Mittelmeerinsel Malta. Die Furcht als Vater des Aberglaubens hat bei den maltesischen Fischern dazu geführt, dass sie ihre kleinen Boote am Bug mit zwei Augen verzieren. Getreu der Devise „Vier Augen sehen mehr als zwei“. Diese Abwehraugen, die das Böse abhalten sollen, werden jedes Jahr liebevoll restauriert und sind selbst, wenn sie nicht helfen, ein Schmuckstück eines jeden Bootes. Damit die Fischer bei ihrer Arbeit auf dem Meer mit einem blauen Auge davonkommen, reicht schon ein abstraktes, nur angedeutetes Augenmotiv auf dem Bootsbug aus. Sicherer ist natürlich ein geschnitztes Auge mit Teddybär-Glaslinse. Allerdings keine Garantie dafür, dass man trotz der De-Luxe-Abwehraugen mit sehenden Augen dem eigenen Untergang entgegen geht, oder was fast noch schlimmer ist, wie es in Psalm 115,5 verkündet wird: „Sie haben Augen und sehen nicht“. Beim Herumstreunen in maltesischen Häfen wurde ich für Schutzaugen sensibilisiert. Die Türkei entpuppte sich dann zu einem geradezu unermesslichen Schutz-Augen-Forschungsgebiet.
Seit der Ausweisung aus dem Paradies machen sich die Menschen das Leben auf der Erde möglichst schwer. Paradiesische Verheißungen für die diesseitige Welt findet man oft nur noch in Reiseprospekten und der Reklame. Eine der Untugenden, mit denen sich die Menschen ihr Leben vergällen, ist der Neid. Der Prediger Salomo weist auf die Aussichtslosigkeit des Neides hin, der mit dem „Haschen nach dem Wind verglichen wird“. Obwohl es auch bei Jakobus heißt „Ihr hasset und neidet und gewinnet damit nichts.“, ist doch jedermann davon betroffen.
Vor dieser Kultur, Religion und Völker übergreifenden Eigenschaft scheinen nicht einmal die Götter gefeit zu sein; wie sonst könnte Schiller eine seiner Figuren sagen lassen „Mir grauet vor der Götter Neide.“ Ob reich oder arm, ob schwarz oder weiß, ob Christ oder Muslim, der Neid wurzelt tief in uns. Wir beneiden oder werden beneidet. Während der Neid dem Neider selbst schwer zu schaffen macht, ist er doch „was Rost dem Eisen“ oder „Eiter in den Gebeinen“, befindet sich der Beneidete in der Situation eines fast hilflosen Opfers. Folge des Neides ist Nazar, der Böse Blick, der das Gute in das Böse verkehrt. Da selbst die Religionen einem vor diesem Übel keinen hundertprozentigen Schutz gewähren können, muss man zu anderen Mitteln greifen. Was für den Teufel das Weihwasser, für den Vampir der Knoblauch, sind blaue Glasperlen als stilisierte Augen für den Bösen Blick.
In der Türkei hat es dieser Kult zur höchsten Blüte gebracht. Das Leben beginnt mit blauen Perlen, die bereits dem Säugling ans Gewand gesteckt werden. Beim Schüler findet man das Glasauge an der Schuluniform, im Restaurant hängt das Neidauge neben der Speisekarte. Hier allerdings in einer besonders wirksamen Form, denn es wurde mit der Abwehrhand kombiniert. Da ist sowohl auf jedem Finger anstelle des Fingernagels als auch auf dem Handrücken ein Abwehrauge zu sehen. Blaue Glasperlen im Zusammenhang mit Delfinen und Hufeisen potenzieren vermutlich den Schutzeffekt. Die Bankangestellte trägt den Glücksbringer als Schmuck an der Halskette, aber auch als Ohrring, Ring, oder Armband steht er zur Verfügung. Das blaue Gebilde schützt Haus, Hof, Vieh und natürlich das Auto mit seinen Insassen. Weder im Krankenhaus noch auf der Baustelle fehlen die Abwehraugen. Selbst ein Team der staatlichen türkischen Fluggesellschaft vertraut nicht nur seinen eigenen Fähigkeiten und denen des Flugzeugs, sondern hat sich aus Sicherheitsbedürfnis ein blaues Schutzauge in der Maschine aufgehängt. Im Istanbuler Flughafen baumelt dieser Talisman als riesengroßes Kunststoffexemplar von der Decke der Eingangshalle herab und verströmt ein Sicherheitsgefühl. Es ist selbstverständlich, dass natürlich auch im Maschinenraum der Fähren der blaue, schützende Glaspfannkuchen irgendwo zwischen den dicken Rohren zu finden ist. Auf einem Schiff meint man es besonders gut und hat das Schutzauge mit einem Widderkopf und einem Amulett kombiniert. Die Polizisten der Polizeistation in Karaköy, Spezialisten in Sachen Sicherheit, verlassen sich, wenn es um ihre eigene Sicherheit geht, nicht allein auf den Wächter, der mit gestrecktem Zeigefinger die schussbereite Maschinenpistole im Anschlag Wache schiebt. Für den Fall der Fälle hat man links über der Tür ein Schutzauge angebracht. Selbst die Benutzer des Sesselliftes können beruhigt die Fahrt auf den Berg genießen und dies nicht nur, weil die Sesselbahn von einer österreichischen Firma gebaut wurde, sondern weil an der Talstation ein dickes, tiefblaues Glasauge hängt. Besonders Glück hat ein Hausbesitzer, dessen Haus wird durch ein Glasauge über der Eingangstür geschützt und zusätzlich noch durch eine Glücksbringerin, die Schwalbe, die genau an dieser Stelle ihr Nest gebaut hat. Es muss nicht immer Glas sein, denn man findet das blaue Auge inzwischen auch als Motiv auf dem edlen Seidenteppich, als billiges Abziehbild oder zeitgemäß als Körperschmuck in Form von Tattoos. Ein einheimischer Süßwarenhersteller produziert ein Bonbon mit dem Markennamen Nazar und auf der Packung befindet sich das Motiv gegen den Bösen Blick. Wer auf Nummer Sicher gehen will, kombiniert den Glücksbringer mit religiösen Formeln.
So vereinen sich Glaube und Aberglaube in diesem Brauch. Kein Widerspruch anscheinend, denn gerade in den Auslagen der Verkaufsstände vor den Moscheen findet man sowohl die Miniglasaugen als auch die Luxusausführung in Pfannkuchengröße und in Metall eingefasst zwischen Koran und Gebetsteppich liegen. Sogar den Christen kommt dieser Aberglaube zugute, denn ein Glücksperlenhändler hat seinen Stand ganzjährig vor einer Istanbuler Kirche aufgebaut. Ein sympathischer Brauch, der niemandem schadet und Glasperlenherstellern und -verkäufern nur nützt.
RAUCHEN MIT DER BLUMENVASE
Ich bin weder Zigaretten-, Zigarren- noch Pfeifenraucher und trotzdem üben Wasserpfeifen auf mich eine unwiderstehliche Anziehung aus, die dazu führt, dass ich jedes Mal, wenn ich an meinem Wasserpfeifencafé vorbeikomme, einen Blick hineinwerfe. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber immer, wenn ich eine Wasserpfeife sehe, gleiten meine Blicke über das barocke Gerät. Vom glimmenden Tabak mit seinen aschgrauen Holzkohlestückchen wandern meine Augen über den „Kerzenständeraufsatz“ zum Glasfuß, von dort den Windungen des Schlauches entlang zum pelzigen Hand- und weiter zum Mundstück, das gewöhnlich in einem zufriedenen, gelösten Mund steckt, wie der Schnuller beim Säugling. Das Gerät ruft wie ein Dinosaurier Erinnerungen an vorsintflutliche Zeiten, also längst vergangene Zeiten, wach. Vermutlich an Zeiten, in denen Zeit noch wirklich Zeit war. Sowohl das Laden der Wasserpfeife als auch das Rauchen braucht seine Zeit und das ist vielleicht die Faszination, die von diesem Gerät ausgeht, in einer Zeit, die immer schneller verfliegt und in die gleichzeitig immer mehr hineingepackt wird. Die Wasserpfeife zwingt ihren Benutzer für einen Moment innezuhalten, eine Pause einzulegen. So gesehen, hat die Wasserpfeife sogar einen positiven Einfluss auf Körper, Geist und Seele und kompensiert damit vielleicht die negativen Auswirkungen, die durch Tabakkonsum entstehen. Wenn ich also Raucher werden müsste, fände man mich in einem Wasserpfeifencafé hinter der Wasserpfeife sitzend, das Handstück auf Brust und Bauch liegend und versonnen an einem Bernsteinmundstück nuckelnd, während die Rauchblasen durch den Glasfuß blubbern und Rauchschlieren in Richtung Himmel schlingern.
Während selbst die Istanbuler nur vage Angaben zur Einwohnerzahl ihrer Metropole machen, sind sie sich über den Stadtteil Tophane erstaunlich einig. Im Urteil vieler Bürger gilt dieses Viertel als eine Brutstätte von Gaunern aller Art. Der linkische Gelegenheitsdieb als auch der berufsmäßige Killer sollen hier ihr Zuhause haben. So kommentieren Istanbuler das Fehlverhalten ihres Nachwuchses noch immer mit dem Satz: „Benimm dich nicht wie ein Tophaner!“
In diesem etwas verrufenen Stadtteil gibt es nun noch eine traditionelle türkische Einrichtung, das Café Tayfun, das Bürger aus der ganzen Stadt anlockt. Grund dieser Attraktivität ist „eine Glaskaraffe voll Wasser mit einer angezündeten Tabakspfeife oben darauf, an der ein ellenlanger biegsamer Schlauch mit einem Mundstück aus Messing hängt.“ So beschreibt Mark Twain die Nargile, die Wasserpfeife, die in den Ländern des nahen und mittleren Ostens geraucht bzw. bei den Türken getrunken wird. Das Wort „nargile“ stammt aus der persischen Sprache, wo es Kokosnuss bedeutet. Vielleicht ein Hinweis auf den Urtyp der Wasserpfeife, bei der es sich ursprünglich einmal um eine halb mit Wasser gefüllte Kokosnuss handelte, die mit einem Pfeifenkopf und einem Mundstück versehen war und als Huka im arabisch-indischen Raum bekannt ist. Während sich am Funktionsprinzip nichts geändert hat, es entspricht der Arbeitsweise einer Gaswaschflasche aus dem Chemielabor, erinnert am Design nichts mehr an das Vorläufermodell Kokosnuss.
Der mit Wasser gefüllte Fuß zeigt große Ähnlichkeit mit einer mehr oder