Gabriele Plate

Im Galopp durchs Nadelöhr


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tänzelnd begleitete.

      Karl hüpfte dagegen wie eine Bachstelze hinter den beiden her, seine Fußsohlen brannten, er fühlte sich klebrig und ausgetrocknet. Es sammelten sich nur wenige Tropfen Spucke unter seiner Zunge und die waren salzig. Salzig und verdorrt, wie ein Stockfisch an einem Haken auf dem Marktstand, aufgespießt. So fühlte sich Karl, während ihr bezauberndes Lachen vor ihm her gluckste. Hinter einem struppigen Buschwerk hatte dieser aufgeblasene Taucher seinen Rucksack liegen, dort hielt er endlich an. Wie kann man nur so einfältig sein, hier zu tauchen, keine Felsen, alles flach und langweilig. Karl versuchte verzweifelt diesen Mann abzuwerten.

      Neben dem Rucksack lagen einige Aluminiumstangen und eine eingerollte Plane mit Schlaufen, als Schattenspender und Windschutz zugeschnitten. Während dieser Marlon mit Luz del Mar plauderte, sah er sie beinahe ununterbrochen an. Er baute den Schattenspender sozusagen blind auf, mit links. Er rammte die Metallstangen sehr tief in den Sand, als seien es Stricknadeln und hatte in wenigen Minuten, in der dem Wind abgewandten Seite, einen schattigen Ruheplatz gebastelt.

      Luz del Mar zog ihr noch feuchtes T-Shirt aus und setzte sich zu dem wildfremden Mann in den Schatten. Sie lächelte zu Karl, der noch stand, hinauf und schlug leicht mit der flachen Hand neben sich. Karl plumpste wie ein gehorsamer Köter neben sie und schwieg. Dann rauschte aus der Ferne seine Rettung heran.

      Zuerst sah man nur eine ungeheure Staubwolke und wenige Minuten später ihren Verursacher. Ein schnell fahrendes Auto zog dieses breite Staubband hinter sich her und stoppte oberhalb des Schattenplatzes auf dem Weg. Eine junge, sehr attraktive Frau stieg aus, winkte, lachte, kam mit einem Kleinkind auf dem Arm durch den heißen Sand balanciert und schlüpfte unter das Schattendach. Der Deutsche stellte seine Familie vor, Helen seine Frau und Regina das Kind. Karl atmete auf und begann sich am Gespräch zu beteiligen. Luz del Mar hatte sich inzwischen beide Fußrücken verbrannt, was alle Anwesenden, bei einer Peruanerin, für sehr ungewöhnlich hielten.

      Deine Melanin Produktion stimmt nicht, sagte die Frau in gebrochenem Spanisch und reichte ihr eine Creme, die man bei Sonnenschäden auftragen sollte. Karl riss ihr eilig die Tube aus der Hand und salbte hingebungsvoll und vorsichtig die geröteten Fußrücken seiner Angebeteten ein. So kam er in etwa auf seine Kosten. Sie ließ ihn gewähren. Karl war ihr vertraut und sie wollte ihn, mit der Abweisung ihre Füße zu berühren, vor den Anderen nicht bloßstellen. Marlon holte einen Korb, gefüllt mit Schlemmereien, die seine Frau, nachdem sie ihn hier vor etwa zwei Stunden abgesetzt hatte, in der Stadt besorgt hatte. Er schaffte einen mit der Autobatterie betriebenen Kühlkasten heran und zauberte kalte Getränke hervor, Früchte, Snacks und eine Flasche mit kaltem Kakao gefüllt. Keine gegrillten Meeresfrüchte. Niemand sehnte sich nach einem Grillfeuer. Auch Karl nicht mehr.

      Er hatte gehofft ein Hotel zu benötigen, vielleicht mit Luz del Mar in den Sonntag hinein zu feiern, um das Wiedersehen zu zelebrieren. Ein kurzer Traumgedanke. Seine Kraft und Wünsche gingen unter, sie versanken unter dem Charme dieser beiden Menschen, mit denen Luz del Mar, seine schüchterne kleine Luz, sich so offen und unkompliziert unterhielt.

      Eine halbe Stunde nach dem Kennenlernen des Tauchers stellte sich heraus, dass er kein Filmschauspieler war, sondern Lehrer. Im Auftrag einer deutschen Firma leitete er eine Schule für Kinder in einem Bau-Camp. Ein Staudamm-Projekt, knapp zwei Stunden von hier entfernt, am Jeque de Peque, sagte der Lehrer fröhlich.

      Nach dem ersten Erstaunen wurde die Frage laut, warum man sich nicht schon früher begegnet war. Karl meinte, dass kinderlose Junggesellen die Lehrer einer örtlichen Schule meist nicht zu Gesicht bekommen. Das hatte er in Spanisch gesagt.

      Damit lade ich Sie herzlich ein, an meinem Spanisch Kurs für Erwachsene teilzunehmen, nach langem Hin und Her von der Camp-Leitung, genehmigt, meinte Marlon an Karl gewandt. Ich hoffe, Sie bringen die Zeit dafür auf.

      Warum wurde Luz del Mar von dem Kerl geduzt und ihn, Karl, sprach er mit Sie an. In Deutsch. Außerdem missfiel Karl der plumpe Hinweis auf seine mangelhafte Grammatik im Spanischen, das war unsensibel, äußerst unpassend. Karl tat sich schwer mit den verschiedenen Vergangenheiten, aber das war sein eigenes Problem und nicht das eines Wildfremden. Besonders mit dem Subjunktiv lag er im Streit.

      Marlon meldete sich zu Wort. Man hat gestern nicht, keine Kartoffeln gegessen, sondern man aß sie gestern nicht. Heute hat man keine gegessen und morgen würde man sie nicht, nicht gegessen haben, sondern, dass man sie nicht äße, sei gewiss. Was fiel dem Taucher ein, hier den Boss zu spielen.

      Karl überhörte lächelnd das Angebot der Sprachhilfe und antwortete, den Lehrer nicht eher kennengelernt zu haben, würde er verkraften, aber dass er diese bezaubernde Frau nicht früher zu Gesicht bekommen habe, das bedaure er zutiefst. Er wies schmunzelnd auf die Gattin des Lehrers.

      Seine Tochter sei erst sechzehn Monate alt, überging der Ehemann das Kompliment an seine Frau und berichtete stolz, dass sein Kind ungewöhnlich aufmerksam sei für dieses Alter.

      Und natürlich beherrschte dein Sprössling Altgriechisch und Latein in Wort und Schrift, bevor der erste Zahn durchbrach, sagte Karl mit ernster Miene. Er hatte die Kapitulation zurückgezogen. Instinktiv bediente er sich der zweiten Person Singular. Um nicht ins Abseits geschoben zu werden, um den gleichen Abstand wie Luz zu ihm zu haben?

      Alle verstummten, dann brach ein allgemeines Gelächter los. Die Platzhirsche hatten sich beruhigt. Sie fuhren am frühen Nachmittag gemeinsam zurück und Luz bereitete später in Karls Haus ein peruanisches Abendessen für alle.

      In der Nacht fuhr Karl seine Luz zum ersten Mal nach Hause, nicht ins Pfarrhaus, sondern in ihr kleines Reich, außerhalb des Dorfes.

      Es war ein wunderschöner Tag, danke, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Buenas noches, Karl.

      Von dieser ersten Begegnung an trafen sich die beiden Frauen täglich. Marlons Frau Helen und ihre neue peruanische Freundin Luz del Mar wurden eine Einheit. Luz folgte schon lange nicht mehr dem wohlgemeinten, kurzsichtigen Rat ihrer Mutter. Dem Rat, den Blick zu senken, wenn ihr jemand begegnete, gehörte der Vergangenheit an. Karl war irritiert über ihre plötzliche Aufgeschlossenheit, um die er so lange gebuhlt hatte.

      Luz del Mar ließ ein ihr bisher unbekanntes Gefühl keimen, das Gefühl der Freundschaft. Ein Liebesempfinden zu Helen gesellte sich dazu, diese Mischung ließ sie fliegen. Ein neuer Lebensabschnitt wurde eingeläutet. Das Camp hatte ihr bisher nur Positives beschert. Obwohl, eigentlich war es ja das Meer gewesen, das ihr speziell dieses Geschenk an den Strand gespült hatte. Sie dachte auch an Marlon.

      Der Pfarrer hatte sich damals der Option, sein Juwel in einem der Camp-Häuser zu wissen, ablehnend gegenüber geäußert. Wollte sie sich erniedrigen, als Putzfrau? Außerdem hatte sie es finanziell nicht nötig. Ihr Ersatzvater versorgte sie mit einem großzügigen Taschengeld.

      Nun war das Camp zum wichtigsten Teil ihres Lebens avanciert, und seit sie dem Lehrerehepaar nahestand und von Marlon jeden Nachmittag Deutschunterricht erhielt, war Karl erheblich ins Abseits geraten. So fühlte er sich zumindest. Luz war total besetzt, und wie er nun auch zu erkennen glaubte, besessen von dieser neuen Freundschaft. Allerdings wog das für ihn nicht so schwer, als dass es seine Gefühle für sie hätte erschüttern können. Was Luz selbst erstaunt bemerkte, war kein Nachteil, keine Veränderung ihrer selbst, sondern die Erkenntnis, wie schnell und tief Freundschaft in ein Herz rutschen konnte. Eingenistet, einen enormen Platz beanspruchend, als hätte diese Freundschaft schon ewig bestanden. War ihr Herz denn vorher leer gewesen?

      Nein, nicht leer, sie hatte doch Bäume geliebt, Gerüche, den Regen, den Himmel. Aber es war ein anderes Glück, nicht jenes, das sie erfüllte, seit sie zusätzlich diese beiden Menschen liebte, auch so ganz anders als die Zuneigung zum Pfarrer, zu Karl oder ihrer Mutter. Karl wurde automatisch, bei diesen Überlegungen über Freundschaft, Liebe und Pflicht in die Nähe des Pfarrers platziert.

      Plötzlich wusste sie nicht mehr, was sie wirklich für dieses deutsche Ehepaar empfand. War das vielleicht die wahre, die einzige Liebe, das, worüber sie so viel gelesen hatte. Nicht nur aus Romanen wusste sie davon, auch von Philosophen, Psychologen und sogar von Denkern, die der Liebe auf spirituellem Weg zu Leibe rückten. Letztlich hatte sie nicht nur der Pfarrer in seine Liebe zu Gott eingeweiht.