Gabriele Plate

Im Galopp durchs Nadelöhr


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Er hatte sich vorgenommen, sich damit in Zukunft besser im Zaum zu halten. Zumindest bis Luz sich ihm von selbst offenbarte und den Wunsch der körperlichen Nähe zu ihm, klar und deutlich äußern würde.

      Er würde nicht mehr um sie herumschleichen und nach möglichen Andeutungen lungern oder aus einem Lächeln eine Bereitschaft zum Sex deuten. Die Vorstellung seiner geplanten Zurückhaltung verringerte um keinen Grad sein Glücksgefühl, er fuhr nicht, er schwebte über die holperige Landstraße Richtung Pazifik. Sein Glück resultierte nicht allein aus ihrer Anwesenheit, es wurde zusätzlich durch das starke Empfinden genährt, dass sie ihm endlich vertraute.

      Er wollte sie zum Singen animieren, ihren geheimnisvollen Liedern lauschen, auch wenn das Rauschen des Zugwindes störend wirken würde. Alle Fenster waren geöffnet. Karl kannte wenige Lieder, Musik war nicht sein Ding. So sang er plötzlich ein Kinderlied. Er sang nicht schön, aber wenigstens gelangen ihm die richtigen Tonlagen. Luz del Mar sah ihn mit großen Augen von der Seite an und stimmte in sein Lied ein. Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein… sangen sie gemeinsam. Sie sang das Lied fehlerfrei, nicht nur die Melodie, sondern auch den deutschen Text. Luz del Mar verstummte erstaunt nach Ende des Liedes.

      Karl war ebenfalls erstaunt. Woher kennst du den deutschen Text? Warst du schon mal in der Camp-Schule und hast dort die Kleinsten dieses Lied singen hören? Trotzdem, unglaublich, dass du den ganzen Text behalten hast.

      Sie wusste nichts von einer Camp-Schule. Es war in mir drin, sagte sie, ich habe es nie zuvor gehört.

      Sie bewältigten wie im Flug die lange Fahrt durch die Hitze, gelangten an den berühmten Highway, die Panamericana, und bogen wenige Kilometer südlich hinter Pacasmayo in einen kleinen Seitenweg und erreichten den weiten, staubigen Sandstrand. Leergefegt. Kein Touristen-Babel, keine gemütliche Bar, kein Restaurant, nicht einmal ein Baum als Schattenspender. Karl war enttäuscht, er stand zum ersten Mal am Pazifik und wollte das Strandleben genießen. Mit eisgekühlten Longdrinks, leckeren gegrillten Meeresfrüchten, mit Luz del Mar. Und wenn sie leicht betrunken wäre, würde er sie in seinen Armen halten, sie beschützen. Die Wasserperlen auf ihrer Haut, er würde sie einzeln herunterküssen, schlucken und für ewig ihren Geschmack auf der Zunge spüren. Und all das, im sanften Licht des herannahenden Sonnenuntergangs. Karl war durstig.

      Am wolkenlosen Himmel hatten sich kleine Windhosen gebildet, eine nach der anderen fegte über den menschenleeren staubigen Strand. Mit ihnen, eine ungeheure Menge an raschelndem und klapperndem Müll, der gegen das Auto polterte. Leere Cola- und Bierdosen waren die Eroberer dieses Strandes, in ihrem Flug begleitet, von unzähligen Plastiktüten. Wo kam dieser, von Menschen produzierte Unrat her, ohne eine Menschenseele zu erblicken.

      Luz del Mar zeigte sich weniger geschockt, sie holte eine große Flasche Wasser aus ihrer Tasche und reichte sie Karl, der immer noch staunend hinter seinem Steuerrad klemmte. Er trank einige Schlucke des lauwarmen Wassers und machte seine Tür auf, der Wind riss sie ihm aus der Hand. Das Berg- und Wüstenmädchen hatte sogar einen Badeanzug, den trug sie unter ihren Jeans. Hatte er geglaubt, dass sie im Baströckchen schwimmen ging? Er bemerkte nicht die kleinste Spur von Sonnenbräune auf ihrer hellen Haut. Sie zog sich ein langärmeliges, weites T-Shirt über den Badeanzug, nun war alles wieder verdeckt. Hatte er sie zu auffällig angestarrt?

      Sie erklärte ihm, dass sie schon nach wenigen Minuten dieser starken Strahlung einen Sonnenbrand bekäme. Deshalb das Shirt. Ein rotes Tuch hatte sie wie einen Turban um ihren Kopf geschlungen und das Haar verdeckt. Dann warf sie sich in die salzig trüben Fluten.

      Schade, dachte Karl, er hätte sie so gerne mit nassem Haar aus dem Meer steigen sehen. Karl entblößte seine stolze Brust, befreite sich von einigen Plastiklappen, die sich im Wasser an ihn geheftet hatten und schwamm verkrampft neben ihr her. Jetzt erst überrumpelte ihn die Idee an Haie, er fragte sie danach. Sie lachte, ja, Katzenhaie, klein und mager und weniger gefährlich, außerdem seien sie normalerweise nur weit draußen anzutreffen. Karl schwamm mit Furcht unter seinem Bauch, parallel zum Ufer, nicht weit hinaus ins Meer. Dieses Schwimmvergnügen war ihm nicht geheuer, er fürchtete die Begegnung mit unbekannten Meeresbewohnern.

      Das war ungewöhnlich für Karl, normalerweise scheute er die Herausforderungen nicht, er liebte Taten, mit denen er sich als Held vor einer Frau brüsten konnte. Und wenn sie noch so unbedeutend waren, die Taten. Nein, das war nicht Karl. Doch dann rutschte der Turban von ihrem Haar, schwappte über das unruhige niedrige Wellenspiel und entfernte sich schnell.

      Karl besiegte seine Bedenken und hechtete weiter hinaus als ihm lieb war. Mit wilden Kraulschlägen, von Gischt umwogt, stob er dem Tuch, das weit hinaus geflattert war und nun im Begriff war zu versinken, hinterher. Es war verschwunden bevor er es erreicht hatte. Er tauchte nach dem Tuch, mit offenen Augen, griff nach dem roten Lappen und sah im selben Moment ein riesiges schwarzes Etwas auf sich zuschwimmen. Karl schnellte an die Wasseroberfläche und schrie. Er ließ das Tuch los und schwamm so schnell es ihm in der Panik möglich war zurück.

      Luz del Mar stand schon, nur noch bis zum Nabel im Wasser und winkte ihm fröhlich zu. Er packte sie und rannte durch das wild aufspritzende Nass zurück, Richtung Strand.

      Ein Hai, schrie er atemlos, als er wieder festen Grund unter den Füssen hatte, ein riesiger Hai! Karl stotterte und war erblasst vor Schreck, er bemerkte, dass er mehr Angst um sie gehabt hatte als um sich selbst. Das bemerkte er nur dadurch, weil er froh war, dass ihm zuerst dieses Ungeheuer vor die Augen gekommen war und nicht ihr. Mein Gott, was hätte da passieren können, sie war bestimmt keine gute Schwimmerin. Karl hielt immer noch ihre Hand und zitterte im heißen Wind, in der gnadenlosen Hitze.

      Das schwarze Etwas war ihnen gefolgt, es hatte riesige Flossen, mit denen es an den Strand watschelte, eine Harpune in der einen Hand und in der anderen das rote Tuch. Dann zog es seine Taucherbrille ab, schüttelte sein kinnlanges Haar und entschuldigte sich, da sein plötzliches Auftauchen offensichtlich der Auslöser für die Panik des Mannes gewesen sei. Luz del Mar lachte. Ein entzückendes Lachen. Der Taucher überreichte ihr das Tuch mit einer übertriebenen Verbeugung.

      Karl war sauer. Es gab tausende Kilometer Strand an dieser Küste, wahrlich genug Platz, wo dieser Mann aus dem Wasser hätte steigen können. Musste es unbedingt vor seiner Nase sein. Dazu stand ihm das Bild eines Traummannes gegenüber. Ein Adonis, Herkules und Odysseus in einer Person. Eine fesche Strähne fiel in sein schönes, ausdrucksvolles Gesicht. Braungebrannt und voller Abenteuerlust und Stärke, furchtlos aus dem Hai verseuchten Meer entstiegen.

      Karl fühlte sich wie ein leer geschüttelter Mehlsack. Diese Muskeln von dem Kerl, das musste nicht sein und diese lange Mähne. Ein Spät-Hippie, versuchte Karl abfällig zu denken. Adonis stellte sich vor, er hieß Marlon Krüger und war Deutscher. Auch das noch, dachte Karl schlechtgelaunt und bemerkte, dass Luz del Mar und dieser Marlon eine sekundenschnelle Augenverbindung miteinander aufgenommen hatten. Das missfiel ihm gewaltig. Sie gaben sich die Hand und eine Freundschaft schien besiegelt. Karl sah seine Felle davonschwimmen.

      Natürlich sprach Marlon spanisch, natürlich sprach er besser spanisch als Karl, und natürlich ging er neben Luz vor ihm her, als seien diese beiden gemeinsam an den Strand gefahren, und Karl, der Fremde, trottete hinterher. Karl hatte sich, seit er in den Strudel des Selbstbetrachtungskultes geraten war, das Recht erteilt, zu den attraktiven Männern dieser Welt zu gehören. Schon alleine durch seine Körpergröße. Attraktiv und gutaussehend, fand er sich. Auch wenn er sich genauer besehen, nur knapp der mittleren Kerbe dieser unzuverlässigen Skala näherte. In Gegenwart dieses Tauchers schrumpfte die Selbsteinschätzung seines Äußeren in die Kategorie einer Kellerassel. Klein, grau und flüchtend.

      Dieser Mann sah umwerfend aus, er bewegte sich umwerfend, lachte umwerfend, sprach mit einer umwerfend schönen Stimme. Ekelerregend umwerfend, fand Karl, und hinter seinem mit Intelligenz gepaartem Charme, lauerte eine Einzigartigkeit, die jede Frau zu Fall bringen musste. Luz del Mars Lächeln flatterte ihm ohne Zögern entgegen. Weit hinaus aus Karls Reichweite. Er lauschte unwillig dem Gespräch der Beiden. Dieser Mann schwappte wie eine gewaltige, sanft und gewinnend auftretende Übermacht in Karls Träume. Karl kapitulierte, bevor er auch nur einen einzigen Satz mit Marlon gewechselt hatte. Der hatte die Führung übergangslos übernommen. Luz schien ohne Zweifel gewillt zu sein, ihm zu folgen, egal wie lange