Reinhard Warnke

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte


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ganz so dramatisch vollzog sich das Ende einer Ära im bundesdeutschen Fußball. Beim 4:1-Sieg über Finnland in Helsinki war Sepp Herberger nach 28 Jahren zum letzten Mal für die deutsche Nationalmannschaft verantwortlich. Er war nicht nur der erfolgreiche Trainer des Überraschungsweltmeisters von 1954, sondern bahnte auch den Weg dafür, dass Deutschland seit Jahrzehnten eine der besten Nationalmannschaften der Welt stellen kann und er hat sich maßgeblich für die Einführung der Fußball-Bundesliga eingesetzt. Dass der langjähriger Assistent, Helmut Schön, sein Nachfolger werden würde, stand schon seit langem fest und der hatte gleich im ersten Spiel unter seiner Verantwortung eine schwere Hürde vor sich. In der Qualifikation um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 1966 in England kam es am 04. November 1964 zum ersten Aufeinandertreffen mit Schweden, dem ernsthaftesten Rivalen in der Qualifikationsgruppe. Im Berliner Olympiastadion kam die deutsche Mannschaft bei einem Treffer durch den Münchener Rudi Brunnenmeier über ein 1:1-Unentschieden nicht hinaus. Vom ersten Tag seiner Tätigkeit als verantwortlicher Trainer der deutschen Nationalmannschaft an musste Helmut Schön also unter erheblichem Druck arbeiten.

      Dass der Mini in dieser Zeit begann, die Mode der jungen Frauen zu bestimmen, hat mich mit meinen 12 Jahren noch nicht sonderlich interessiert. Ich hatte ganz andere Probleme, denn meine kriminelle Karriere schien begonnen zu haben. Seit kurzem hatten die ersten Selbstbedienungsgeschäfte ihren Betrieb aufgenommen. Man musste jetzt nicht mehr am Tresen des Geschäftes seine Einkaufswünsche benennen, sondern konnte sich aus den Regalen die Waren nehmen, die man gedachte, zu kaufen, um sie dann vor dem Ausgang an der Kasse zu bezahlen. Eine revolutionäre Erneuerung, die aber auch dazu verführen konnte, Ware heimlich an sich zu nehmen und das Geschäft zu verlassen, ohne vorher bezahlt zu haben. Auch in unmittelbarer Nähe unserer Schule war gerade ein solcher Selbstbedienungsladen eröffnet worden. Einige Mitschüler rühmten sich damit, Süßigkeiten mitgenommen zu haben, ohne sie zu bezahlen. Darunter war auch einer meiner besten Schulfreunde, dessen Mutter Lehrerin an der besagten Schule war. Mein Freund forderte mich immer wieder auf, auch einmal in dem Geschäft Süßigkeiten heimlich einzustecken und als ich mich weigerte, galt ich als Feigling. Mit diesem Attribut bedacht, entschloss ich mich dann eines Tages zum Diebstahl. Aber ich glaube, irgendwie fehlt mir das Talent, Dinge mitzunehmen, die mir nicht gehören. Ich kann mich noch heute genau daran erinnern, dass der Kassierer aufgestanden war und es genau beobachtet hatte, als ich eine Tüte Bonbons in meiner Jackentasche verschwinden ließ. Der Versuch, das Geschäft ohne Probleme verlassen zu können, schlug natürlich fehl und ich nannte dem Kassierer auch sofort meinen Namen, als er danach gefragt hatte. Er wollte mein Vergehen umgehend bei der Schule melden, traf dabei aber zum Glück auf die Mutter meines Freundes. Sie sprach mich auf mein Vergehen an, als ich meinen Heimweg antreten wollte und ich erklärte ihr, dass ich meine Handlung nicht geplant hatte und es auch bereits bereuen würde. Da ich sie ja sehr gut kannte, war ich davon überzeugt, dass sich die Angelegenheit damit erledigt und ich keine weiteren Schwierigkeiten zu befürchten hatte. Trotzdem beschäftigte mich die Angelegenheit den ganzen Tag über und ich verabschiedete mich am späten Nachmittag weitaus früher von meinen erstaunten Spielkameraden, um schnell nach Hause zu kommen. Doch dort erschrak ich fürchterlich, denn vor dem Bahnhof stand der blaue VW – Käfer meines Klassenlehrers. Der stand noch nie da. Welch eine Schmach, wenn meine Eltern erfahren würden, dass ich gestohlen hatte. Ich ahnte Schlimmes und kehrte zurück zu meinen jetzt noch mehr erstaunten Spielkameraden. Irgendwann musste ich dann aber doch nach Hause. Der blaue VW – Käfer stand nicht mehr da, aber mein beklemmendes Gefühl war geblieben. Von meinen Eltern wurde ich begrüßt wie sonst immer, ohne dass sie irgendwelche Andeutungen auf meine Verfehlungen machten. Ich weiß bis heute nicht, warum das Auto meines Lehrers gerade an diesem Tag vor dem Bahnhof stand und ob meine Eltern jemals von meinem Diebstahl Kenntnis erhalten haben. Da meine Eltern und der Lehrer schon seit vielen Jahren nicht mehr am Leben sind, werde ich dies auch nicht mehr erfahren. Ich habe mich damals aber vor mir selber so geschämt, dass meine kriminelle Karriere so schnell endete, wie sie begonnen hatte.

      Der 2. Weltkrieg lag jetzt bereits fast zwanzig Jahre zurück, aber in Vietnam herrschte seitdem immer noch Krieg um Unabhängigkeit, Vorherrschaft und Einheit des Landes. Es hatte im sogenannten Indochina-Krieg begonnen, als sich Vietnam nach dem Rückzug der japanischen Truppen gegen die französische Kolonialherrschaft zur Wehr setzte. In Hanoi, im Norden des Landes, wurde bereits 1945 nach Abzug der Japaner die „Demokratische Republik Vietnam“ errichtet. Unter ihrem Präsidenten Ho Chi Minh wurde die kommunistisch ausgerichtete „Liga für die Unabhängigkeit Vietnams“, der Vietminh, gebildet, der mit politischer und militärischer Unterstützung Chinas gegen die französische Kolonialherrschaft kämpfte und Ende 1953 den größten Teil Vietnams besetzt hatte. Auf der Genfer Indochina-Konferenz, die mit einem Waffenstillstand zwischen Frankreich und Vietnam geendet hatte, wurde der 17. Breitengrad als vorläufige Demarkationslinie zwischen Nord- und Südvietnam festgelegt. Mit Zustimmung der westlichen Verbündeten verstärkte fortan die USA ihr Engagement im Süden Vietnams, um die Ausweitung des kommunistischen Systems auf den Süden zu verhindern und löste 1955 Frankreich als Schutzmacht in Südvietnam ab. Der Norden wurde jetzt nicht nur von China, sondern auch von der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten unterstützt. Es gab etliche Krisenherde auf dem Erdball, die den Konflikt zwischen Ost und West deutlich werden ließen, wie zum Beispiel Kuba und Korea. In meiner Wahrnehmung symbolisierte jedoch insbesondere der Krieg in Vietnam genauso wie das geteilte Deutschland den Kalten Krieg zwischen Ost und West.

      Ngo Dinh Diem errichtete in Süd-Vietnam mit amerikanischer Rückendeckung ein autoritäres Regime, in dem jede Art von Opposition unterdrückt wurde. Vor diesem Hintergrund begannen die Kommunisten Südvietnams, die sich Vietcong nannten, mit Guerillaaktionen gegen das Regime Diem und amerikanische Militäreinrichtungen. Unter Präsident John F. Kennedy wurde die Präsenz der Amerikaner in Vietnam weiter verstärkt, obwohl er wahrscheinlich wirklich bis zu seinem gewaltsam herbeigeführten Lebensende gehofft hatte, einen aktiven Eingriff der USA in den Vietnamkrieg abwenden zu können. Doch die meisten Historiker sind sich einig, dass auch er es nicht hätte verhindern können, dass im Februar die amerikanische Luftwaffe begann, strategisch wichtige militärische und wirtschaftliche Ziele in Nord-Vietnam zu bombardieren. Auch der Ho-Chi-Minh-Pfad in Laos und Kambodscha, über den der Vietcong seinen Nachschub aus dem Norden erhielt, war Ziel der amerikanischen Bomber. Jetzt hatte die Phase des Vietnamkrieges begonnen, in der die Emotionen der Menschen auf der ganzen Welt aufgewühlt wurden und im Laufe der Jahre sollten die Proteste immer lauter werden. Die Auflehnung der Jugend gegen das verhasste Establishment, die 1968 ihren Höhepunkt erreichen sollte, wurde von den Geschehnissen in Vietnam stark geprägt.

      Joan Baez, die großartige und engagierte amerikanische Sängerin, Tochter einer Schottin und eines Mexikaners, hatte aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe während ihrer Kindheit selbst unter Diskriminierung zu leiden. Sie war die Erste, die sich in ihren Protestsongs gegen Missstände und Rassendiskriminierung richtete. Ihr Protestlied „We Shall Overcom“, mit dem sie weltberühmt wurde, spielte in der Bürgerrechtsbewegung der USA eine sehr wichtige Rolle. Aber fortan engagierte sie sich auch im Protest gegen den Krieg in Vietnam. Ein weiterer Sänger von Protestliedern wuchs quasi im Windschatten von Joan Baez auf. Sie hatte Bob Dylan, der bis dahin nur als Straßenmusiker in Erscheinung getreten war, zeitweise bei sich aufgenommen, weil sie ihn mochte und von seinem unglaublichen Talent überzeugt war. Bereits In dieser Zeit entstand sein Erfolgssong „Blowing in the Wind“, man kann sagen, die Hymne der 68´-Bewegung. Aber Dylan war wahrscheinlich weniger politisch engagiert, als seine Lieder es ausdrücken. Als leidenschaftlicher Anhänger der Folk-Musik suchte er in erster Linie lange Zeit nach seinem eigenen musikalischen Weg. Mehr noch als Interpret seiner eigenen Lieder, sollte er als Songwriter Weltruhm erreichen, für andere Sänger und Pop-Gruppen, insbesondere von Bands wie „The Birds“ und „Manfred Mann“. Bob Dylan blieb allerdings auch weiterhin aktiver Begleiter der Protestaktionen gegen Rassenhass, Unrecht und Krieg.

      Am 20. Februar 1965 erlitt die bundesdeutsche Fußballnation einen fürchterlichen Schock. Im Frankfurter Waldstadion, auf tief gefrorenem Boden, war dem Kapitän des HSV und der deutschen Nationalmannschaft die Achillessehne gerissen. Eine Verletzung, die in dieser Zeit bisher das Aus einer Sportlerkarriere bedeutet hatte. Ohne „Uns Uwe“ im September nach Schweden, wo das alles entscheidende Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft 1966 in England stattfinden würde. Dies schien unvorstellbar!