Tuja Tiira

Bung I - Vampire, Vampire!


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nur mit meinem Vater, meine Mutter wohnt mit meiner älteren Schwester woanders. Sie mag das Haus nicht. Sie findet es alt und muffig."

      "Und was macht dein Vater?"

      "Der ist Literaturwissenschaftler. Er erforscht alte Sprachen und alte Bücher. Bis übermorgen ist er auf einer Konferenz."

      Ka hatte schon bemerkt, dass überall Bücher und Zeitschriften herumlagen, mit vielen kleinen Zetteln versehen, die zwischen den Seiten steckten.

      "Dann bist du hier ganz alleine?"

      "Mein Vater bezahlt noch eine Frau dafür, dass sie ab und zu putzt und den Haushalt in Ordnung hält. Aber ich koche mir meistens selber was."

      Ka schwankte ein bisschen, ob sie Lisa beneiden sollte für ihre Freiheiten, oder ob sie nicht doch lieber mit beiden Eltern zusammen wohnte. Lisa zog sie schon wieder am T-Shirt. "Aber komm, das Beste hast du noch gar nicht gesehen."

      Eine der Türen an der Rückseite der Eingangshalle führte in eine große alte Bibliothek. Der Raum lag in der Mitte des Hauses mit großen Fenstern nach hinten hinaus. Hier war es heller. Die Sonne wärmte den Raum und durch die geöffneten Fenster wehten Vogellärm und der Geruch des Frühlings herein. An den Wänden erstreckten sich bis unter die Decke Regale mit Büchern, einige davon wirkten noch wesentlich älter als das Haus. An einer Wand lehnte eine fahrbare Leiter und zum Fenster hin standen große bequeme Sessel. In einer Ecke fiel Ka ein alter Globus mit seltsam klingenden Namen in einer unbekannten Sprache auf.

      "Das ist lateinisch, das wurde im Mittelalter von den Gelehrten gesprochen." Lisa hatte sich in einen der Sessel geworfen und beobachtete, wie Ka staunend den Raum betrachtete, dann stand sie auf, setzte sich auf einen Tisch am Fenster und zappelte mit den Beinen. Ein altes Fernrohr auf einem Stativ blinkte neben ihr im Sonnenlicht.

      "Das ist aber noch nicht alles." Lisa schien es zu genießen, dass Haus jemandem zeigen zu können. So oft bot sich dafür wohl auch keine Gelegenheit. Ka betrachtete immer noch die Bücher, es mussten Tausende sein. Lisa dirigierte sie zu einem kleineren Regal an der rechten Seite des Raumes, sie zog zwei der Bücher heraus und fasste durch den Spalt. Dazu musste sie sich auf die äußersten Zehenspitzen stellen, doch im nächsten Moment klappte das Regal zur Seite. Es war eine Tür.

      "Komm, ich hatte dir doch versprochen, dir ein Bild meiner Ururgroßtante zu zeigen."

      Ka zögerte einen Augenblick lang. Um ein solches Haus mit Geheimräumen zu bauen, mussten Lisas Vorfahren mindestens genauso seltsam gewesen sein wie Lisa. Durch die Tür sah sie weitere Bücher, die aber noch älter und irgendwie gefährlich wirkten.

      "Komm!" Lisa war schon vorausgegangen.

      Auch der geheime Raum war eine Bibliothek, nur sehr viel kleiner, eine kleine alte metallene Wendeltreppe führte nach oben und unten.

      "Das ist die geheime Bibliothek meiner Ururgroßtante."

      Ka schauderte und erwartete fast jeden Moment die Ururgroßtante eintreten zu sehen, um dann irgendwelche schrecklichen Dinge mit Ka zu tun. Aber der Raum war wunderschön, die Sonne schien hier fast heller als draußen unter den Bäumen.

      In den Lichtstrahlen tanzten einige wenige Staubfädchen in der Luft. Die Luft war klar und es roch nach frischem Grün. Das Fenster stand halb offen, und auch hier waren die Vögel zu hören. In einer gemütlichen kleinen Leseecke stand ein Glas mit einem Löffel, Milch und Kakao. Auf dem Tisch in der Leseecke lagen in einem wilden Stapel Comics und uralte Bücher durcheinander.

      'Zauberei in der Abtei' war die Überschrift eines Comics. '11 Wege zur Umwandlung von Gold in Blei', stand auf einem der Bücher in kaum zu entziffernden Buchstaben. Ka konnte Fraktur, die alte deutsche Druckschrift, zum Glück lesen.

      "Wozu willst du Gold in Blei verwandeln?"

      "Das ist einfacher als umgekehrt und ich fange ja erst an. Bisher hat aber auch das noch nicht funktioniert." Lisa seufzte.

      Als Ka das Bild von Lisas Ururgroßtante sah, dass gegenüber dem Fenster an der Wand hing, musste sie über ihre Befürchtungen lachen. Lisas Ururgroßtante sah Lisa erstaunlich ähnlich. Eine relativ kleine Frau mit einer Frisur, die so aussah, als hätte sie vergessen, sich zu kämmen. In einem etwas zu großen Kleid mit leichten Brandspuren blickte sie lachend aus dem Bild in den Raum. In ihrem Arm hielt sie offensichtlich ein altes magisches Buch mit Runen auf dem Buchdeckel, vor ihr auf dem Boden zu ihren Füßen waren noch einige Tiegel und ein Mörser abgebildet und ein seltsames Lebewesen, das sich wie eine Mischung aus Gespenst und kleinem Känguru ausnahm.

      Ka schaute sich weiter um.

      Auf einem Lesepult lag ein großer Foliant aufgeschlagen, ein Buch so hoch und breit wie ihr Schulatlas, nur viel dicker, mit schweren, etwas steifen Seiten, zwischen denen teils ganzseitige Drucke eingebunden waren. Der Einband war, obwohl er sehr stabil aussah, abgegriffen, so als wäre das Buch häufig in Verwendung. Ka linste neugierig auf die aufgeschlagene Seite, sie sah Lisa an, die etwas verloren in der Leseecke saß. "Darf ich?"

      "Klar, schau dir an, was du möchtest."

      Angestrengt entzifferte Ka die Inschrift auf dem Einband, 'Verzeichnis der Unterweltbewohner, Nachtwesen und Geister - aktualisierte Fassung 30.2.1857 -'. Der Foliant war unter ' V' - Vampirhund - aufgeschlagen, ein großer schwarzer Hund mit geblecktem Vampirgebiss blickte sie gemein als Schwarzweißdruck an. Er schien fast aus dem Buch heraus zu springen.

      Ka fühlte sich schon beim Anblick des Bildes unwohl. Hätten Lisa und sie gewusst, dass draußen im Garten ein Vampirhund in der schwarzen Dunkelheit der Büsche lauerte und das Haus beobachtete, hätten sie wohl kaum so sorglos hier drinnen gesessen. Ob es der gleiche Vampirhund war, der Lisa gestern im Garten beobachtet hatte oder einer seiner Verwandten hätte niemand sagen können. Sie waren alle schwarz wie die Nacht.

      Doch die beiden wussten nichts davon. Ka blätterte nach kurzem Betrachten der Zeichnung die Seite um, weitere seltsame Wesen reckten ihr die Köpfe auf Zeichnungen und Drucken entgegen. Kurz blieb ihr Blick an einer Art Vampirmeerschweinchen haften, das seine übergroßen Ohren zum Fliegen benutzte. Auf einem Bild räkelten sich einige Seejungfrauen auf Badelaken, als hätte es ihnen Spaß gemacht, für dieses Bild Modell zu liegen. Und unter dem Buchstaben ' I' starrte sie ein Irrwisch an, ein kleines, fast menschenähnliches Wesen mit Wuschelkopf, riesigen hypnotischen Augen und einer niedlichen Knopfnase. Beim Buchstaben ' K' erregte das Bild eines Lebewesens ihre Aufmerksamkeit, welches dem kleinen Gespenst auf dem Bild von Lisas Ururgroßtante glich. Es hatte einen ungewöhnlichen Namen: Kunkuru. Ka las den Text unter dem Bild:

       - Kunkuru - (australischer Poltergeist)

       Kunkurus sind die australische Variante des europäischen Poltergeistes. Kunkurus unterscheiden sich von ihrem europäischen Gegenstück insbesondere durch ihre Größe, sie werden maximal 12 Zentimeter groß, und dadurch, dass sie sich nur hüpfend fortbewegen können. Da sie außerdem die kleinen Nachwuchspoltergeister in einem Beutel vor dem Bauch mit sich herumtragen, sind sie beim Spuken stark eingeschränkt. Nicht selten kommt es vor, dass ein Kunkuru beim Spuken ein Junges verliert und dann schreckhaft – Kunkurus sind äußerst ängstlich – beginnt nach dem Nachwuchs zu suchen. Das Spuken wird in solchen Situationen meistens darauf beschränkt, ab und zu ein kurzes 'Buh' auszustoßen, um anschließend die Suche fortzusetzen.

      An dieser Stelle war das Bild zu sehen, welches Kas Aufmerksamkeit geweckt hatte: Eine alte Lithografie mit der Abbildung eines kleinen, verschreckt dreinblickenden, hüpfenden Gespenstes. Als Ka sie betrachtete, musste sie unwillkürlich lachen.

      Unter der Lithografie ging der Text weiter:

      Durch die Schifffahrtsverbindungen nach Australien wurden Kunkurus auch in Europa verbreitet. Da die kleinen 'australischen Poltergeister' sich bevorzugt von Süßspeisen ernähren, haben sie sich seither vor allem in Speisekammern angesiedelt. Ein typisches Zeichen von Kunkuru-Befall ist das unerklärliche Verschwinden von Zuckerwerk und Kuchen.

      Am Rand stand eine handschriftliche Bemerkung in altdeutscher Handschrift, in Sütterlin. Sie hatten das altdeutsche Alphabet zwar in der Schule gelernt, aber nur sehr oberflächlich. Mühsam entzifferte Ka die Worte:

      'Die