Martin Cordemann

Shylock Holmes


Скачать книгу

Fall leider sehr schlecht aus.

      TELMAH: Ich kann Ihnen leider nichts anderes sagen. Ich würde Ihnen ja gerne ein Alibi vorweisen, aber wenn man nicht darauf eingestellt ist, eins zu brauchen, ist schlecht an eins zu kommen.

      „Bezeugs der arme Stumpf, die Purpurschrift,

      Bezeugs dies Antlitz, tief von Gram gefurcht,

      Bezeugs der traur'ge Tag, die lange Nacht,

      Bezeug es alles Weh: ich kenne dich“.

      SHYLOCK: Ähm?

      TELMAH: ‘Titus Andronicus’, Fünfter Akt, zweite Szene.

      SHYLOCK: Was haben Sie nach der Vorstellung gemacht?

      TELMAH: Ich bin direkt nach Hause gefahren.

      SHYLOCK: Das war?

      TELMAH: Das war so gegen elf, halb zwölf.

      SHYLOCK: Hmmm, ich nehme an, Sie sind alle nach der Vorstellung gefahren, nicht wahr?

      TELMAH: Alle? Sie meinen dieses geschrumpfte Ensemble? Keine Bühnentechniker, keine Schneider, keine Bühnenbildner, keine Musiker!

      SHYLOCK: Keine Putzfrau.

      TELMAH: Nun... außer Rael sind wir alle gefahren, ja.

      SHYLOCK: Frau Nager auch?

      TELMAH: Ja, die auch. Wieso?

      SHYLOCK: Ich meine, sie hat doch mit Rael ein Verhältnis gehabt, oder?

      TELMAH: Sie lesen die Klatschseiten?

      SHYLOCK: Nein. Für sowas hab ich meine Leute. Also?

      TELMAH: Ja, sie hatten ein Verhältnis.

      SHYLOCK: Und sie ist immer nach der Vorstellung nach Hause gefahren und Rael ist noch hier geblieben?

      TELMAH: Meistens sind sie zusammen gegangen, aber Rael wollte gestern noch ein paar organisatorische Fragen klären.

      SHYLOCK: Die Frage, wer gehen und wer bleiben würde?

      TELMAH: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich würde es nicht ausschließen!

      SHYLOCK: Okay, vielen Dank. Hmmm, könnte Frau Nager zurückgekommen sein, um ihren Geliebten umzubringen?

      TELMAH: Warum sollte sie das tun?

      SHYLOCK: Es gibt vielfältige Gründe, warum Menschen töten.

      TELMAH: Ich habe mir noch nicht die Frage gestellt, warum jemand Rael umbringen wollte... oder wer es gewesen sein könnte.

      SHYLOCK: Das ist wohl auch meine Aufgabe. Wo kann ich Frau Nager finden?

      TELMAH: Sie haben Glück, da kommt sie gerade. Wenn Sie mich entschuldigen würden. (ab)

      NAGER: (tritt auf) „Da ist Vergißmeinicht, das ist zum Andenken; ich bitte Euch, liebes Herz, gedenkt meiner! und da ist Rosmarin, das ist für die Treue.“

      SHYLOCK: Hmmm.

      NAGER: Wer sind Sie?

      SHYLOCK: Hamlet.

      NAGER: Bitte?

      SHYLOCK: Das war aus ‘Hamlet’.

      NAGER: (nickt) Vierter Akt, fünfte Szene. (blickt ins Leere) Ich habe alle meine Rollen mit ihm geprobt.

      SHYLOCK: Es tut mir leid. Shylock Holmes, von der Mor... von der Polizei.

      NAGER: Bitte? Oh, ja... Verzeihung, ich weiß nicht, ob ich Ihnen eine große Hilfe sein kann... im Moment.

      SHYLOCK: Frau Nager, es tut mir leid, aber... Haben Sie eine Idee, wer Ihren Mann umbringen wollte?

      NAGER: Er... war nicht mein Mann. Oh, nicht einmal mein Mann ist er gewesen, nicht einmal das...

      „So waschen sie die Wunden ihm mit Tränen?

      Ich spare meine für ein bängres Sehnen.

      Nimm diese Seile auf. - Ach, armer Strick:

      Getäuscht wie ich! wer bringt ihn uns zurück?

      Zum Steg der Liebe knüpft er deine Bande,

      Ich aber starb als Braut im Witwenstande.“ (ab)

      DRAWIS: (tritt auf) ‘Romeo und Julia’, dritter Akt, zweite Szene.

      SHYLOCK: Klar. Sie sind... Frau Drawis, hab ich Recht?

      DRAWIS: Ja. Die kaputte Lampe hängt über dem Spiegel!

      SHYLOCK: Bitte?

      DRAWIS: Naja, eigentlich sind fast alle Lampen über dem Spiegel kaputt. Und im Flur. Da haben Sie eine Menge zu tun.

      SHYLOCK: Das habe ich in der Tat. Aber leider bin ich nicht hier, um Licht ins Dunkel Ihrer Garderobe zu bringen.

      DRAWIS: In welches Dunkel wollen Sie dann Licht bringen?

      SHYLOCK: In das eines Verbrechens. (zeigt seinen Ausweis) Shylock Holmes, ich komme von der Mordkommission!

      DRAWIS: Ihr Name ist Shylock Holmes?

      SHYLOCK: Finden Sie nicht, dass der Name diesem Fall mehr als angemessen ist?

      DRAWIS: Absolut. Wurden Sie in der Schule viel gehänselt?

      SHYLOCK: Nein.

      DRAWIS: Warum nicht?

      SHYLOCK: Weil Kleinkinder keinen Shakespeare lesen!

      DRAWIS: Gut gekontert. Sie untersuchen den Tod von Rael?

      SHYLOCK: Den Mord an ihm!

      DRAWIS: Mord?! Ja, wenn man umgebracht wird, wird es wohl Mord sein.

      SHYLOCK: Das erscheint logisch.

      DRAWIS: Haben Sie einen Verdacht?

      SHYLOCK: Ja.

      DRAWIS: Einer von uns? Das bedeutet wohl, dass ich potentiell verdächtig bin?!

      SHYLOCK: Das sind Sie alle. Erstmal.

      DRAWIS: Welchen Grund sollte ich haben, Rael zu ermorden?

      SHYLOCK: Eben das möchte ich von Ihnen hören!

      DRAWIS: „Es ist in mein Gedächtnis fest verschlossen,

      Und Ihr sollt selbst dazu den Schlüssel führen.“

      Schwebt Ihnen sowas vor?

      SHYLOCK: Hmmm...

      DRAWIS: Strengen Sie Ihr Gedächtnis nicht übermäßig an, es war ‘Hamlet’, erster Akt, dritte Szene!

      SHYLOCK: Fangen wir also mit dem Theater an.

      DRAWIS: Sehen Sie sich doch hier um. Es war mal ein großes, berühmtes, tolles Theater... Was ist daraus geworden? Eine Bruchbude, und ich bin nicht einmal mehr die Diva, die ich vor ein paar Jahren noch war. Aber es ist ja auch das Vorrecht des Intendanten, mit den jüngeren Kolleginnen zu schlafen.

      SHYLOCK: Er hatte also ein Verhältnis mit Frau Nager!

      DRAWIS: Lesen Sie nie die Klatschspalte? Ja, das große Liebespaar der Saison. Als sie hier anfing hatte ich noch ihre Garderobe, aber die Zeiten ändern sich. Ja, ich hätte wohl allen Grund gehabt, Rael umzubringen – vor ein paar Jahren!

      SHYLOCK: Es gibt Gerüchte, dass man das Ensemble verkleinern wollte.

      DRAWIS: Selbst einem Mann wie Rael muss klar gewesen sein, dass er mit vier Schauspielern nicht mehr viele große Produktionen auf die Bühne bringen kann. Früher, vor seiner Zeit, haben wir hier viele Boulevardkomödien gespielt. Als sich die Leute noch für Theater interessiert haben. Als es noch nicht tausend Programme gab.

      SHYLOCK: Und doch hing das Schwert des Entlassenwerdens drohend über Ihnen allen.

      DRAWIS: Sie meinen, er wollte die alte Diva streichen, die er schon in den untersten Keller verbannt hatte? Wahrscheinlich haben Sie sogar Recht. Junger Mann,