Reinhard Warnke

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte


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und Judikative in diesem Fall das Ansehen der Demokratie erheblich geschädigt wurde.

      Ich kann mich noch gut erinnern, dass sich auch mein Vater angesichts dieser Affäre sehr ereiferte, insbesondere nachdem sich heraus gestellt hatte, dass Franz-Josef Strauß, der zunächst behauptet hatte, von dem Vorgehen nichts gewusst zu haben, maßgeblich an der Aktion beteiligt gewesen war. Als dann auch noch bekannt wurde, dass Strauß es persönlich zu verantworten hatte, dass Justizminister Stammberger von der FDP im Vorfeld nicht über die anstehende Aktion informiert worden war, weitete sich die „Spiegel-Affäre“ zu einer Regierungskrise des aus CDU/CSU und FDP zusammengesetzten Kabinetts aus, denn aus Protest gegen Strauß erklärten alle fünf Minister der FDP ihren Rücktritt aus der Regierung. Am 30. November schließlich trat Franz-Josef Strauß vom Amt des Verteidigungsministers zurück und Mitte Dezember kam es zur Bildung des fünften und letzten Bundeskabinetts unter Kanzler Adenauer. Weil der Vorwurf des Landesverrats nicht aufrecht erhalten werden konnte, wurden die Spiegel-Redakteure nach und nach aus der Untersuchungshaft entlassen, als Letzter Rudolf Augstein, 103 Tage nach seiner Verhaftung. Zurückblickend aber kann festgestellt werden, dass die „Spiegel-Affäre“ wesentlich zur Stärkung der Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen hat.

      Im Jahr 1961 begann einer der spektakulärsten Indizienprozesse den es in der deutschen Justizgeschichte jemals gegeben hat, der „Fall Vera Brühne“. Die Anklage beschuldigte Vera Brühne, gemeinsam mit ihrem Bekannten Johann Ferbach im April 1960 den Arzt Otto Praun und dessen Haushälterin in seiner Villa am Starnberger See ermordet zu haben. Selten hat die Boulevardpresse so intensiv über ein laufendes Gerichtsverfahren berichtet, wie in diesem Fall und von Prozessbeginn an wurde die attraktive Vera Brühne als Schuldige hingestellt. Sie wurde als „geldgieriges Luder“ dargestellt und es wurde über skandalöse erotische Ausschweifungen, zumindest aus Sicht der damaligen Zeit, spekuliert, so dass für die Öffentlichkeit bereits vor der Urteilsverkündung die Schuldfrage geklärt war und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich auch die Richter ein wenig von dieser öffentlichen Meinung beeinflussen ließen. Zwar hatte sich Vera Brühne im Laufe des Prozesses in massive Widersprüche verwickelt, aber insgesamt war die Indizienlage äußerst schwach. Dennoch wurden die beiden Angeklagten am 04. Juni 1962 wegen gemeinschaftlichen Doppelmordes zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt.

      Der anschließende Revisionsantrag wurde vom Bundesgerichtshof im Dezember abgelehnt, aber trotzdem sorgte der „Fall Vera Brühne“ noch über Jahrzehnte für reichlich Gesprächsstoff, denn im Laufe der Jahre gab es immer größere Zweifel an der Richtigkeit des Urteilsspruches. Im Jahr 2000 wurde von Experten mitgeteilt, dass nach den neuesten Erkenntnissen der Gerichtsmedizin feststehe, dass der Tod der Opfer nicht zu dem Zeitpunkt eingetreten sein konnte, der vom Gericht seinerzeit unterstellt worden war. Der Zeitpunkt der Tat aber war ein wichtiger Bestandteil der Urteilsbegründung. Heute besteht Konsens darüber, dass Vera Brühne, ob sie die Tat begangen hat oder nicht, auf der Basis solch einseitiger und unsauberer Ermittlungen niemals hätte verurteilt werden dürfen. Umso dubioser ist es, dass trotz mehrfacher Anträge niemals ein Wiederaufnahmeverfahren zugelassen wurde. Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass hierbei politische Einflussnahme im Spiel war. Aus heutiger Sicht sind einige Ungereimtheiten im Rahmen der Urteilsfindung festzustellen, denn es ist mittlerweile erwiesen, dass es einige Todesfälle, darunter nachgewiesene oder mögliche Morde, im Kreis der Zeugen und Mitwisser gab, die eventuell für einen anderen Ausgang des Verfahrens hätten sorgen können. Auch die überraschende Begnadigung Vera Brühnes nach achtzehnjähriger Haft durch Franz-Josef Strauß, der mittlerweile Ministerpräsident Bayerns geworden war, kann dahingehend gedeutet werden, dass ein Wiederaufnahmeverfahren verhindert werden sollte. Inzwischen hatten sich nämlich Hinweise verdichtet, wonach Praun vor seiner Ermordung Verbindungen zum illegalen Waffenhandel hatte. Dabei wurde er insbesondere mit einer großen Korruptionsaffäre in Verbindung gebracht, bei der es um die Beschaffung des Schützenpanzers HS-30 ging. Eine Hauptperson dieser Affäre war Werner Repenning, der persönliche Referent des damaligen Bundesverteidigungsministers Franz-Josef Strauß. Es gibt nicht Wenige, die einen Zusammenhang zwischen Prauns Ermordung mit diesen Verbindungen vermuten und dass deshalb unter allen Umständen die Wiederaufnahme des Verfahrens verhindert werden musste. Vera Brühne selbst beteuerte bis zu ihrem Tode am 17. April 2001 ihre Unschuld. 50 Jahre nach dem Urteilsspruch gibt es im „Fall Vera Brühne“ mehr objektive Indizien, die für einen Zusammenhang der Korruptionsaffäre mit der Ermordung Prauns sprechen, als solche, die damals für die Verurteilung der Angeklagten gesorgt hatten.

      Seit 1960 machten vier junge Musiker mit gewöhnungsbedürftigen „Pilzkopffrisuren“ im Hamburger „Star-Club“ in St. Pauli auf sich aufmerksam. Doch im Jahr 1962 waren die Lehrjahre für John, Paul, George und Ringo vorbei und sie gingen zurück in ihre englische Heimat Liverpool. Dort nahmen die „Beatles“ im Oktober ihre erste offizielle Single „Love Me Do“ auf, die es auf Platz 17 der UK Top 40 schaffte. Schon im Januar des nächsten Jahres folgte die zweite Single „Please Please Me“ mit der die Beatles bereits Platz zwei der Hitliste erreichten. Die Weltkarriere dieser außergewöhnlichen Band begann im gleichen Jahr. Die „Beatles“ waren in kürzester Zeit für die Jugendlichen auf der ganzen Welt Nonplusultra in der Musik-Szene geworden. Aber eine andere Band sollte ihnen bald Konkurrenz machen, die „Rolling Stones“ um Mick Jagger. Nicht nur die Art der Musik unterschied die beiden Gruppen, sondern auch das äußere Erscheinungsbild. Während die „Beatles“ als angepasst galten und in einheitlichen Anzügen oder Uniformen auftraten, ging es bei den Konzerten der „Stones“ eher unkonventionell zu und nicht immer blieb das Mobiliar heil. Mitte der 60er Jahre gab es für die Jugendlichen nur ein Prinzip: Entweder „Beatles“ oder „Rolling Stones“, beides ging nicht. Ich gehörte damals zu der „Fraktion der Beatles-Fans“. Heute mag ich die Musik beider Bands und es ist müßig, darüber nachzudenken, welche Musik besser ist. Beide Beat-Gruppen haben Musikgeschichte geschrieben und waren Vorreiter einer Musik-Epoche. Insbesondere ab Mitte des Jahrzehnts aber gab es immer mehr Bands, die für die wunderbare Pop-Musik der 60er Jahre sorgten, wie unter anderem „The Who“, „The Hollies“, „The Tremeloes“, „Manfred Mann“, „The Kinks“, „Procol Harum“, „Dave Dee, Dozy, Beaky. Mick & Tich“, „The Moody Blues“, „The Small Faces“, „The Monkees“ und „The Bee Gees“. Auch zwei deutsche Bands hatten einen hohen Stellenwert bei den jugendlichen Fans: „The Rattles“ aus Hamburg und „The Lords“ aus Berlin. Ich höre noch heute liebend gerne die „Oldies“ aus dieser Zeit.

      11 Eine neue Zeitrechnung beginnt und eine Hoffnung stirbt

      Am 29. Juni 1963 fand im Stuttgarter Neckarstadion vor 75.700 Zuschauern das letzte Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft zwischen Borussia Dortmund und dem 1.FC Köln statt. Die Borussen holten mit einem 3:1-Sieg ihre dritte Deutsche Meisterschaft und den letzten Titel, der auf der herkömmlichen Art ausgespielt worden war. Die Dortmunder Tore erzielten Dieter Kurrat, Reinhold Wosab und Alfred „Aki“ Schmidt, bevor Karl-Heinz Schnellinger das Ehrentor für die Kölner schoss und damit der letzte aller Torschützen in den Endspielen um die deutsche Meisterschaft seit 1903 war. Für Schnellinger, der 1962 zum Fußballer des Jahres gewählt wurde, war es das letzte Spiel im Dress des 1.FC Köln bevor er Profi in der 1. Italienischen Liga wurde. Die Zeiten der Oberligen als höchste deutsche Spielklasse, der packenden Endrundenspiele und der mitreißenden Endspiele gehörten damit der Vergangenheit an.

      Ein Wettbewerb des Fußballs kam in meinen Erinnerungen bisher nicht vor, der DFB-Pokal. Es liegt daran, dass der Pokalwettbewerb in Deutschland, anders als insbesondere in England, zur damaligen Zeit eindeutig im Schatten der Meisterschaftsspiele stand. Den heutigen Stellenwert sollte der DFB-Pokal erst im Jahr 1985 erhalten, als sich der DFB dazu entschieden hatte, das Pokalendspiel ständig im Berliner Olympiastadion austragen zu lassen. Fortan war es Ziel eines jeden Vereins und insbesondere seiner Fans, nach Berlin zum Endspiel um den DFB-Pokal zu fahren. Jetzt wurde über das „Deutsche Wembley“ gesprochen, in Anlehnung an das Wembley-Stadion in London, wo traditionell in jedem Jahr das englische Cup-Finale ausgetragen wird. Aber dies war, wie erwähnt, nicht immer so. So habe ich zum ersten Mal bewusst Notiz von diesem Wettbewerb genommen, als mein Vater am 14. August 1963 mit der Bahn nach Hannover gefahren war, um im Niedersachsen-Stadion das Pokal-Endspiel