Reinhard Warnke

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte


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waren dann auch die wenigsten in der gesamten Liga. Zu Beginn der Saison hatte sich der MSV mit einem sehr prominenten Neuzugang verstärkt. Es war kein Geringerer als Weltmeister Helmut Rahn, der nach seinem Engagement in Köln für ein Jahr in Holland bei Twente Enschede gespielt hatte. Erneut sollte der „Boss“ für einen Eintrag in den Geschichtsbüchern des deutschen Fußballs sorgen, denn er war der erste Spieler, der in der Bundesliga vom Platz gestellt wurde.

      Auch Charly Dörfel, der Linksaußen des HSV, wurde in dieser ersten Bundesligasaison des Feldes verwiesen. Es gab in dieser Zeit noch keine „gelben und roten Karten“, sondern wenn ein Schiedsrichter einen Spieler verwarnte, notierte er dessen Namen in seinem Notizbuch. Im Spiel des HSV gegen 1860 München, das die Hamburger mit 5:0 gewannen, wollte der Schiedsrichter den Nationalspieler wegen einer Regelwidrigkeit verwarnen und fragte nach seinem Namen, wohl wissend, wer da vor ihm stand. Dies wird sich auch Dörfel gedacht haben und antwortete mit: „Meyer“. Daraufhin schickte ihn der Schiedsrichter zum Duschen. Irgendwie passte dies zum eigenwilligen Charly Dörfel. Die Löwen aus München revanchierten sich für die 0:5 Niederlage im Rückspiel spektakulär. Mit sage und schreibe 9:2 überrollten sie den HSV Anfang März 1964 wie eine Lawine. Wobei dies sinnbildlich zu sehen war, denn das Spiel im Stadion an der Grünwalder Straße fand im dichten Schneetreiben und auf einer mehrere Zentimeter hohen Schneedecke statt. Insofern musste man den Herren aus dem hohen Norden wohl zu Gute halten, dass sie sich in Wintersportdisziplinen nicht so gut auskannten, wie die Kontrahenten aus dem Alpenvorland. Dabei hatte der HSV durchaus schon Gelegenheit zum Üben gehabt, denn auch das Bundesligaspiel gegen den Deutschen Meister Borussia Dortmund im Volksparkstadion fand in der Vorweihnachtszeit auf Schneeboden statt. Es handelte sich dabei allerdings um ein Wiederholungsspiel, denn am 7. Dezember standen sich beide Mannschaften schon einmal gegenüber. Dieses Spiel musste nach 61. Minuten beim Spielstand von 2:1 für die Borussia wegen zu starken Nebels im Volksparkstadion abgebrochen werden. Es war damit der erste Spielabbruch in der Geschichte der Bundesliga. In der Neuauflage dieser Begegnung hatte dann der HSV die Nase vorn, der nach dem Sieg im Pokalfinale nunmehr auch das erste Aufeinandertreffen in der Bundesliga gegen den BVB für sich entscheiden konnte. Nach einem 0:1-Halbzeitrückstand, der vom Borussen-Stürmer Reinhold Wosab hergestellt wurde, erzielte Uwe Seeler die beiden Treffer für den HSV zum 2:1-Sieg. Ein erfindungsreicher Journalist schrieb daraufhin ein Weihnachtsgedicht der besonderen Art, dass in der Woche nach dem Bundesligaspiel in einer großen deutschen Tageszeitung veröffentlicht wurde. Endlich mal ein Weihnachtsgedicht, dass auch mir gefiel und so ist es nicht verwunderlich, dass ich es nach kurzer Zeit auswendig kannte. Noch heute kann ich mich zum Teil daran erinnern. So oder so ähnlich lautete es:

      „Von drauß´ vom Strafraum komm ich her,

      ich muss Euch sagen, dass Tor war leer.

      Und all überall auf den Stiefelspitzen,

      sah ich goldene Vorlagen blitzen.

      Und droben aus dem Borussen-Tor,

      schaute mit großen Augen Tilkowski hervor.

      Und wie ich so kam durch den Strafraum dann,

      rief´s mich mit heller Stimme an:

      „Knecht Uwe rief es, alter Gesell,

      hebe die Beine und spute dich schnell.

      Das Borussen-Tor wird aufgetan,

      für den HSV fängt die Adventszeit jetzt an.“

      Freude über einen Bundesligasieg anno 1963. Die erste Bundesliga-Saison, deren Beginn ich mit dem allerersten Tor in Bremen selbst miterlebt hatte, endete im Mai 1964, mit einem überlegenen 1.FC Köln als Deutscher Meister. Für Weltmeister Max Morlock, Torschütze des wichtigen Anschlusstreffers gegen Ungarn im WM-Endspiel 1954, hieß es Abschied nehmen, vom aktiven Fußball. In 900 Spielen für den 1. FC Nürnberg erzielte er 700 Tore, wurde zweimal Deutscher Meister und 1961 Fußballer des Jahres. In der deutschen Nationalmannschaft kam er von 1950 bis 1958 sechsundzwanzig mal zum Einsatz und schoss dabei einundzwanzig Tore. Nach einer Achillessehnenoperation im Dezember 1964 musste ein weiterer Weltmeister seine Karriere beenden, der in diesen Aufzeichnungen schon häufig genannt wurde und der dafür gesorgt hatte, dass die Deutschen 1954 voller Stolz von sich behaupteten: „Wir sind wieder wer“ – Helmut Rahn. Preußen Münster und der 1. FC Saarbrücken waren die ersten Absteiger aus der Bundesliga. Obwohl Borussia Neunkirchen als Geheimfavorit in Gruppe 1 der Aufstiegsrunde zur Bundesliga gehandelt wurde, war es doch überraschend, dass sich die Mannschaft aus dem Südwesten Deutschlands gegen Bayern München durchsetzten konnte und in die Bundesliga aufstieg. Im ersten Spiel der Bayern in der Aufstiegsrunde, das sie mit 4:0 beim FC St. Pauli gewannen, wurde erstmals ein 19-jähriges hoffnungsvolles Talent im Seniorenbereich eingesetzt, es war Franz Beckenbauer! In Gruppe 2 der Aufstiegsrunde war der Meister der Regionalliga West, Alemannia Aachen, eindeutiger Favorit und es kam schon einer Sensation gleich, dass sich Hannover 96 durchsetzte und in die Bundesliga aufstieg.

      Der Deutsche Meister von 1963, Borussia Dortmund, spielte eine außerordentlich gute Europapokal-Saison und triumphierte dabei gleich gegen zwei europäische Spitzen-Teams. Im Achtelfinale besiegten die Borussen den zweimaligen Europapokal-Sieger Benfica Lissabon nach einer 1:2 Niederlage in Portugal im Rückspiel sensationell mit 5:0. Im Viertelfinale gegen Dukla Prag gewannen sie das Hinspiel deutlich mit 4:0, verloren dann aber das Rückspiel mit 1:3. Dies reichte jedoch, um in das Halbfinale zu gelangen. Dort aber kam das Aus nach einem 2:2 und einem 0:2 gegen Inter Mailand. „Catenaccio“ ist ein wohlklingendes italienisches Wort für eine wenig attraktive und verpönte Spielweise im Fußball. Trainer Helenio Herrera entwickelte diese totale Defensiv-Taktik und ließ sie mit Inter Mailand bis zur Vollendung spielen. Im Abwehrzentrum hatte er hierfür mit Faccetti, einen der weltbesten Abwehrspieler aller Zeiten, der 98 Länderspiele, davon 70 als Kapitän, für die italienische Nationalmannschaft bestritten hat, sowie Burgnich, ebenfalls italienischer Nationalspieler, die idealen Spieler für dieses „Mauer-System“ zur Verfügung. Aber auch für die Konterangriffe hatte Inter in der Offensive Fußballer der gehobenen internationalen Klasse, wie Jair, Mazzola und Suarez. So hatte auch Real Madrid im Endspiel keine Chance, gegen diese „Mauer-Taktik“ anzukommen und verlor mit 1:3. Der Europapokal blieb damit in Mailand, nur der Verein hatte gewechselt.

      Altona 93 gehört zu den ältesten Fußball-Clubs Deutschlands. Fast ununterbrochen gehörte der Verein in der Oberliga Nord bis 1963 der höchsten deutschen Spielklasse an. Zu den Höhepunkten der Ligamannschaft gehörten sicherlich die Duelle mit dem HSV, dem großen Hamburger Stadtrivalen, in den 50er Jahren. Die Adolf-Jäger-Kampfbahn, Heimstätte des Clubs und benannt nach dem ersten Nationalspieler von Altona 93, platzte bei diesen Begegnungen mit zum Teil 27.000 Zuschauern aus allen Nähten. Am 03. Juni 1964 nahm mein Vater mich mit in die traditionsreiche Adolf-Jäger-Kampfbahn. Anlass hierfür war, dass Altona 93, durch Einführung der Bundesliga zur Zweitklassigkeit in der Regionalliga Nord verdammt, überraschend das Halbfinale des DFB-Pokals erreicht hatte und dabei auf den TSV 1860 München traf. Den „weiß-blauen“ Löwen aus München gehörte zu dieser Zeit nach dem HSV meine größte Sympathie. So war es für mich natürlich eine große Freude, diese Mannschaft in dem kleinen Stadion einmal aus nächster Nähe bewundern zu können. Auf Petar Radenkovic - den legendären jugoslawischen Torwart - Spaßvogel mit dem Drang nach Ausflügen bis an die Mittellinie, die beiden Haudegen in der Abwehr – Otto Luttrop und Rudolf Steiner, vor allem aber die Offensivspieler Wilfried Kohlars, Rudi Brunnenmeier, Hannes Küppers und Fredy Heiß habe ich mich besonders gefreut. Der Bundesligist konnte seiner Favoritenrolle in diesem Halbfinale allerdings nicht gerecht werden und so stand es sehr zur Freude der Zuschauer in der Adolf-Jäger-Kampfbahn nach 90 Minuten 1:1 Unentschieden, nachdem Stürmer Heiko Kurth, der später sein Glück auch beim HSV suchte, den Durchbruch dort aber nicht schaffte, den umjubelten Ausgleich für Altona 93 erzielt hatte. In der Verlängerung ging dem Regionalligisten dann allerdings die Puste aus und so erreichte 1860 München mit einem 4:1 nach Verlängerung das Pokal-Endspiel. Dieses Finale sollte nur zehn Tage später im Stuttgarter Neckar-Stadion bei glühender Hitze stattfinden. Der Gegner der Löwen, Eintracht Frankfurt, am Ende der gerade abgelaufenen ersten Bundesligasaison immerhin Tabellendritter und seit Januar des Jahres ungeschlagen, wurde dabei als klarer Favorit gehandelt. Dies störte die Löwen aber