Reinhard Warnke

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte


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      Frühlingshafte Temperaturen sorgten dafür, dass die Olympischen Winterspiele in Innsbruck unter akutem Schnee- und Eismangel litten. Das österreichische Bundesheer musste 40.000 Kubikmeter Schnee für die alpinen Skistrecken heranschaffen und auch 20.000 Eisblöcke mussten nach Innsbruck transportiert werden, um die Bob- und Rodelbahnen präparieren zu können. Dies störte die sowjetische Eisschnellläuferin Lydia Skoblikowa nicht weiter. Sie gewann alle vier Eisschnelllaufwettbewerbe der Frauen und wurde damit die erste Sportlerin, die vier Goldmedaillen während einer Winterolympiade gewann. Weniger Glück hatte das Traumpaar des deutschen Eiskunstlaufens Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler, für die es wieder einmal nur zum zweiten Platz hinter den Protopopows aus der Sowjetunion und damit zur Silbermedaille reichte. Und diese Medaillen mussten sie auch noch zurück geben, weil sie vor den Spielen einen Profivertrag unterschrieben hatten. Erst 1987 sollten sie ihre Medaillen zurück bekommen. Manfred Schnelldorfer sorgte dann dafür, dass sich die deutschen Eiskunstlauf-Fans dennoch über eine Goldmedaille freuen durften.

      Die Olympischen Sommerspiele 1964 fanden in der japanischen Hauptstadt Tokio statt. Deutschland trat zum letzten Mal mit einer gesamtdeutschen Mannschaft an, also mit Sportlern aus West- und Ostdeutschland und gewann zehn Goldmedaillen. In Erinnerung geblieben sind mir die Goldmedaillen von Willi Holdorf im Zehnkampf der Leichtathleten, Willi Kuhweide beim Segeln, dem Vierer mit Steuermann beim Rudern, sowie der Dressur-mannschaft mit Harry Boldt, Dr. Reiner Klimke und Josef Neckermann, dem Begründer des gleichnamigen Versandhauses. Ein deutscher Sportler aber hat seine Bronzemedaille vergoldet. Der Hammerwerfer Uwe Beyer erhielt ohne schauspielerische Erfahrung 1966 die Hauptrolle des Siegfried in der Kinoproduktion „Die Nibelungen“.

      Arbeitslosigkeit, dies war in Deutschland anno 1964 ein Fremdwort. Etwa 100.000 Arbeits-suchenden standen 670.000 offene Stellen entgegen und dies, obwohl bereits 986.000 Gastarbeiter nach Deutschland gekommen waren. Viele von ihnen kamen in der ersten Zeit aus Italien und so beschrieb Conny Froboess in ihrem Schlager „Zwei kleine Italiener“ zutreffend die Gefühle und Träume von Gastarbeitern, fern der Heimat, mit Sehnsucht nach ihren Freundinnen und ihrer Familie. Wenn heute jemand der Meinung ist, Ausländer würden ihm die Arbeit „wegnehmen“, so sei ihm gesagt, dass in der Bundesrepublik Deutschland seit Anfang der 60er Jahre dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt wurden, um den Wirtschaftsaufschwung stabil zu halten. Diese Arbeitnehmer haben für sich und ihre Nachkommen das Recht erwirkt, dauerhaft in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Mir sind diese Mitbürger weitaus lieber, als die zufällig in Deutschland geborenen hohlköpfigen Idioten, die mit Baseballschlägern bewaffnet Menschen anderer Herkunft verfolgen und attackieren. Das Gleiche wie für die Gastarbeiter und ihre Angehörigen aus Italien, der Türkei, aus Griechenland oder sonst woher gilt für Menschen, die ihr Heimatland verlassen mussten, weil sie dort Verfolgung oder Kriegszuständen ausgesetzt waren und in Deutschland Asyl gefunden haben. Millionen von Juden wären froh gewesen, wenn sie in irgendeinem Land aufgenommen worden wären, bevor sie von den Deutschen bestialisch ermordet wurden. Jeder friedvolle Mensch, egal welcher Herkunft oder Hautfarbe, hat das Recht auf ein Leben in Freiheit. Niemand darf sich anmaßen, dieses Recht in Zweifel zu ziehen. Dieses gilt für glatzköpfige Ignoranten genauso wie für Politiker, die bei der Diskussion über Integration und Ausweisung manchmal offenbar vergessen, dass es sich dabei um das Schicksal von Menschen handelt.

      Siw Malmkvist gehörte nicht zu den zitierten Gastarbeitern, sondern die Schwedin war Schlagersängerin mit großem Erfolg in Deutschland und hatte im Jahr 1964 mit „Liebeskummer lohnt sich nicht“ ihren größten Hit. Die Tatsache, dass ARD und ZDF keine Peter-Alexander-Filme zeigen wollten, hatte wahrscheinlich keinen rassistischen Hintergrund in Zusammenhang mit der österreichischen Herkunft des Hauptdarstellers, sondern den beiden Fernsehsendern waren die Filme zu seicht. Als das ZDF sich dann schließlich doch entschloss, Produktionen mit Peter Alexander auszustrahlen, entpuppten sie sich als Riesenerfolg beim deutschen Fernsehpublikum. Dies zeigt, dass man weitreichende Entscheidungen sorgsam überdenken sollte.

      Ich hatte mittlerweile Freude daran gewonnen, Bücher zu lesen. Besonders angetan war ich damals vom Abenteuerroman „Robinson Crusoe“ des englischen Schriftstellers Daniel Defoe, Mark Twains sozialkritischem Roman „Tom Sawyer“, „Die Schatzinsel“, bekanntester Roman des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson, der 1966 mit dem jungen Michael Ande in der Hauptrolle des Jim Hawkins verfilmt wurde und „Die deutschen Heldensagen“, in denen insbesondere die Sagenumwogende Geschichte der Nibelungen geschildert wurde, die Grundlage für die schauspielerische Karriere des Hammerwerfers Uwe Beyer in der Figur des „Siegfried“ war. Eine große Faszination übten auf mich in dieser Zeit aber natürlich auch die Romane des Karl May aus. Welch eine Phantasie muss dieser Schriftsteller gehabt haben, der die Länder des Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, eines Winnetou und Old Shatterhand nie besucht hatte und sie dennoch so lebendig beschrieben hat, als hätte er selbst mit Sklavenjägern gekämpft und wäre bei den Indianerkriegen persönlich dabei gewesen. Natürlich habe ich mir später auch mit Begeisterung die Karl May-Filme im Kino und im Fernsehen angeschaut, in denen Winnetou und Old Shatterhand von den Schauspielern Pierre Brice und Lex Barker so hervorragend dargestellt wurden, ungefähr so, wie ich sie mir beim Lesen der Bücher vorgestellt hatte. Von allen Karl May-Büchern hat mich ich in meiner Kindheit am meisten der Roman „Der Schatz im Silbersee“ begeistert und viele Jahre später hatte ich die Möglichkeit, diesen „Silbersee“ mit eigenen Augen zu sehen. Im Jahr 1985 habe ich zusammen mit meiner Freundin einen Campingurlaub auf der Halbinsel Istrien im damaligen Jugoslawien verbracht und von unserem Urlaubsort aus sind wir damals zu den Plitvicer Seen gefahren, eine unglaublich schöne Seenlandschaft. Dort sind sämtliche Außenaufnahmen für den Film „Der Schatz im Silbersee“ gedreht worden. Schon tief beeindruckt von der Schönheit der Natur in Plitvice, wurden bei mir die Erinnerungen an das Buch und den Film wach. So wurde für mich diese Ausfahrt zu einem unvergesslichen Erlebnis.

      Noch aber befinden sich meine Aufzeichnungen im Jahr 1964, einer Zeit, in der Rassenhass und Diskriminierung noch längst nicht überwunden waren, insbesondere in den Südstaaten der USA, dem Land, in dem der Freiheitsgedanke angeblich über allem steht. An der Spitze der Bürgerrechts-Bewegung, die sich gegen soziale Unterdrückung und Rassismus wendete, stand seit Mitte der 50er Jahre der Baptistenpastor Martin Luther King. Die Weltöffentlichkeit wurde erstmals auf ihn aufmerksam, als er in Montgomery, einer Stadt im Süden der USA, den Boykott der schwarzen Bevölkerung gegen die städtischen Busunternehmen organisiert hatte. Anlass für diesen Boykottaufruf war die unglaubliche Tatsache, dass die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks am 01. Dezember 1955 verhaftet worden war, weil sie sich weigerte, im Bus einem Weißen Platz zu machen. 381 Tage dauerte dieser gewaltlose Widerstand mit dem Erfolg, dass jede Art von Rassentrennung in den Bussen der Stadt Montgomery durch den Obersten Gerichtshof verboten wurde. Dieser Erfolg war die Initialzündung für weitere gewaltlose Aktionen gegen den Rassismus unter der Führung von Martin Luther King. Der Freiheitsgedanke der schwarzen Bevölkerung war inzwischen vom Süden auf die gesamte USA übergeschwappt und immer mehr Weiße zeigten ihre Solidarität zur Bürgerrechtsbewegung, allen voran John F. Kennedy, der sich offen gegen die Rassen-Diskriminierung aussprach, eine Bürgerrechts-Gesetzgebung angeschoben hatte und Martin Luther King mehrmals hilfreich zur Seite gestanden hat, wenn dieser wieder einmal aus vorgeschobenen Gründen inhaftiert worden war. Sehr zum Unwillen des FBI und dessen Chef Hoover, der entschiedener Gegner einer Gleichberechtigung der Schwarzen in Nordamerika war. Es ist nicht ausgeschlossen, dass John F. Kennedy ermordet wurde, weil er sich vehement für die Bürgerrechte der Schwarzen eingesetzt hatte. Am 28. August 1963, drei Monate vor dem Attentat auf den amerikanischen Präsidenten, fand in Washington eine friedliche Großdemonstration mit mehr als 250.000 Menschen, darunter 60.000 Weiße, für die Bürgerrechts-Gesetzgebung statt, auf der Martin Luther King seine wohl bedeutendste Rede hielt, mit dem legendären Satz: „I have a dream“. Im Jahr 1964 erhielt er für seinen couragierten Einsatz in Bezug auf die Menschenrechte den Friedensnobelpreis. Doch sein Kampf um die Gleichberechtigung ging weiter, denn obwohl Präsident Lyndon B. Johnson dafür gesorgt hatte, das Bürgerrechtsgesetz in Kraft treten zu lassen, blieb der Rassenhass in den Vereinigten Staaten Realität. Am 04. April 1968 bezahlte auch Martin Luther King seinen gewaltlosen Kampf für die Verwirklichung der Bürgerrechte der Schwarzen mit seinem Leben, als er auf dem Balkon eines Motels in Memphis erschossen wurde. Nicht im Traum