Gabriele Plate

Im Galopp durchs Nadelöhr


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gestoßen, eigentlich war sie dankbar für diese Zuneigung, aber darüber konnte sie nicht den Verstand verlieren. Der Ingeniero begegnete ihr immer noch mit zurückhaltender Begierde. Dieses Anliegen war durchschaubar, es hatte nichts Verlogenes an sich, es störte Luz nicht, denn er blieb entgegenkommend und freundlich, niemals war er aufdringlich. Sie fand ihn nett, er gefiel ihr, kein Vergleich mit den staubigen Männern jeglichen Alters ihres Dorfes, die mit gieriger Dumpfheit nach ihrem Hintern schielten, und wenn sie sich umdrehte, eilig die Blickrichtung änderten. Señor Karl änderte nie die Blickrichtung.

      Da Luz oft von Karl berichtete, hatte Nestor sich interessiert bei ihr erkundigt, ob sie ein Liebesverhältnis mit diesem Gringo aus dem Camp wünsche. Das hatte sie energisch abgelehnt. Sie könne sich mit niemanden ein Liebesverhältnis vorstellen, das verlange eine enge Körperlichkeit und ein Öffnen des Herzens zu einem vorerst fremden Menschen. Für sie, undenkbar! Sie glaube auch, dass ein körperliches Hingeben und das zwangsläufig damit verbundene Gebären von Kindern, nach ihrem Verlangen und Verständnis des Seins, ein großes Hindernis sei. Sich entwickeln und mit aller Umsicht diese schrittweise Entwicklung auch leben zu können, bedürfe einer großen Freiheit, die man sicher nicht habe, wenn man sich verliebe und sein Leben dem Hormonhaushalt in die Hand spiele und einem Stall voller Kinder.

      Luz del Mar zog es vor, sich an die große universelle Liebe heranzutasten anstatt an einen Mann. Wenn sie selbstvergessen in einem ausgehöhlten Baumstamm hockte, glaubte sie, der Sache nahe zu sein. Dieser Einstieg in das Glücksgefühl reichte ihr, mehr brauchte sie nicht, mehr wollte sie nicht. Sich in einen Menschen verkriechen, in seinen Gefühlen stöbern, in sein Leben eindringen, um sich in ihm zu verlieren, das fand sie abscheulich, danach sehnte sie sich kein bisschen. Alle Mädchen ihres Alters ersehnten nur das. Und den materiellen Wohlstand.

      Karl hätte mit Diamanten beladen, auf wunden Knien, täglich um sie herumrutschen können, ein Liebesgefühl für ihn, wäre damit nicht ins leben gerufen worden.

      Diese beiden weltbewegenden Sehnsüchte, Geld und Liebe, hatten Luz del Mar noch nicht berührt. Sie fühlte nach all diesen Monaten, beinahe einem Jahr, eine Art Zärtlichkeit Karl gegenüber, ähnlich einer liebgewordenen Verantwortung für ein Stallkaninchen. Sein Wohlergehen lag in ihrem Aufgabenbereich. Er wirkte verloren, überladen mit Wichtigkeit, die sie nicht wichtig fand. Zwanghaft, sein Bedürfnis nach gebügelter Kleidung, penible Ansprüche der Tischordnung, punktuelle Essenszeiten, alles in Menschenzeit gefesselt. Für sie war er ein einsamer Mann, ein netter Mann, aber er tat ihr leid. Vielleicht auch, weil er sie eine Spur zu verlangend ansah.

      So konnte man ihr Empfinden für Señor Karl beschreiben, und allein daraus erwuchs ihre freundliche Zuwendung für ihn.

      Eine abscheuliche Nacht

      Schon am zweiten Tag ihrer Abwesenheit hatte man Karl ein anderes Mädchen ins Haus geschoben, um Luz zu ersetzten. Er war empört, Luz konnte man nicht ersetzen. Eine dralle, nicht hässliche aber schmuddelig wirkende junge Frau stand am Abend verschwitzt vor seiner Tür. Er schickte sie mit ungeduldig doch freundlich gehaltenen Worten davon. Karl hatte nicht mit der Beharrlichkeit der Mädchen gerechnet. Eine von ihnen musste diesen vorerst leeren Platz in seinem Haus besetzen und ebenfalls nach eigenen Wünschen ausnutzen. Eine große Überraschung wartete auf ihn.

      Solange Luz del Mar ihren kranken Onkel pflegte, musste er täglich in der Bau-Kantine essen und seine Hemden der Camp-Wäscherei anvertrauen. Auch wenn ihn das mit der Gemeinschaftswäsche der Junggesellen noch mehr ekelte als das Essen der Kantine, hielt er es für unter seiner Würde, seine Waschmaschine in Gang zu setzen oder selbst zu kochen.

      Ihm fehlten Luz del Mars unsichtbaren Fingerabdrücke auf seinen gebügelten Hemden, ihm fehlte ihr Geruch im Haus, den er sich einbildete, denn sie roch nicht. Ihm fehlte ihr Schlurfen in den Mokassins, ihr Essen, ihre Eigenwilligkeit, ihre Anwesenheit, alles an ihr fehlte ihm so sehr, dass er sich körperliche Schmerzen wünschte, um sich von diesem unfreiwilligen Verzicht abzulenken.

      Karl hielt der Sehnsucht nicht mehr stand und hatte entschlossenen in ihr Dorf zu fahren und nach ihr zu fragen. Erst dann fiel ihm auf, dass er nicht einmal wusste, welchem Dorf sie angehörte. Am nächsten Tag machte er eine Runde durchs Camp, alle Putzfrauen verneinten, obwohl ihm jede von ihnen diesen Wohnort hätte mitteilen können. Eines der Mädchen gab ihm schließlich mit bösem Gesichtsausdruck die gewünschte Auskunft. Also machte er sich auf den Weg, das Abendessen hatte er verschmäht. Mit Hilfe einiger unfreundlicher, holperiger Auskünfte der Anwohner, stand er eine halbe Stunde später vor dem Pfarrhaus und war äußerst erstaunt, dass sie hier wohnen sollte. Sie hatte ihre Wohnverhältnisse nie erwähnt, er hatte auch nicht danach gefragt. Sicherlich hatten diese schmutzverklebten Dörfler ihn missverstanden und an die falsche Stelle geschickt!

      Er ging trotzdem durch den gepflegten, von Zypressen beschatteten Eingangsbereich und klopfte mit einem Bronzeengel, der eigens dafür angebracht war, an die hölzerne Haustür, in der festen Annahme, dass hier keine Luz del Mar wohnen würde. Aber hier könnte er möglicherweise an einen zuverlässigeren Ansatz seiner Suche gelangen. Sie öffnete ihm die Tür und bat ihn freundlich einzutreten.

      Karls Herzschlag machte einen Satz, er war vor ihm in die Zukunft der nächsten Sekunde gehüpft. Karl lief rot an vor Freude, ergriff schnell und behutsam mit beiden Händen ihren Kopf, hielt diesen fest und küsste ihr beide Wangen. Dann trat er ins Haus. Luz del Mar lachte leise und legte den Zeigefinger auf ihren Mund. Sie ließ ihn wissen, dass sie etwa noch zwei Wochen brauche, bis ihr Onkel wieder gesund sei, und dass sie ihn auf jeden Fall bis dahin pflegen wolle. Er schliefe gerade, aber später einmal, würde sie ihm diesen Onkel, den Pfarrer, gerne vorstellen. Falls Señor Karl das wünsche.

      Karl war mit Allem einverstanden, in diesem Moment hätte er eine Verzichtserklärung auf sein Leben unterschrieben, wenn sie nur zurückkäme. Ihm entschlüpfte, sie schmerzlich vermisst zu haben. Auch dazu lachte Luz und lud ihn zum Abendessen ein.

      Als er zum dritten Mal in das Pfarrhaus eingeladen wurde, hatte er sich richtig in Schale geworfen. Heute sollte er den genesenden Pfarrer kennenlernen, jene Bezugsperson, die Luz als die ihr wichtigste bezeichnete. Diese Person erschien Karl eher ein Vater, als ein Onkel zu sein. Ihre Mutter lernte er ebenfalls kennen. Eine energische Frau, etwa Anfang vierzig, die recht uninteressant auf Karl wirkte. Sie beteiligte sich kräftig und unpassend am Gespräch, lachte aber nicht ein einziges Mal, obwohl sie Spaß miteinander hatten, und sie verabschiedete sich sehr früh, um in der Küche zu verschwinden. Eigenartigerweise vermittelte ihm etwas undefinierbar Gedrungenes dieser Frau, den Eindruck, als hätte nicht sie in diesem Haus das Sagen, sondern ihre Tochter. Und als geschähe das mit ihrem Einverständnis. Karl spürte nicht den geringsten Anflug von Machtkampf zwischen den Frauen, dafür hatte er ein sicheres Gespür. Zu dem Pfarrer spann sich gleich beim ersten Treffen ein gutes Einvernehmen. Karl fühlte sich wie ein Mann an dessen Seite, nicht, wie ein um die Tochter werbender Hammel, der er eigentlich war. Er versuchte seine hungrig bewundernden Blicke auf Luz unter Kontrolle zu halten, seine Sehnsucht zu verbergen. So war es ihm gelungen sich halbwegs wie ein normaler Mensch zu benehmen.

      Am nächsten Morgen, sehr früh, Karl kam gerade in seinem geliebten Morgenmantel aus dem Bad, stand die nächste junge Frau vor der Tür. Diese war entschieden beherzter als das schmuddelige Ding einige Tage zuvor. Sie wirkte auch appetitlicher, trat sofort ins Haus und stürzte sich in die Küche. Der Señor Bauleiter hätte sie geschickt. Was natürlich gelogen war.

      Karl hatte sich schon verspätet, heute sollte ein wichtiger Abschnitt der Sprengung für den Tunnelbau begonnen werden, dabei musste er unbedingt anwesend sein und dem Sprengmeister einige Bedenken, was die Bohrung der Sprenglöcher betraf, unterbreiten. Er ließ die junge Frau im Haus zurück und stürzte in seinen Pickup. Um diese Putzwillige könnte er sich noch später in der Mittagspause kümmern. Es konnte ihm nur recht sein, dass sie vorher alles in Ordnung brachte. Doch ein Unfall auf der Baustelle ließ ihn nicht vor dem Abend zurückkommen. Als er dann am Abend müde und abgespannt zu Hause eintraf, hatte er die junge Frau total vergessen.

      Sie hatte auf ihn gewartet, das Haus blitzte, alles war bestens erledigt. Sie brachte ihm das Essen, von dem er sehr wenig zu sich nahm. Es schmeckte abscheulich. Da stand sie nun vor ihm, mit geöffnetem Blusenknopf und