Gabriele Plate

Im Galopp durchs Nadelöhr


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es geschah aus einem inneren Befehl heraus, und ich musste ihn befolgen.“

      Karl erschrak, als sie „trennen“ sagte. Mit der Beseitigung der Tasse hatte sie seine heimlich schwer erkämpfte Verbindung zu ihr abgeschnitten. So peinlich diese Geschichte auch war, diese Tasse war ihm wichtig geworden. Und noch peinlicher wäre es, wenn sie sich nur diplomatisch ausgedrückt hätte und alles wusste. Wie sonst könnte man ein Entweihen interpretieren. Dieser Gedanke, sich möglicherweise mehr als lächerlich gemacht zu haben, passte ganz und gar nicht in das Imagekonzept, das er von sich für sie auf Lager hatte. Karl erwachte ein wenig aus seinem Liebeswahn. Er fragte kleinlaut, was hat eine Tasse denn mit dem Kindersegen zu tun?

      Eine Tasse besteht aus einem Hohlraum, der existiert um gefüllt zu werden, in diesem Fall ein Symbol für den Uterus, antwortete Luz.

      Noch nie hatte sie so lange das Wort an ihn gerichtet. Seine, im holperigen Spanisch gehaltenen Bemühungen um sie, meist alberne Monologe, bestritten normalerweise die Unterhaltung. Den Einblick in ihre persönlichen Ansichten oder sogar Gefühle, den sie mit dieser kleinen Erklärung abgegeben hatte, war etwas sensationell Neues für Karl. Er war außerdem sehr erstaunt über ihre Wortwahl, das Bild des naiven, hoffentlich auch willigen Mädchens verflog wie ein Häuflein Asche im Abendwind. Das schreckte ihn nicht ab, es war sogar, gegen seine Gewohnheit, ein Grund mehr, sich für sie zu interessieren. Er begehrte also neuerdings eine Frau, die kompliziert zu sein versprach. Die ihm sogar, so wie es schien, intellektuell das Wasser reichen konnte? Na ja, vielleicht, aber natürlich nicht ganz. Würde das nicht viel zu anstrengend?

      Von nun an nannte sie ihn, Señor Karl. Nicht wie die meisten im Camp, außer seinem obersten Vorgesetzten, Carlos oder Doktor Carlos. Niemand sagte Karl. Er mochte dieses Carlos, damit transportierte man etwas Abenteuerliches in seinen Namen, assoziierte etwas vermeintlich Feurigeres als das, was nur der Name Karl versprach. Ein deutscher, sauberer, zuverlässiger Karl. Kurz und bündig und vor allem überschaubar. Wie die Buchstaben dieses Namens.

      Nun sagte sie, guten Morgen, Señor Karl, wenn sie erschien. Und, Gute Nacht, Señor Karl, bevor sie abends sein Haus verließ. Eines Tages hörte er aus der Küche, wie sie langsam, laut und deutlich, beinahe akzentfrei das Etikett einer deutschen Würstchendose las. Aufschrift, Zutaten, Fettgehalt und das Nettogewicht. Er war überwältigt, aus dieser Frau rollten ihm jeden Tag neue Rätsel entgegen. Er musste unbedingt erkunden, wer sie wirklich war, ihre Familie kennenlernen und wissen wo sie hauste. Dass sie primitiv wohnte, lag fernab jeden Zweifels. Eine Selbstverständlichkeit, auf der er thronte.

      Luz del Mars Mutter, Begoña, die damals ohne große Nachfrage die Haushälterin des Pfarrers geworden war, wurde von den Dorfbewohnern inzwischen anerkannt. Das war höchst erstaunlich, da sie von der „anderen Seite“ stammte. Allein diese Herkunft war üblicherweise unentschuldbar und verachtenswert genug, jemanden im Dorf nicht zu dulden. Von der anderen Seite zu stammen, verlangte zumindest den gesellschaftlichen Abstand. Diese Seite zeichnete sich dadurch aus, dass sie die Ostseite der Cordillere de los Andés war, deren Bewohner mit Neid, Hass und Empörung zu strafen waren, falls sie sich über die Gebirge in den Westen wagten. Vergleichbar, mit der tiefverwurzelten Haltung des Armen, dem Superreichen gegenüber. Sie hatten viel mehr Wasser dort drüben, und Wasser war Gold. Es war ärgerlich, dass der Urubamba und seine Nebenflüsse, die sich im großen Rio Ucayali trafen und gemeinsam den noch größeren Amazonas speisten, als hätte der nicht schon genug von dem begehrten Nass, sich seit dem Erwachen der Zeit, dem Lauf in die andere Seite des Landes fügten. Die Götter hatten entschieden, die enormen Wassermengen brachen nicht durch drei Gebirgszüge hindurch, um gen Westen zu fließen, hinunter in die gute Seite, zu den guten Menschen, in das gute Meer, den Pazifik, sondern in die andere Richtung, dorthin, wo die Gottlosen hausten. Das war ungerecht.

      Luz del Mar hatte keine äußerlichen Anzeichen indianischer Vorfahren, so wie ihre Mutter. Weder die Statur, noch die breite Nase. Kein blauschwarzes Haar und kein leicht geschlitztes Auge. Sie war der Anstoß des Schreckens. Darum hatte sie es schon als Kind aufgegeben, um die Gunst ihrer Mitmenschen zu buhlen. Man fügte sich schließlich in sein Schicksal?

      Nein, Luz del Mar fügte sich nicht, zur großen Sorge ihrer Mutter. Diese Mutter hatte, auf Luz´ unermüdliche Fragen hin, ebenso unermüdlich bestätigt, dass im kalten Süden Perus, hoch oben über der Welt, viele Menschen helle Augen hätten. Dass sie in ihrer Heimat Lehrerin gewesen sei, hatte sie auch dem Pfarrer mitgeteilt, bisher aber verschwiegen, warum sie nicht mehr im Schuldienst stand. Er wartete immer noch auf eine Erklärung. Wie er vermutete, war hier eine Beichte nötig, denn sie vermittelte ihm die Haltung einer Verfolgten oder sogar Schuldigen. Mit diesem Gefühl kannte er sich aus. Sie trug einen Ehering, er mutmaßte sogar, sie hätte ihren Mann umgebracht und sei aus ihrem Heimatdorf geflohen. Das wäre keine erstaunliche Ausnahme gewesen. Dadurch, dass sie in ihrer Freizeit Erwachsene unterrichtete, hatte sie die Ablehnung der einfältigen Dörfler gemildert und sich sogar ein Ansehen verschafft. Überaus geduldig half sie den Bauern, eine vermeintlich unüberwindbare Hürde zu bezwingen, das Geheimnis der Buchstaben.

      Der Bezirkspfarrer war ein weiser Mann, er drängte nie. Das war die eine Seite, die andere, erstaunlichere für einen Diener der katholischen Kirche war, dass er sich aus seinem hohen Amt hatte zurückversetzen lassen, was offiziell gar nicht möglich war. Er hatte seine Gemeinde, von etwa einem Dutzend Dörfer samt ihrer Außenbezirke, zur Hälfte aus Analphabeten bestehend, einem Bischofssitz in der Großstadt vorgezogen. Vorübergehend. Warum? Das wusste nur er allein. Er hatte, weiß Gott wie sehr, darum gekämpft es übergangsweise so einrichten zu dürfen. Seit über vierzehn Jahren hielt er nun diese Übergangsstellung zwischen diesen einfältigen und fleißigen Menschen, die alle Götter und Heiligen gleichzeitig anbetenden. Wobei der Fleiß hauptsächlich unter den Frauen verbreitet war. Er kümmerte sich direkt, als ganz normaler Seelsorger der untersten Liga der Kirchenhierarchie, um eine Bande Bauern und ihre Familien, deren Glaube auf Jahrtausende alten Regeln und Riten basierten, zu denen sich Jesus Christus eingereiht hatte. Man begegnete dem Pfarrer mit Respekt und Unterwürfigkeit, doch er war und blieb ebenfalls ein Fremder. Somit gab es schon drei Menschen in der Gemeinde, die nicht dort waren, wo sie hingehörten. Die Kirche und ihre Feste wurden vorsichtshalber streng beachtet. Die Jungfrau Maria und der arme Jesus hatten eigentlich nichts zu tun mit dem fremden Mann aus Lima, der in der Messe dazu aufrief, dieses Mädchen mit dem bösen Blick in ihrer Gemeinschaft nicht nur zu dulden, sondern herzlich aufzunehmen. Sie waren sich sicher, sie hatte den Priester in ihrem Bann. Schon als Kind hatte sie ihn angelächelt. Sie lächelte sonst niemanden an, richtete den Blick stets schuldbewusst zu Boden.

      Luz del Mar hatte vom Pfarrer und ihrer Mutter genug gelernt, um sofort zwei der vier Schulklassen zu überspringen. Das galt ebenfalls als verdächtig. Man hatte ihr leider erlauben müssen, das kleine Schulgebäude zu betreten. Die Eltern der anderen Schüler hatten aber darauf bestanden, dass Luz in der hintersten Ecke der Schulbaracke ihren Platz zugewiesen bekam. Separat, weit von einer möglichen Berührung zu den anderen Kindern. Sie lernte spielend. Luz konnte dem Pfarrer, der sie weiterhin privat unterrichtet hatte, später aus dem Wirtschaftsteil einer amerikanischen Zeitung vorlesen. Das blieb ein Geheimnis, da der Neid zusätzlich als treibender Motor gegen das junge Mädchen schwelte. Der Pfarrer hatte letztlich nur zu diesem langweiligen und erniedrigenden Schulbesuch geraten, um ihr einen offiziell gültigen Schulabschluss, als Basis zu weiterführenden Studien zu sichern. Er versicherte ihr immer wieder, dass sie etwas ganz Besonderes sei, etwas ganz besonders Positives, und dass es den Teufel nicht gäbe. Schon gar nicht in einer reinen Seele, wie der ihren.

      So war das Erstaunliche geschehen, Luz del Mar kannte keine gedanklichen Schranken, keine Angst, und sie hatte sogar ein normales Selbstbewusstsein entwickelt. Das zeugte, unter diesem negativ auf sie programmierten Umfeld, von besonderer Charakterstärke. Der Pfarrer hatte die Festigkeit, die sie aus sich selbst heraus ausstrahlte, sehr schnell erkannt, er war niemals um ihr Seelenheil besorgt gewesen. Die Mutter hätte ihre Tochter gerne ein wenig abgebremst. Es sei nicht nötig so viel zu lernen, es schickte sich nicht für eine Frau so wissbegierig zu sein. Wo sollte denn, um der Jungfrau Maria Willen, ein Mann gefunden werden, der das tolerierte?

      Pfarrer Nestor kam aus einer sehr wohlhabenden Familie. Das war hier niemandem bekannt. Sein Erbe war nicht in den hungrigen Schlund der Kirche gerutscht, denn er hatte dieses Erbe rechtzeitig