Charles Don Flores

Unbesiegt - Unschuldig in der Todeszelle


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sie die Geschworenen. Das waren die Nägel für meinen Sarg, der letzte Schlag, den mir der Staatsanwalt verpasste. Mit diesem Schlag schickte er mich in eine von Menschen gemachte Hölle voll von Folter und Gewalt, in den Todestrakt von Texas.

      Meine schwachen und unfähigen Verteidiger sagten nicht ein Wort, um diese tödlichen Schläge zu mildern. Sie standen auf und droschen einige bedeutungslose Floskeln. Einer von ihnen fragte sogar, ob man mein Leben nicht verschonen könnte, weil der folgende Tag Karfreitag wäre und das Osterwochenende bevorstünde. Sie suchten hilflos in ihren Notizen und klangen kläglich und schwach verglichen mit den Powerfrauen und -männern, die das Büro der Staatsanwaltschaft aufgefahren hatte, um mein Schicksal zu besiegeln.

      Mir war völlig klar, was kommen würde, als sich die Geschworenen zurückzogen, um über mein Schicksal zu entscheiden. Würde ich den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen? Oder würden sie zum Urteil kommen, dass ich nichts Menschliches an mir hätte, dass ich in Wirklichkeit ein tollwütiger Hund bin, den man beseitigen müsste. Das waren einige der Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, während ich zur Verwahrungszelle im Keller gebracht wurde. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich eingezwängt in dieser Zelle saß mit dem Schockgürtel, den Fußfesseln und den Handschellen. Die Wachen wollten sie mir nicht abnehmen. Sie sagten mir, dass ich ohne Zweifel zum Tod verurteilt werden würde und dass beim Umgang mit Todeskandidaten die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen anzuwenden seien.

      Wieder wurde ich mit meinen Gedanken allein gelassen. Der kleine Junge in mir schrie nur noch vor Entsetzen über das, was mit ihm geschah, traumatisiert von der unmenschlichen Behandlung. Alles, was er wollte, war ein Ende dieser schrecklichen Situation. Er spielte mit dem Gedanken einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen. Dieser kleine Junge stieß laut die Frage hervor, was er getan hatte, um eine solch schreckliche Behandlung verdient zu haben, aber ich weigerte mich, irgendjemandem auch nur die kleinste Spur von Schwäche zu zeigen.

      Ich versuchte mir vorzustellen, wie es im Todestrakt wohl sein würde. Welche Torturen würde ich dort ertragen müssen. Alles, was mir in den Sinn kam, war ein Gefängnis voll von lauter Hannibal Lecters, von Mördern und Verrückten ohne jegliche Hoffnung und dass ich um mein Leben und meinen Stolz täglich zu kämpfen hätte. In diesem Moment fasste ich den Entschluss, nie aufzugeben, was auch immer geschehen mochte. Ich wusste nicht, wogegen ich in der Zukunft kämpfen musste oder wer meine Feinde sein würden, aber ich würde bis zum letzten Atemzug kämpfen. Erst nach diesem Entschluss konnte der kleine Junge in mir Ruhe finden.

      Einige Stunden später kam das Transportteam und sagte mir, dass ich jetzt wieder in den Gerichtssaal zurückkommen müsste. Mir war klar, dass das ein schlechtes Zeichen war. Als ich ankam, warteten bereits meine zwei Anwälte auf mich. Sie waren überzeugt, dass ich zum Tod verurteilt werden würde. Sie meinten, ich solle stark bleiben und es wie ein Mann ertragen. Ich sagte nichts, während ich in ihre Augen sah. Ich hatte das ohnehin bereits entschieden, als ich noch im Keller mit meinen Gedanken allein gewesen war. Ich nickte nur und sagte, dass ich es schnell hinter mich bringen wollte.

      Die Geschworenen saßen bereits, als ich den Gerichtssaal betrat. Gleichzeitige drehten sie ihre Köpfe zu mir, um mich anzusehen. Ich starrte sie mit leeren Augen an, schaute niemanden und nichts an und ertrug es, wie meine Anwälte es gewünscht hatten, wie ein Mann. Der Richter fragte den Vorsitzenden der Jury, ob sie zu einem Urteil gekommen seien. Der Vorsitzende bejahte dies. Er stand auf und sagte: „Wir, die Geschworenen, befinden, dass Charles Don Flores eine ständige Bedrohung der Gesellschaft darstellt und sehen keine mildernden Beweise oder Umstände, die uns dazu bewegen würden, nur eine lebenslängliche Haftstrafe und nicht die Todesstrafe zu fordern.“ Dann befragte der Richter die Geschworenen und jedes Jurymitglied musste aufstehen und zu den Fragen „gesellschaftliche Bedrohung“ und „mildernde Umstände“ Stellung nehmen. Das Urteil war einstimmig. Einige der Jurymitglieder starrten mich mit hasserfüllten Augen an. Einige schauten mich überhaupt nicht an. Zwei Frauen weinten, während sie die Fragen beantworteten. Sie taten mir leid. Sie waren gezwungen worden, mich zum Tode zu verurteilen, und ich konnte sehen, wie es sie innerlich zerriss.

      Nachdem jedes Mitglied der Jury diese beiden Fragen beantwortet hatte, wandte sich der Richter an mich: „Mr. Flores, nachdem die Jurymitglieder die Frage „gesellschaftliche Bedrohung“ mit „Ja“ beantwortet haben und die nach den „mildernden Umständen“ mit „Nein“, fasst das Gericht hiermit den Beschluss, Sie im Namen des Gesetzes zum Tode zu verurteilen und verfügt, dass Sie in das „Texas Department of Criminal Justice (TDCJ)“ überführt werden. Dort werden Sie die bei einem Todesurteil vorgesehenen Revisionsstufen durchlaufen, die Ergebnisse dieser Revisionen abwarten und dann einen Termin für die Exekution durch tödliche Injektion erhalten. Diese stellt den Abschluss des Strafverfahrens dar. Bringen Sie ihn zurück in die Verwahrungszelle.“ Ich starrte ihn mit leerem Blick an und spürte nichts mehr. Es kam mir vor, als wäre ein Teil von mir schon gestorben. Umringt von Wachpersonal wurde ich aus dem Gerichtssaal entfernt. Ich wusste, dass ein Teil meines Lebens für immer verloren war und dass der Anfang vom Ende gerade begonnen hatte.

      Kapitel 2

      Die Todesfahrt

      Am 2. April 1999, dem Karfreitagmorgen, wurde ich vom Leiter des Gefängnisses und mehreren anderen Wärtern geweckt, die an meine Zelle hämmerten. Ich war erst am vorigen Tag zum Tode verurteilt worden und hätte nicht erwartet, dass sie mich jetzt schon wieder belästigen würden. Als ich meine Augen öffnete und sie um meine Tür versammelt sah, wusste ich nicht, was ich zu erwarten hatte. Die Wärter in den Bezirksgefängnissen waren immer nur im Rudel anzutreffen, alleine waren sie Feiglinge, die jeden Konflikt scheuten. Zu zweit, zu dritt oder zu mehrt hatten sie plötzlich Courage und verwandelten sich in eine Meute von Schakalen. Immer wenn ich vier oder fünf von ihnen sah, schärften sich meine Sinne und ich begann sofort, jede ihrer Bewegungen zu beobachten.

      Ihre Stimmen drangen an mein Ohr und ich konzentrierte mich darauf, irgendetwas aufzuschnappen, was mir helfen könnte zu verstehen, was vor sich geht. Wenn du mit Schakalen zu tun hast, weißt du nie, was du erwarten musst.

      Ich öffnete meine Augen, sah den Captain an und fragte ihn, was er wolle. Es war nicht normal, dass einer der Supervisors vor der Tür stand. Normalerweise lungern sie nur irgendwo herum, trinken Kaffee und essen Donuts. Der Captain meinte nur: „Steh auf und mach dich fertig! Du musst wieder vor Gericht.“ Ich hörte, was er sagte, und während ich auf meiner Pritsche saß, musste ich dies erst einmal verarbeiten. Irgendetwas schien an dieser Situation nicht in Ordnung zu sein. Ich fühlte mich unbehaglich bei diesen Worten und meine inneren Alarmglocken schrillten. Es gibt nichts Übleres als diese feigen Rassisten, berauscht von der totalen Macht, die sie über ihre „Schützlinge“ ausüben.

      Ich saß kurz nur da und sah sie an. Sie beobachteten mich durch das Drahtgeflecht, das jeder Zellentür als Fenster diente. Solange ich in meiner Zelle war, hatte ich einen Vorteil – sie waren draußen. Ein Jahr Erfahrung mit ihrer „Betreuung“ hatte mich gelehrt, jede Begegnung mit ihnen als potentiell tödlich einzustufen. Ich nutzte diese paar Sekunden, um vollständig aufzuwachen, sie gaben meinem Körper und meinem Geist die nötige Zeit, um die Situation vollständig zu erfassen. Dann fragte ich den Captain: „Ich muss wieder vor Gericht?“ Er bejahte nur und forderte mich auf, mich zu beeilen. Schnell wusch ich mein Gesicht und putzte meine Zähne. Ich war dankbar, dass ich diese Grundbedürfnisse erledigen durfte. Es gab Zeiten, wo sie an der Tür erschienen, mich aus der Zelle jagten und mir nicht erlaubten dies zu tun. Heute durfte ich. Sie waren nervös. Ich konnte die Spannung in der Luft spüren. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie sich heute um einen reibungslosen Ablauf der Dinge bemühten. Im Stillen fragte ich mich warum.

      Tags zuvor war ich zum Tode verurteilt worden. Auf irgendeine Weise war ich froh, dass dieser Teil des Albtraums vorüber war. Ich dachte an das Telefongespräch mit meiner Familie am letzten Abend, wie ich sie gebeten hatte, sich keine Sorgen um mich zu machen und dass es mir gut ginge. Ich hatte ihnen erzählt, dass ich vermutlich noch ein paar Wochen mehr im Bundesgefängnis bleiben würde, bevor mich das TDCJ abholen würde, um mich in den Todestrakt zu transportieren. Ich freute mich auf diese Zeit der Einsamkeit. Ich plante, mich mental auf den Trip in die Hölle vorzubereiten, den ich bald beginnen sollte. Ich versicherte mir selbst, dass alles mit ein paar