Reinhard Warnke

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte


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nur deshalb, weil sie knapp zwei Monate zuvor Deutscher Meister geworden war, sondern als absoluter Angstgegner des HSV galt, der nicht nur im Meisterschaftsfinale 1957, sondern mehrfach auch in den Endrundenbegegnungen das Nachsehen gegen die Dortmunder hatte. Doch es sollte ganz anders kommen als erwartet vor 70.000 Zuschauern, die hellauf begeistert waren, sofern sie keine Fans des BVB waren. Durch drei Tore von Uwe Seeler besiegte der HSV den Deutschen Meister klar mit 3:0 und wurde damit erstmals DFB-Pokalsieger. Spiel entscheidend war das großartige Zusammenspiel zwischen Charly Dörfel und Uwe Seeler, der zwei glänzende Flanken des überragenden Linksaußen unnachahmlich mit dem Kopf ins Tor wuchtete. Später witzelte Charly Dörfel: „Na Uwe, da hab´ ich Dich ja wieder gut angeschossen, oder?“

      Es ist nicht selten, dass man noch heute in den Medien hört oder liest, dass dies oder das zum ersten oder zum x-ten Mal seit Einführung der Fußball-Bundesliga eingetreten sei. Dabei ist es jetzt schon fünfzig Jahre her, als diese neue Zeitrechnung begann. Das, was Bundestrainer Sepp Herberger schon lange gefordert hatte, wurde 1963 Wirklichkeit. Als oberste Spielklasse wurde in Deutschland eine eingleisige Liga eingeführt, die Fußball-Bundesliga. Sechzehn Vereine wurden für die erste Saison der neu geschaffenen Liga nominiert, jeweils fünf aus dem Westen und Süden der Republik, drei aus dem Norden zwei aus dem Südwesten sowie einem Verein aus Berlin. Die Mannschaft, die am Ende der Saison 1963/ 1964 an der Tabellenspitze stehen würde, wäre der erste Deutsche Meister im Rahmen der Bundesliga und die beiden Tabellenletzten müssten absteigen und würden für die nächste Saison durch die Sieger der beiden Gruppen in der Aufstiegsrunde ersetzt, in der die Sieger und Zweitplatzierten der Regionalligen - sie entsprachen den Bereichen der bisherigen Oberligen - gegeneinander anzutreten hatten. Heftige Proteste in Bezug auf die Nominierung der Vereine gab es insbesondere beim Westdeutschen Fußballverband, vor allen durch die etablierten Vereine wie Rot Weiß Essen und Fortuna Düsseldorf, die bei der Besetzung der Bundesliga nicht berücksichtigt wurden, während die weniger bekannten Mannschaften Meidericher SV (heute MSV Duisburg) sowie Preußen Münster für die 1. Bundesliga-Saison nominiert worden waren. Und auch beim FC Bayern München wird man nicht sonderlich begeistert gewesen sein, dass man nicht berücksichtigt wurde, sondern stattdessen der Lokalrivale TSV 1860 München. Letztendlich zählte bei der Nominierung das Abschneiden der Vereine in den letzten Jahren vor Einführung der Bundesliga und nicht die Erfolge früherer Zeiten. Folgende 16 Vereine waren in der ersten Bundesliga-Saison 1963/ 1964 vertreten:

      Hertha BSC Berlin 1. FC Köln

      Eintracht Braunschweig Meidericher SV

      SV Werder Bremen TSV 1860 München

       Borussia Dortmund Preußen Münster

       Eintracht Frankfurt 1. FC Nürnberg

       Hamburger Sportverein 1. FC Saarbrücken

      FC Kaiserslautern Schalke 04

      Karlsruher SC VfB Stuttgart

      Der Hamburger SV ist der einzige dieser sechzehn Vereine, der seit 1963 ununterbrochen der Fußball-Bundesliga angehörte – zumindest bis zu meinem 60. Lebensjahr.

      Als mein Vater überglücklich aus Hannover vom Pokalendspiel zurück gekehrt war, nachdem er den überraschenden Sieg des HSV miterlebt hatte, war ich ein wenig neidisch, obwohl mich der DFB-Pokal bis dahin überhaupt nicht interessiert hatte. Aber er hatte eine Riesenüberraschung für mich, als er mir eröffnete, dass er mich zum Bundesliga-Start am 24. August mit ins Stadion nehmen wolle. Dass es dabei nicht zum HSV ging, der sein erstes Bundesligaspiel nicht in Hamburg, sondern bei Preußen Münster auszutragen hatte, tat meiner Freude keinen Abbruch. Meine Schulfreunde sind vor Neid erblasst als sie erfuhren, dass ich am aller ersten Bundesliga-Spieltag nach Bremen fahren werde, um dort im Weserstadion das Spiel des SV Werder gegen den Deutschen Meister und Pokalfinalisten Borussia Dortmund sehen zu können. Ich konnte nicht ahnen, dass ich dabei Augenzeuge eines Fußballhistorischen Ereignisses werden würde. Mein Vater und ich hatten gerade Platz genommen, als das erste Bundesligaspiel in Bremen angepfiffen wurde und ich war aus dem Staunen noch gar nicht ganz heraus gekommen, denn ich war an diesem Tag zum ersten Mal in einem Fußballstadion. Es war noch keine Minute gespielt, genau genommen 58 Sekunden, als die Menschen vor, hinter und neben mir aufsprangen. Soeben hatte „Timo“ Konietzka das 1:0 für Borussia Dortmund erzielt, als er einen Pass von der linken Seite durch Lothar Emmerich in das Werder-Tor verlängert hatte. Erst später wurde mir bewusst, dass ich Augenzeuge des aller ersten Tores der Bundesliga-Geschichte geworden war und das nicht nur live, sondern exklusiv. Die Aufnahmetechnik des Fernsehens steckte noch in den Kinderschuhen. Es gab noch keine MAZ und Aufzeichnungen konnten nur mit Hilfe von Filmkameras angefertigt werden. Die aber standen zunächst, genauso wie die meisten Fotoreporter, hinter dem Tor des Deutschen Meisters. Deshalb gibt es keine Filmaufnahme, nicht einmal ein Foto von diesem ersten Tor in der Bundesliga-Geschichte. Selbst für die „Sportschau“ fiel der Treffer zu schnell, denn die Fernsehkamera war noch gar nicht eingeschaltet. So hatten nur die etwa 30.000 Menschen dieses historische Tor sehen können, die an diesem Tag im Bremer Weserstadion anwesend waren, so wie mein Vater und ich. Fußball – die schönste Nebensache der Welt. Trotz des Rückstands in der ersten Spielminute hat der SV Werder dieses erste Bundesligaspiel in Bremen übrigens noch mit 3:2 gewonnen.

      Seit dem Bundesligaauftakt, mit dem schnellen Tor in Bremen, waren drei Wochen vergangen, als es endlich zum ersten Mal zu einem Spiel des HSV ging. Und es war gleich ein absolutes Spitzenspiel, denn beim Gegner handelte es sich um die Eintracht aus Frankfurt, die genau wie der Hamburger SV zu den Favoriten für den Gewinn der ersten Meisterschaft in der Bundesligageschichte gehörte. Beide Mannschaften waren schließlich erst wenige Jahre zuvor Deutscher Meister geworden und hatten sich äußerst erfolgreich im Europapokal behauptet. Während der Bahnfahrt zusammen mit meinem Vater und einem Arbeitskollegen von ihm war ich voller Vorfreude und konnte es gar nicht abwarten, erstmals im Volksparkstadion sein zu können, um „meinen“ HSV zu sehen. Es war damals eine umständliche und langwierige Angelegenheit, mit der Bahn von der Hamburger Innenstadt in den Stadtteil Bahrenfeld zu gelangen, um das Stadion zu erreichen, denn die S-Bahn-Anbindung nach Hamburg- Stellingen war zu dieser Zeit noch nicht fertig gestellt. Endlich angekommen, sah ich von weiten schon die markanten Flutlichtmasten, die zum Merkmal des Volksparkstadions gehörten und als wir die Treppen zu den Tribünen hinaufgestiegen waren und ich in das damals modernste Stadion Deutschlands blicken konnte, verschlug es mir fast den Atem. Ich schaute hinunter auf einen herrlich grünen Rasen auf dem deutlich die weißen Linien gezogen worden waren und ich sah ein schwarz-weiß-blaues Fahnenmeer. Im gleichen Moment kamen die Spieler der beiden Mannschaften auf den Platz, um sich für das Spiel aufzulockern. Und dann sah ich sie zum ersten Mal mit meinen eigenen Augen – die Brüder Uwe und Dieter Seeler, Charly Dörfel, Jürgen Kurbjuhn aus Buxtehude, Willy Giesemann, der von Bayern München neu gekommen war, Torwart Horst Schnoor und wie sie alle hießen. 65.000 Zuschauer bejubelten an diesem wunderschönen Spätsommertag bei strahlendem Sonnenschein einen 3:0-Sieg des HSV. Nachdem Uwe Seeler die beiden Tore zur 2:0-Führung erzielt hatte schallten sie durch das weite Rund, die „Uwe-Uwe-Uwe“- Rufe der begeisterten HSV-Anhänger. Das 3:0 erzielte Charly Dörfel, der aber auch noch an einer anderen Szene maßgeblich beteiligt war, die ich bis heute nicht vergessen habe. Das Spiel hatte sich gerade ein wenig beruhigt und die Zuschauer waren für einen Moment relativ leise, als Charly Dörfel plötzlich und unerwartet einen Flankenball direkt aus der Luft nahm und auf das Frankfurter Tor schoss. Mit voller Wucht prallte der Ball gegen die Querlatte des Tores, das damals noch aus Holz bestand. Es gab einen so lauten Knall, der durchs Stadion hallte, dass ich dachte, das Tor würde zusammenbrechen. Kurz vor Beendigung der Begegnung erhoben sich auch die Sitzplatzbesucher, wie mein Vater, sein Kollege und ich von ihren Sitzen und bis auf ein paar Eintracht-Fans sangen 65.000 Zuschauer und es schallte durch das riesige Stadion- Rund: „Aber eins, aber eins, das bleibt besteh´n, der HSV wird niemals unter geh´n“. Als hätten sie es alle gewusst, dass der HSV niemals aus der Bundesliga absteigen würde. Erinnerungen eines damals 11-jährigen Jungen an den Fußball – der schönsten Nebensache der Welt.

      Nachdem ich zusammen mit meinem Vater auch das Bundesliga-Spiel gegen Eintracht Braunschweig besucht hatte, von dem ich eigentlich nur noch in Erinnerung habe, dass der HSV mit 2:1 gewann und Willy Giesemann beide Hamburger Tore geschossen hatte, folgte am 23. November 1963 ein Besuch