Tuja Tiira

Bung I - Vampire, Vampire!


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Frisur zuzulegen oder andere Kleider anzuziehen, in letzter Zeit aber kaum noch. Dabei haben wir hier ganze Schränke voller Kleider. Wozu brauche ich da neue?"

      Beide ließen sie eine Weile nur ihre Beine baumeln und schauten in die Wolken, die langsam über den Himmel zogen, wahrscheinlich mussten sie auch zum Abendessen, dachte Ka kurz und musste wieder lachen.

      Auf einmal fühlte sie sich beobachtet, sie wusste nicht genau, warum. Lisa schien nichts bemerkt zu haben. Dann sah Ka auf der Kastanie im Garten ihrer Eltern eine Bewegung. Ein Mädchen kletterte den Baum hoch, es schien ihr leicht zu fallen, wie einer Katze, und dann sah sie herüber. Das konnte nur Sara sein. Sara machte irgendwelche Zeichen, aber Ka konnte nichts Genaues erkennen.

      "Können wir uns das Fernrohr aus der Bibliothek ausleihen und hier oben aufbauen? Da drüben auf dem Baum ist eine Freundin von mir und gibt uns irgendwelche Zeichen."

      "Das Fernrohr aus der Bibliothek darf ich nicht herumschleppen, es ist zu alt. Aber", Lisa dachte einen Augenblick lang nach, "hier oben liegt irgendwo auch noch ein Fernrohr. Warte einen Moment."

      Lisa verschwand zwischen einigen Schränken und anderem Gerümpel. Ka winkte Sara zu. Hinter sich hörte sie ein Krachen und Lisas Fluchen: "Hundekot, verdammter." Irgendetwas war umgekippt. Aber dann zwängte sich Lisa wieder zwischen den Schränken hervor, triumphierend schwenkte sie einen langen, runden Gegenstand über dem Kopf. Auch dieses Fernrohr in einer Lederschatulle war schon relativ alt. Lisa zog es vorsichtig aus der Hülle. Es sah aus wie die Fernrohre in alten Piratenfilmen. Das Messing glänzte fleckig im Sonnenlicht. Lisa zog das Fernrohr, das in zusammengeschobenem Zustand in der Lederschatulle aufbewahrt wurde, auseinander. Sie kniff ihre Augen zusammen. "Wo ist denn deine Freundin?"

      Selbst mit Brille schien sie nicht besonders gut zu sehen. Sie gab Ka das Fernrohr.

      Jetzt war Sara gut zu erkennen, sie lag mehr auf einem Ast, als dass sie stand. Saras Zeichen sollten wohl die Frage darstellen, ob sie auch herüberkommen sollte. Jedenfalls interpretierte Ka das so. Aber wie sollten sie ihr antworten? Sie fragte Lisa, ob Sara auch herüberkommen könnte. Lisa war sofort einverstanden, sprang auf und ab und wedelte mit den Armen. Ka war sich nicht sicher, ob Sara das verstehen würde, doch die war bereits dabei, vom Baum zu klettern.

      Dann konnte sie sie nicht mehr sehen, nur noch Blätter und Zweige von Bäumen und Büschen, welche die Sicht versperrten.

      Kurz darauf stand Sara schon unter der Luke und sah herauf. Lisa erklärte ihr den Weg zur Hintertür. Der Dachboden hatte noch einen unabhängigen Zugang zum Garten, eine schmale Holztreppe, die als Fluchttreppe im Brandfall angelegt worden war, aber in erster Linie zum Transport von Sachen auf den Dachboden genutzt wurde. Die Treppe mündete hinter einer der Türen auf dem rückwärtigen kurzen Gang, der zur Küche führte. Diese Treppe nahm Lisa jetzt, um Sara hereinzulassen. Kurz darauf kamen Sara und Lisa die Treppe wieder hinauf.

      Ka begrüßte Sara: "Hallo, Lisa wohnt hier, sie hat mir das Haus gezeigt. Es ist", sie zögerte kurz, "beeindruckend."

      "Hallo."

      Sara trat an den Rand der Luke. Selbst Sara, die schwer zu begeistern war, genoss den Ausblick. Doch dann drehte sie sich zu Lisa um. "Zeigst du mir auch das Haus?"

      Lisa zögerte kurz, doch dann siegte ihre Begeisterung darüber, noch jemandem alles zeigen zu können. Sara sah Ka an. "Kommst du mit?"

      Ka schüttelte den Kopf, sie dachte an die Spinnen. "Nein, macht nur, ich habe ja schon alles gesehen. Ich warte hier."

      Lisa zeigte Sara die Geheimtreppe im alten Holzschrank. Neugierig folgte Sara ihr.

      Ka ließ weiter die Beine baumeln und in ihrem Kopf tanzten Bilder umher. Zuerst dachte Ka an Sara.

      Sara war ihre einzige Freundin hier, sie kannte sie schon von früher, bevor sie hierhergezogen waren. Ihre Mutter hatte irgendwie beruflich mit Saras Großmutter zu tun und hatte Sara irgendwann angeschleppt, weil sie meinte, Sara bräuchte Freundinnen und ihre Tochter Ka sei da genau die Richtige. Außerdem ging Sara in dieselbe Schule. Ka war zuerst gar nicht angetan von der Idee. Doch sie hatte schnell gemerkt, dass Sara anders war, als sie auf den ersten Blick vermutet hatte. Mit ihren langen Haaren und dem schmalen Körper wirkte sie auf den ersten Blick verletzlich und zart. Doch genauso wie Ka bevorzugte Sara praktische und sportliche Kleidung, meistens trug sie wie Ka Hosen. Und obwohl Sara etwas kleiner und schmaler war als Ka, war sie schneller und konnte fantastisch klettern, außerdem entging ihr selten etwas. Und sie war unglaublich taff. Sie hatten zusammen einiges gemacht, was ihre Eltern besser nie erfuhren.

      So waren sie nachts nur mit einem Seil auf das Schuldach geklettert und hatten dort mit weißer Farbe 'Dauerurlaub für Frau Matuschek' hingeschrieben, nachdem die Mathematiklehrerin ihnen beiden eine Fünf verpasst hatte. Sara war irgendwie an der Regenrinne hochgeklettert und hatte dann das Seil zu ihr herunter geworfen, später hatte Sara das Seil wieder gelöst. Da sie zu den Jüngeren gerechnet wurden und Mädchen waren, hatte sie nie jemand verdächtigt.

      Für Sara war kein Zaun zu hoch. Und sie schien sich im Dunkeln am wohlsten zu fühlen. Nur mit der Angewohnheit, sich anzuschleichen, ärgerte sie Ka immer wieder. Mit ihren langen schwarzen Haaren und grünen Augen wirkte Sara manchmal auch etwas unheimlich, vor allem wenn sie sich wieder einmal angeschlichen hatte, und plötzlich hinter einem stand. Dazu kam, dass sie sich ab und zu völlig zurückzog und in sich verschloss. Sie konnte stundenlang schweigen. Wahrscheinlich lag das an Saras Leben mit ihrer Großmutter.

      Ihre Eltern waren bei einem Verkehrsunfall getötet worden. Sie wohnte in einem Haus etwas abseits in einer Gartenkolonie. Das Haus war eher eine ausgebaute Gartenlaube. Und die Großmutter war reichlich streng, insbesondere hatte Ka bemerkt, das sie Sara regelmäßig einschloss. Ungefähr alle vier Wochen war Sara nicht erreichbar und durfte dann auch einen Tag nicht zur Schule. Ka war einmal trotz des Verbots vorbeigegangen und hatte geklingelt. Die Großmutter hatte Ka an der Schulter gefasst und sie praktisch vom Grundstück geschubst.

      Angeblich war Sara krank, aber Ka glaubte das nicht. Sara selbst ging einfach weg, wenn sie danach gefragt wurde. Sie schien dann manchmal fast ängstlich, und das war Sara sonst nie. Ka kannte kein tafferes Mädchen als Sara.

      Inzwischen waren sie beide enge Freundinnen. Da Sara hier in der Nähe wohnte, sahen sie sich jetzt sogar öfter als früher. Geschwister hatte Sara keine. Sie selbst zum Glück auch nicht. Das hätte ihr noch gefehlt, dass sie sich um irgend so eine kleine Kröte kümmern müsste oder noch schlimmer ein großer Bruder, der versuchte, ihr Vorschriften zu machen. Darauf konnte sie gut verzichten. Obwohl, vielleicht wären Geschwister für Sara gar nicht schlecht gewesen, dann wäre sie nicht so allein.

      Doch ihre Gedanken an Sara wurden immer wieder von den Bildern des heutigen Tages überlagert. Ihr kam der Foliant in den Sinn, das 'Verzeichnis der Unterweltbewohner, Nachtwesen und Geister'. Was wohl ihre Eltern von so etwas halten würden? Sie war sich sicher, dass sie alles als Spinnerei abtun würden.

      Ihre Eltern waren beide extrem rational und pragmatisch, außerdem hatten sie eigentlich nie Zeit. Ihre Mutter arbeitete als theoretische Physikerin, abends saß sie oft noch am Computer, auf dem Bildschirm waren dann Kolonnen komplizierter Gleichungen zu sehen. Ihr Vater entwarf Windkrafträder und in seiner freien Zeit engagierte er sich auch noch beim BUND, dem Bund für Umwelt und Naturschutz, für den Schutz bedrohter Tierarten. Er hatte schon oft versucht, sie zum Mitmachen zu überreden. Zum Bau von Krötentunneln oder so was. Aber Kröten fand sie einfach nicht interessant. Die Wesen aus dem Verzeichnis, das war etwas anderes. In ihrem Kopf nahm langsam eine vielleicht verrückte, aber geniale Idee Form an. Jedenfalls fand sie selbst sie genial.

      Aber was würden die beiden anderen dazu sagen? Was dachte wohl Sara überhaupt über Vampire, Geister und Untote? Wahrscheinlich würde sie sie spöttisch auflaufen lassen und sich längere Zeit über Ka lustig machen.

      Als Lisa und Sara zurückkamen, wirkte Sara seltsam nachdenklich. Lisa hatte beobachtet, wie Sara unauffällig im Folianten geblättert hatte, um an einer Stelle zu verweilen, danach war sie seltsam still gewesen, auch im Keller. In einer solchen Stimmung hatte Ka sie bisher nur an den Tagen, bevor sie nicht zur Schule kam, gesehen. Ka blickte Sara an. "Na?"

      Sara