Charles Don Flores

Unbesiegt - Unschuldig in der Todeszelle


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an dem ich saß, konnte ich den Tachometer sehen. Als wir uns schließlich unseren Weg durch den Verkehr auf dem Highway 1-45 bahnten, begannen wir quasi abzuheben. Ich sah, wie der Wagen zuerst die 150, dann auch die 160, 170 und 180 km/h überschritt! Es war mir klar, dass der Deputy, der den Wagen fuhr, das Gaspedal bis zur Bodenplatte durchdrückte, um zu fahren, was der Wagen hergab. Ich hielt alles geduldig aus. Zum Glück war der Highway flach, lang und gerade. Ich konnte die Straße vor dem Wagen sehen und war froh, dass an diesem Morgen nicht mehr Verkehr war. Wenn uns ein Auto im Weg war, betätigte der Fahrer die Sirene, damit das Auto auswich. Wir blieben bei einer Geschwindigkeit von etwa 180 km/h und ich rechnete aus, dass wir es nach Huntsville in weniger als drei Stunden schaffen würden. Ich war schon damit zufrieden die Strecke in einem Stück zu überstehen.

      So fuhr ich im hinteren Teil des Wagens zusammen mit dem Deputy, der nie den Blick von mir nahm. Als wir den Highway 1-45 hinunter rasten, fing ich an, über die Bedeutung dieser Verlegung nachzudenken. Ich hatte immer gedacht, dass ich erst mein inneres Gleichgewicht finden müsste, um auf diese Veränderung mental vorbereitet zu sein. Nun war diese Möglichkeit vorbei. Ich würde im texanischen Todestrakt gegen Abend ankommen und mit der Ungewissheit über das, was mich dort erwartet, musste ich halt fertig werden. Ich fühlte mich, wie wenn ich einen 500 Pfund schweren Gorilla auf meinem Rücken hätte. Wenn ich gezwungenermaßen in einer solch ungewissen Situation stecke, ist das immer so. Wenn ich keine Tatsachen kenne, aus denen ich irgendwelche Schlüsse ziehen kann, umgibt mich die Ungewissheit wie eine dunkle, bedrückende Wolke. Sie will meine Kraft und Entschlossenheit schwächen und mich in die Hysterie stürzen.

      Dies waren einige meiner Gefühle und Gedanken auf dem Weg zum Todestrakt. Die Ungewissheit war das Allerschlimmste – nicht zu wissen, was mich erwartete, wie die Dinge im Todestrakt liefen, bereitete mir riesiges Kopfzerbrechen auf dieser Fahrt. Ich versuchte, mir die Entscheidung, die ich am vorigen Tag getroffen hatte, wieder gegenwärtig zu machen. Was auch immer passieren sollte, ich würde nie aufhören für mein Leben zu kämpfen. Was ich auch immer sehen, welchen Beleidigungen ich ausgesetzt sein sollte, sie würden nie meinen Geist brechen können. Das vergangene Jahr über hatte ich gelernt, manchen Schlachten aus dem Weg zu gehen und nur dann zu kämpfen, wenn ich eine Chance hatte zu gewinnen, und ich nahm diese hart erlernte Lektion mit. Ich fühlte mich kräftig genug und der Gedanke an eine körperliche Auseinandersetzung machte mir keine Angst. An diesem Punkt in meinem Leben begrüßte ich tatsächlich den Gedanken an solche Dinge, wenn es doch nur ein faires Schlachtfeld gewesen wäre. Wenn ich nicht all diese körperlichen Hindernisse an meinem Körper hätte, wenn meine Chancen etwas besser wären, dann hätten sie bestimmt alle Hände voll zu tun.

      Wenn ich jetzt zurückblicke, ist mir klar, dass die unmenschliche Behandlung, die Tortur und der Missbrauch, denen ich während meines Aufenthalts im Bundesgefängnis ausgesetzt war, meine Gedankengänge verdreht hatten. Ich hielt alles für eine potentielle Bedrohung. Ich wollte nie wieder eine Situation falsch einschätzen. Ich hielt alles für einen Kampf um Leben und Tod. Nun bin ich mir bewusst, dass sie mich in dieser Phase meines Lebens zu unmenschlichen Gedanken und Verhaltensmustern gebracht hatten. Die Umwelt, in der ich gezwungen war zu überleben, hatte mir das angetan, aber ich habe das Beste aus allem gemacht, fest dazu entschlossen zu überleben. Dieser Gedanke ging nicht aus meinem Kopf: „Was mich nicht umbringt, macht mich nur härter.“ Ich war stärker als je zuvor. Im Bezirksgefängnis hatten sie mit allen Mitteln versucht, meinen Geist zu brechen, aber sie hatten versagt.

      Jetzt, da mir dieser Sieg bewusst wurde, gab er mir Kraft und Hoffnung. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr hieß ich die Veränderung willkommen. Ich umarmte die Ungewissheit. Ich freute mich auf den Todestrakt und somit umarmte ich den Tod selbst. Ich wusste ein wenig über den Todestrakt in Texas. Ich wusste, dass ich dort die Möglichkeit haben würde fernzusehen und ein Radio und andere persönliche Dinge anzuschaffen: Kleidung, Socken, Hosen, Boxershorts und T-Shirts zu kaufen und ich freute mich auf diese Dinge, die ich als Privilegien ansah. Ich stellte mir vor, im Todestrakt wieder einige Sonnenstrahlen genießen zu können. Auf diese Weise wurde meine Besorgnis zur aufgeregten Vorfreude.

      All diese Gedanken gingen mir auf der Fahrt nach Huntsville durch den Kopf. Ich hielt meinen Blick auf den Highway gerichtet. Auf vielerlei Weise war dies die längste Fahrt meines Lebens, andererseits war es auch nur ein Tropfen im Meer der Zeit.

      Instinktiv begann ich das Beste aus der Sache zu machen und ich tat dies, ohne dass es mir bewusst war. So begann ich mir eine der wichtigsten und wertvollsten Lektionen beizubringen. Ich lehrte mich, meinen Verstand in dieser von Menschen erschaffenen Hölle, namens Todestrakt Texas, zu bewahren. Ich wusste, dass wir in den Freeway nach Huntsville einbogen und ich saugte alles, was es zu sehen gab, mit meinen Augen auf. Nach einer kurzen Fahrt durch die Stadt kamen wir in der Diagnostic Unit, dem Bürokomplex, an. Ich wusste, dass ich mich an der Türschwelle zur Hölle befand, dass ich im Begriff war, die Höhle des Löwen zu betreten.

      Kapitel 3

      Willkommen im Todestrakt

      Die Diagnostic Unit ist ein riesiger Gefängniskomplex, der für die Datenverarbeitung von Leuten errichtet worden war, die verurteilt waren, für eine gewisse Zeit im Gefängnis zu sitzen. Wir fuhren hinauf zum hinteren Eingang dieser Einrichtung. Die TDCJ-Wachleute, die diesen Eingang bewachten, suchten die Unterseite des Wagens ab. Danach durchsuchten sie den Wagen. Erst nachdem sie dies getan hatten, öffneten sie das Tor und ließen uns weiterfahren. Der Deputy fuhr den Wagen bis zu einem Eingang auf der Rückseite des Gebäudes und ich wusste nicht, was mich erwartete. Ich saß regungslos im Auto, gespannt wie eine Stahlfeder, und bereitete mich auf das Schlimmste vor. Als wir geparkt hatten, kamen vier TDCJ Wachen aus dem Gebäude, um den Wagen in Empfang zu nehmen. Sie unterhielten sich kurz mit den Deputys, dann öffnete sich plötzlich die Hintertür des Wagens.

      Zu meiner Verwunderung stieg ein hagerer Wachmann zu mir hinten in den Wagen. Er setzte sich neben mich und sagte zu mir: „Insasse Flores, Sie befinden sich nun in TDCJ Gewahrsam. Hier werden Sie in Kürze auf ihrem Weg in den Todestrakt sein. Ich werde Sie hineinbringen und Ihnen diesen Schockgürtel abnehmen. Ich werde Sie wie einen Mann behandeln, wenn Sie sich auch wie einer benehmen“. Ich antwortete nichts. Ich starrte in seine Augen und hörte zu, was er mir mit seinem schleppenden osttexanischen Akzent sagte. Dann fragte mich der hagere Wachmann: „Haben Sie schon was gegessen“? Ich antwortete: „Nein“. Er sagte: „Sobald ich wieder drinnen bin, gebe ich der Küche Bescheid und Sie kriegen einen kleinen Mittagssnack.” Ich wusste, dass er freundlich zu mir war, weil er mich beruhigen wollte, damit ich die ganze Prozedur über mich ergehen lasse und keinen Ärger mache, aber ich zeigte ihm nicht, dass ich ihn durchschaute. Als er aus dem Wagen stieg, forderte er mich freundlich auf auch auszusteigen. Ich tat dies und stieg langsam aus, bis ich auf meinen eigenen zwei Beinen stand. Umringt von Wachpersonal machte ich mich langsam auf den Weg über eine Treppe in das Gebäude.

      Mühsam schleppte ich mich hoch und sah die Übergangszellen, die die Wände des riesigen Raumes säumten. In einigen der Zellen befanden sich Männer, die darauf warteten abgeholt zu werden, während andere leer waren. Der hagere Wachmann öffnete schnell eine leere Zelle und forderte mich auf hineinzugehen, was ich brav tat. Wärter betraten die Zelle und entfernten mir die Handschellen und alle übrigen Fesseln. Der hagere Wachmann forderte mich auf, mich auszuziehen und ich zog meinen Pullover aus und übergab ihn dem Wachmann. Er nahm ihn mir ab und gab ihn wiederum an die Dallas Deputys weiter. Sie sammelten ihre „Fesselutensilien“ auf und verschwanden für immer aus meinem Leben.

      Ich wusste, der spindeldürre Wachmann gebrauchte die sogenannte sanfte Tour, um mit mir fertig zu werden. Ich war sicher, die Deputys hatten ihm über mich erzählt und wozu ich ihrer Meinung nach fähig wäre. Diese Methode fand ich eigentlich ganz OK. Er wollte mich so schnell wie möglich in das TDCJ System kriegen und ich war damit einverstanden. Je früher desto besser. Der hagere Wachmann verließ die Zelle für ein paar Minuten und als er wieder zurückkam, hielt er ein paar Klamotten für mich in der Hand. Ein weißes Hemd, eine Hose, Boxershorts und ein paar graue Socken. Ich zog mich schnell um. Der hagere Wachmann stand neben der Zelle und sagte: „Sie sind ein Todestrakt-Häftling, also das höchst mögliche Sicherheitsrisiko. Aber wir beabsichtigen, Sie so schnell wie möglich hier durchzubringen. Wir können Sie bis heute Abend im Todestrakt haben.