Reinhard Warnke

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte


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Endspiel war in weite Ferne gerückt. Eine Verlängerung war damals bei Punkt- und Torgleichheit nicht vorgesehen, sondern es musste ein Entscheidungsspiel auf neutralem Boden ausgetragen werden. Aber das Tor zum 1:2 in Hamburg hatte an den Nerven genagt – nicht nur bei den HSV-Spielern, sondern sogar beim Zeug-Wart. Der vergaß vor lauter Aufregung den Koffer mit den Schienbeinschonern im Hotel. So mussten die Spieler ihre Beine mit Zeitungspapier gegen die Tritte der harten Profis aus Spanien schützen. Der HSV verlor dieses Entscheidungsspiel in Brüssel mit 0:1, allerdings konnte der FC Barcelona nicht dafür sorgen, dass der Landesmeister-Pokal in Spanien blieb, denn sie verloren das Endspiel in Bern mit 2:3 gegen Benfica Lissabon. Doch wenn immer die Spieler des HSV, die 1960 die deutsche Meisterschaft errungen hatten, später zusammen saßen, wurde über das denkwürdige Halbfinale gegen Barcelona gesprochen und getuschelt: „War es nicht gar der Uwe, der damals an der Außenlinie den Ball vertändelte und so den entscheidenden Anschlusstreffer ermöglichte?“ Fußball – die schönste Nebensache der Welt.

      10 Skandale, Enttäuschungen, Affären und Katastrophen

      Die spannende Europapokal-Saison mit dem Hamburger SV gehörte der Vergangenheit an und auch das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft in Hannover, das der 1. FC Nürnberg 3:0 gegen Borussia Dortmund gewonnen hatte, lag schon einige Monate zurück, als ein Ereignis für reichlich Aufregung und Erschrecken sorgte, das die Öffentlichkeit in West und Ost in dieser Form nicht erwartet hatte und deren Tragweite von Vielen zunächst wohl auch unterschätzt wurde. Im Laufe des 13. August 1961 begannen Arbeiter und Soldaten der „Nationalen Volksarmee“ damit, mitten in Berlin eine Mauer zu errichten, um West- und Ostberlin definitiv voneinander zu trennen. Fassungslos schauten die Bürger Berlins auf das Treiben und bei den Westberlinern wuchs die Angst, dass bald sowjetische Panzer vor ihrer Haustür stehen würden. Wenn ich über den Beginn des Mauerbaus nachdenke, habe ich ein Bild vor Augen, das um die Welt ging, als ein junger NVA-Soldat mit übergeschultertem Gewehr über eine Sperre aus Stacheldraht sprang und in die Freiheit rannte. Was aber war überhaupt die Ursache für diese Aktion der „Ostzone“, wie dieser Staat von den meisten Bundesbürgern nach wie vor respektlos genannt wurde? Millionen Menschen hatten die DDR seit 1949 in Richtung Westen verlassen und der Staat drohte, auszubluten. Das größte Problem war dabei, dass es insbesondere Leistungsträger wie Fachärzte, Ingenieure, Wissenschaftler und Facharbeiter in den Westen zog, da sie für sich in dem „Arbeiter- und Bauernstaat“ keine Perspektive mehr sahen. Hilflos sprach die Staatsführung der DDR von „verbrecherischen Abwerbeaktionen durch die BRD“. Der DDR-Ministerratsbeschluss zum Mauerbau hatte dann auch den Charakter einer Alibierklärung: „Zur Unterbindung der feindlichen Tätigkeit der revanchistischen und militaristischen Kräfte der BRD und Westberlins wird eine solche Kontrolle an den Grenzen der DDR eingeführt, wie sie an den Grenzen jedes souveränen Staates üblich ist“. Joseph Goebbels hätte es nicht besser formulieren können. Letztlich zeigte dieser Beschluss die Verlogenheit eines hilflosen und wenig souveränen Staates, der keine Kritik tolerierte und auf seine Bürger schießen ließ, wenn sie das Land, aus welchen Gründen auch immer, verlassen wollten. Über den Begriff „Antifaschistischer Schutzwall“ könnte man eigentlich nur schmunzeln, wenn er nicht ernst gemeint gewesen wäre.

      Außerhalb Berlins hielt sich das Interesse an dem Mauerbau in Berlin zunächst in Grenzen. Der junge US-Präsident John F. Kennedy sah keine Veranlassung, seine Segeltour zu unterbrechen, der britische Premierminister Herold Macmillan hatte seine Freude bei der Jagd und Bundeskanzler Konrad Adenauer war der Bundestagswahlkampf zu wichtig, um ihn zu unterbrechen, nur weil irgendwo eine Mauer gebaut wird. Angesichts dieses Desinteresses tobte unterdessen der Regierende Bürgermeister Berlins, Willy Brandt, vor Wut und konnte wenigstens erreichen, dass ein paar Jeeps der Alliierten an der Sektorengrenze vorfuhren, um die Westberliner Bevölkerung zu beruhigen. Schon einige Zeit vor dem 13. August hatte es Anzeichen dafür gegeben, dass die DDR vorhatte, die Grenze zwischen Ost und West zu verstärken. Am 15. Juni 1961 irritierte der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht westliche Journalisten in einer Pressekonferenz in Ostberlin mit dem berühmt gewordenen Satz: “Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. Was meinte er mit einer Mauer? Kein Journalist hatte auch nur andeutungsweise eine entsprechende Frage gestellt. Peinlich für die westlichen Geheimdienste war es zudem, dass niemand die umfangreichen Vorbereitungen bemerkt hatte, die für eine Realisierung des geplanten Mauerbaus zwangsläufig erforderlich gewesen sind. Zur Abriegelung Berlins waren Zehntausende Soldaten der NVA, Grenztruppen und Volkspolizisten in den Grenzbereich verlegt worden. Unbemerkt und ungestört liefen so die Vorbereitungen auf den Mauerbau unter Leitung eines jungen Parteimitglieds namens Erich Honecker. Für die Westalliierten stellte sich letztendlich nur eine Frage: Gibt sich die Sowjetunion mit der „Sicherung“ ihres Teils von Berlin zufrieden oder würden sie versuchen, den Westteil unberechtigter Weise ebenfalls einzunehmen? Als deutlich wurde, dass die sowjetischen Truppen an der Sektorengrenze Halt machten, sah der Westen sich – abgesehen von ein paar halbherzigen Protesten – nicht veranlasst, etwas zu unternehmen. Lapidar erklärte John F. Kennedy einen Tag nach Beginn des Mauerbaus: „Eine Mauer ist verdammt noch mal besser als ein Krieg“. Außer bei Willy Brandt dauerte es offensichtlich eine gewisse Zeit, bis die westlichen Politiker begriffen hatten, was sich in diesen Tagen in Berlin wirklich ereignet hatte. Fakt ist, dass die Berliner Mauer 28 Jahre lang das Symbol schlechthin für die deutsche Teilung und des Kalten Krieges sein sollte.

      Am Rande des Kalten Krieges war zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten ein neuer Wettstreit entbrannt. Es ging um die Erforschung des Weltraums mit dem ehrgeizigen Ziel, irgendwann auf dem Mond zu landen. Lange Zeit hatte die sowjetische Weltraumforschung mit ihren Projekten die Nase vorn. Bereits im Oktober 1957 schickten die Russen einen Satelliten ins All, die Sputnik 1. Nur einen Monat später folgte die Sputnik 2 mit dem ersten Lebewesen ins All. Es handelte sich um die Hündin „Laika“, die sechs Tage überlebte, bis der Sauerstoff an Bord verbraucht war. Ich habe mich häufig gefragt, was „Laika“ wohl gedacht und empfunden hat, als sie alleine in der Raumkapsel auf dem Weg ins Universum war…? Aber auch der erste Mensch im Weltall war ein Russe. Es war im April 1961 Juri Gagarin. Einen Monat später folgte der erste bemannte Weltraumflug der Amerikaner mit Alan Shepard. Angesichts dieser Entwicklung am Himmel war es nicht verwunderlich, dass sich auch die Schlagersänger mit diesem Thema auseinandersetzten. Ein Lied von Gus Backus, der als Soldat bei der US-Armee in Wiesbaden stationiert gewesen ist, bevor er in der Bundesrepublik Schlagersänger wurde, liegt mir in Erinnerung und ich bekomme noch den Refrain zusammen, der sich so oder so ähnlich angehört hat:

      „Der Mann im Mond, der hat es schwer,

      denn man verschont ihn heut nicht mehr.

      Er schaut uns zwei, von oben zu,

      und denkt wie lang, hab´ ich noch Ruh´?“

      Einen Riesenerfolg im Schlagergeschäft hatte in diesem Jahr auch die Griechin Nana Mouskouri mit ihrem Hit „Weiße Rosen aus Athen.“

      Ein Skandal wurde 1961 aufgedeckt, der sich diesmal aber nicht auf politischer Ebene abspielte, sondern im medizinischen Bereich. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre wurden in Deutschland immer wieder Babys ohne Arme oder Beine geboren. Häufig hatten diese als „Krüppel“ auf die Welt gekommenen Kinder wenige Finger an den verkürzten Armen. Die Experten standen vor einem Rätsel und niemand konnte sich so recht erklären, worin dieses plötzlich aufgetretene Phänomen seine Ursache hatte. Die einzig scheinbar schlüssige Erklärung war, dass die Mütter der betroffenen Babys während der Schwangerschaft stark geraucht oder Alkohol getrunken hatten. Doch es war ganz anders. Die Kinder waren Opfer des größten Medizin-Skandals der Bundesrepublik. Im Jahr 1961 wurde der „Fall Contergan“ aufgedeckt. Der Pharma-Hersteller Grünenthal hatte eine Pille gegen Schlaflosigkeit mit der Bezeichnung „Contergan“ auf den Markt gebracht und vier Jahre lang damit geworben, sie sei harmlos wie Zuckerplätzchen. Erst nach langen Recherchen stellte sich heraus, dass diese Pille für die Verstümmelung der neugeborenen Babys verantwortlich gewesen war. Erst auf Druck der Öffentlichkeit nahm der Hersteller die Pille vom Markt. Zu spät für die weltweit 10.000 „Contergan-Kinder“, 2.700 davon in Deutschland. Ich persönlich kenne zwei Contergan-Geschädigte und bewundere sie. Im Gegensatz zu vielen anderen Opfern sind sie nicht auf Hartz IV angewiesen,