Sümpfe nennt?“ fragte er unvermittelt.

      „Weil die Mittelländer ein abergläubisches Volk sind. Sie fürchten sich vor allem, was sie nicht begreifen.“ antwortete Lennys geringschätzig.

      „Sie sagen, man hört dort in besonders nebligen Nächten immer noch die Totengesänge aus längst vergangenen Zeiten. Damals, als die Verstorbenen noch in den Sümpfen bestattet wurden, damit ihre Seelen nicht zurück zu den Hinterbliebenen fänden.“

      „Wie ich sagte: Aberglaube. Ich habe nichts gehört, oder du? Und heute ist es zweifellos neblig. Haben sie gesungen?“ Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. „Sag bloß, du glaubst an diesen Unsinn?“

      „Nein...“ Akosh schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht daran. Aber ich bin nicht gern in dieser Gegend. Sie hat so etwas Trostloses... etwas Totes. Nur Ungeziefer, Nebel und Schlammlöcher.“

      „Ich habe auch nicht vor, länger hierzubleiben. Für die Hantua muss es wahrlich die Hölle sein, wir werden hier keine finden.“

      Sie banden die Pferde los und führten sie ein Stück durchs Unterholz, bis sie auf einen schmalen, aber festen Weg stießen, der nach Südwesten führte.

      „Wir werden einen ziemlichen Umweg machen, wenn wir hier weiterreiten.“

      Lennys nickte nur knapp.

      „Wenn wir bei Sonnenaufgang in Richtung Fangmor aufbrechen wollen, müssen wir uns beeilen. Ich habe noch nicht viel vorbereitet.“

      „Sara hat sich in den letzten Tagen darum gekümmert. Sie hat Proviant besorgt und unsere Sachen in Ordnung gebracht, so dass wir uns sofort auf den Weg machen können.“

      „Wie es scheint, hast du keine schlechte Wahl mit ihr getroffen.“ lächelte Akosh.

      „Ich brauche niemanden um mich. Der Himmel weiß, warum ich mir das hier auch noch in Begleitung antue. Aber vielleicht hast du Recht, es hätte schlimmer kommen können.“ Sie stieg auf den dunkelgrauen Hengst, den der Schmied zusammen mit der braunen Stute, die er selbst ritt, für heute Nacht ausgeliehen hatte. Er war mit dem Tier sehr zufrieden, doch er wusste, dass Lennys sich ein temperamentvolleres Pferd gewünscht hätte. Für diese Stunden gab sie sich mit dem Grauen zufrieden.

      „Vielleicht wirst du noch froh sein, dass du sie mitgenommen hast.“

      „Das glaube ich kaum. Meine Güte, ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist. Als wäre es nicht schlimm genug, dass ich Menrirs gute Ratschläge bald wieder ertragen muss. Und auch, wenn ich deine Gesellschaft als weniger unangenehm empfinde als die anderer, so bin ich doch lieber ganz für mich allein. Stattdessen spiele ich jetzt aber auch noch Kindermädchen.“

      „Sara kann sicher auf sich aufpassen. Immerhin hat sie uns auch allein gefunden und sie hatte keine Beschützer, als sie vom Nebeltempel hierherkam....“

      „...wie ein herrenloser Hund, meinst du.“ vollendete Lennys den Satz auf eine Art, die Akosh sicher nicht beabsichtigt hatte.

      „Kommt sie dir so vor?“

      „Manchmal. Mal mehr, mal weniger. Lass uns nicht mehr über Sara reden, wahrscheinlich haben wir deshalb schon längst das Gegrunze der Hantua überhört.“

      Der Schmied zuckte die Achseln. „Ich habe noch nichts gesehen, was auf ihre Anwesenheit hindeutet. Wir sind wohl noch zu nah am Moor.“

      Eine ganze Stunde folgten sie dem Weg, der allmählich breiter und ebener wurde. Lennys bezweifelte, dass die Gesuchten sich so nah an einem viel benutzten Pfad aufhielten, doch mit den Pferden hatten sie keine andere Wahl und konnten sich nicht durch den verwilderten Wald schlagen. Schließlich gabelte sich der Weg und führte zum einen nach Elmenfall im Süden, zum anderen nach Osten, wo er später nach Goriol abbog.

      Die Sichelländerin zügelte ihren Hengst und starrte auf die Kreuzung.

      „Wir werden nicht durch den Wald zurückreiten.“ sagte sie dann halblaut.

      „Nicht? Aber ich dachte, du wolltest nach Hantua Ausschau halten?“

      „Eben. Zrundir ist ein Ödland. Keine Wälder, keine Sümpfe. Die Kreaturen dort sind es gewöhnt, sich im offenen Gelände zu bewegen und auch zu verbergen. Wir werden über die Hügel nach Goriol reiten. Ich bin sicher, wir finden dort, was wir suchen. Die Spuren, die sie im Drei-Morgen-Wald hinterlassen haben, waren allesamt nicht besonders alt, sie haben sich dort nie lange aufgehalten. Wahrscheinlich waren sie nur auf der Durchreise und ihre eigentlichen Lager befinden sich südlich des Waldes.“

      „Du könntest recht haben. Aber wenn nicht,... ich meine, du willst doch nicht die ganze Nacht nach ihnen suchen?“

      „Nein. Aber ich lasse mir meinen Spaß auch nicht entgehen, wenn er zum Greifen nah ist. Und ehrlich gesagt dachte ich, du wärst dankbar, ihn endlich wieder benutzen zu können.“ Ihr Blick fiel bei diesen Worten auf die Stelle in Akoshs Umhang, an der der Kelch verborgen war.

      „Ich bin nicht wie du, Lennys. Du weißt, was ich meine. Die Belohnung, die du mir vor einigen Nächten gewährt hast, war großzügig und erfüllend, ich zehre immer noch von ihr. Ja, ich sehne mich nach mehr und ich sehne mich danach, ihm Ehre zuteil werden zu lassen. Doch ich habe nicht das Verlangen, das du verspürst. Noch nicht. Vielleicht habe ich noch nicht begriffen, dass wir vor einem Umbruch stehen. So lange habe ich mehr oder minder friedlich in Goriol vor mich hin gelebt, goldene Ketten geschmiedet und in meinem Kellergewölbe geheime Zeremonien abgehalten. Und nun... es scheint alles noch so weit weg....“

      „Es wird sehr bald sehr nah sein“

      „Ich habe lange auf diese Tage gewartet. So lange, dass ich einfach noch nicht fassen kann, was auf uns zukommt.“

      „Es war wohl ein wenig zu lang. Ein Grund mehr, die Hantua zu finden.“

      Sie ritten nicht bis Elmenfall, sondern schlugen vorher wieder die östliche Richtung nach Goriol ein. Hier breiteten sich grüne, hügelige Weiten aus, die am Tage von bunten Händlerzügen, gut gelaunten Wanderern und einigen wenigen Viehhirten mit ihren Herden bevölkert wurden. In warmen Sommernächten flackerte auch das eine oder andere Lagerfeuer hinter den Hängen hervor, wenn abenteuerlustige Reisende ihr hart erarbeitetes Gold sparen und auf die Unterkunft im Wirtshaus verzichten wollten. Doch der Sommer war nahezu vorüber und das Wetter immer unbeständiger. Nur selten zogen die Weltenbummler jetzt noch das Nachtlager unter freiem Himmel dem feucht-fröhlichen Treiben im „Rebstock“ von Goriol vor. Vielleicht waren manchen von ihnen auch die unheimlichen Berichte aus den Dörfern zu Ohren gekommen, ohne dass sie ahnen konnten, dass allem Anschein nach nur die Cycala von den blutigen Ereignissen betroffen waren.

      Akosh hatte sich gewundert, dass niemand ein Wort über die beiden toten Hantua verloren hatte, die er und Lennys im Wald erschlagen hatten. Hantua im Mittelland hatte es lange nicht gegeben und bei vielen Menschen war sich der Schmied nicht sicher, wie sie zu den finsteren Kreaturen aus Zrundir standen. Ja, sie hatten Angst, die Leute um Goriol. Aber auf wessen Seite schlägt sich der Furchtsame? Auf die, die er für die Stärkere hält? Wie viele Leute wussten eigentlich um die wahre Stärke Cycalas'? Wer auch immer die Toten gefunden hatte, er hatte es zumindest geschafft, seine Mitmenschen nicht zu beunruhigen und Stillschweigen zu bewahren.

      „Dort vorne.“