Charles Don Flores

Unbesiegt - Unschuldig in der Todeszelle


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die Bank in meiner „Transferzelle“.

      Ungefähr 30 Minuten später kam der hagere freundliche Wachmann zu meiner Zelle mit einer Papiertüte zurück und gab sie mir. Ich wusste, dass er nicht mein Freund war. Ich wusste, dass seine Arbeit Vorrang hatte. Er würde ihnen helfen, mich zur Exekution zu schleifen, wenn es sein Vorgesetzter von ihm verlangte. Ich machte mir keine Illusionen, aber obwohl mir das klar war, nahm ich die Tüte als eine Art Angebot entgegen. Ich dachte, dass ich so ohne größere Schwierigkeiten die Diagnostic Unit verlassen könnte. In der Tüte waren ein Wurst- und ein Käsebrot, ein paar Rosinen und ein Viertel Liter Milch. Es war das erste Essen, das ich zu mir nahm seit 24 Stunden, und in diesem Augenblick schmeckte es himmlisch. Der Hunger ist halt doch der beste Koch. Ich saß auf der Bank und genoss mein Essen. Kurze Zeit später teilte mir der hagere Wachmann mit, dass es Zeit wäre für die Aufnahmeformalitäten.

      Wir gingen zu einem anderen Teil des Gebäudes in dem acht Friseurstühle standen. Ich musste mich hinzusetzen und mir die Haare schneiden zu lassen. Alle „Friseure“ waren eigentlich weiß angezogene Häftlinge. Im TDCJ, dem Texas Department of Criminal Justice, schneiden sie die Haare mit elektrischen Rasierern. Es gibt keine Scheren. Scheren könnten ja als Waffe eingesetzt werden. Nachdem ich mich hingesetzt hatte, fragte man mich, wie ich meine Haare gerne schneiden lassen wolle. Ich sagte ihm, dass er alles wegrasieren solle. Ich wollte eine Glatze. Meine Haare waren ziemlich lang und ich war froh sie loszuwerden. Auf der anderen Seite des Raumes gab es ein Duschbereich.

      Duschköpfe ragten alle zwei Meter aus der Wand und es gab Duschgestelle, die mitten im Raum standen. Sie waren ungefähr zwei Meter hoch und hatten jeweils vier Duschköpfe, die nach außen spritzen, damit vier Männer gleichzeitig duschen konnten. Keine Privatsphäre weit und breit, keine Wände trennten den Duschbereich. Hier konnten 40 Menschen auf einmal duschen. Ich war damals alleine, als ich duschte, und tat es so schnell ich nur konnte. Im Nu war ich geduscht und hatte mich angezogen und wir waren schon auf dem Weg zur nächsten Station.

      Mich begleiteten nun zwei Wärter. Wir gingen durch eine dicke Stahltür in die Haupthalle und ohne jegliche Vorwarnung brüllte der hagere Wachmann plötzlich aus voller Kehle: „TODESTRAKT HÄFTLING KOMMT DIE HALLE ENTLANG!! ALLE MANN HÄNDE AN DIE WAND!!” Alle blieben erst wie angewurzelt stehen, drehten ihr Gesicht zur Wand und legte die Handflächen an die Wand als wir vorbeigingen.

      Kurz darauf erreichten wir eine Büroabteilung des Gefängnisses. Sie führten mich in die Abteilung und setzten mich vor einen Schreibtisch aus Holz. Ein Mann in einem modischen Outfit aus Hemd und Hose (in Zivil) saß auf der anderen Seite des Tisches und stellte mir allerlei Fragen. Er fragte mich über meine Familie, wer meine Eltern, Schwestern und Brüder sind; wollte etwas über die Geschichte meiner Familie wissen und fragte mich wo ich geboren bin, wo ich aufgewachsen bin, welche Schulen ich besucht hatte, solche Dinge halt. Er wollte auch noch wissen, welcher Religion ich angehöre und ob ich jemanden auf die Besucherliste setzen wolle. Am Ende der Befragung fragte er mich, ob ich irgendwelche Tätowierungen oder Narben hätte. Jeder schien es an diesem Tag eilig zu haben. Ich erfuhr auch bald den Grund dafür: Es war Karfreitag und der damalige Präsident George W. Bush hatte diesen Tag zum Feiertag erklärt, was allen staatlichen Mitarbeitern einen halben freien Tag bescherte. Soso, sie wollten alle um 12 Uhr mittags nach Hause gehen - deswegen (es war fast mittags) war die Befragung so schnell vorbei. Danach machten sie Fotos von mir und wie ein Wirbelwind war ich in Rekordzeit wieder aus dem Büro draußen. Kaum hatte es angefangen, war es auch schon wieder vorbei und ich schon wieder auf dem Weg in meine Aufenthaltszelle. Das war O.K. für mich. Ich war mir sicher, dass dieses System nicht immer so gründlich arbeitete. Ich schätzte mich glücklich, dass ich so schnell drinnen und wieder draußen war. Ich denke, ich sollte George W. Bush dafür danken.

      Ich durchlief also dieses Verfahren und machte keine Schwierigkeiten. Es war auch zu meinem Vorteil. Ich verzog keine Miene, ich war weder unhöflich noch zu höflich. Das war alles, was ich der Welt damals zeigen wollte. Im Inneren war ich bis zum Äußersten angespannt und rechnete immer mit dem Schlimmsten, aber ich war fest entschlossen es durchzustehen. Ich wusste, das alles war nur ein kleines Zwischenspiel auf meiner Reise zum Todestrakt. Ich war bereit zu kämpfen - mit wem auch immer, wo auch immer. Ich spürte den Kämpfer in mir, meinen Warrior Within, der sich hinter meiner regungslosen Fassade versteckt hielt. Dieser Gedanke spornte mich an und setzte explosionsartig Adrenalin in meinem Körper frei. Ich wusste, ich war bereit dem Schlimmsten zu begegnen. Der hagere Wachmann und sein Partner brachten mich zurück zu meiner Aufenthaltszelle und der hagere ließ verlauten: „Ich werde jetzt dem Todestrakt Bescheid geben. Die werden in einer Weile hier sein und dich abholen.” Ich nickte und setzte mich wieder auf die harte kalte Eisenbank, lehnte mich gegen die Wand und schloss meine Augen.

      Während ich so da saß, wurde mir klar, dass ich das Ende der Fahnenstange erreicht hatte, ich hatte den Hals praktisch schon in der Schlinge, aber ich zwang mich zu denken, es gäbe keinen Grund sich Sorgen zu machen und das redete ich mir pausenlos ein. Diese verrückte Stimme in meinem Kopf sagte mir: „Kämpfe wie ein wildes Tier!” wieder und immer wieder. „Lass dich niemals von ihnen unterkriegen, lass sie deinen Geist niemals brechen! Lass sie für jeden Schlag, den sie landen, bezahlen!” Das waren die Gedanken, die mir durch den Kopf schwirrten. Ich hoffte auf das Beste und erwartete das Schlimmste. Das ist die einzige Möglichkeit, um seine Strafe abzusitzen, ohne den Verstand zu verlieren. Die traumatischen Ereignisse, die ich im Bezirksgefängnis durchlebt hatte, waren immer noch so frisch und ich war noch so kindisch, ungestüm und wild in meinen Gedanken und meiner Natur. Es war mir einfach alles scheißegal. Ich war damals wild entschlossen allen, die mich in den Todestrakt geschickt hatten, zu beweisen, dass ich bis in die letzte Faser das Tier war, für das sie mich hielten und wollte dabei so viel Schaden anrichten, wie ich nur konnte. Ich glaubte, dass es für mich keine Hoffnung mehr gäbe. So sehr hatte die unmenschliche Behandlung im Bezirksgefängnis meine Psyche beeinflusst. Meine Gedanken waren gefühlskalt und tödlich geworden und ich wollte auf jeden von ihnen losgehen. Das habe ich gemeint, als ich sagte, dass ich meinen Geist und meinen Körper darauf vorbereitete mit dem Feind zu kämpfen.

      Es kam mir vor, als ob meine Augen nur für ein paar Sekunden geschlossen gewesen wären, als sich plötzlich die Hintertür in dem Gebäude öffnete. Als ich nachschaute, sah ich, dass das Transportteam da war, um mich zu meinem neuen „Zuhause“ zu bringen, in den texanischen Todestrakt. Ich wurde erneut in Handschellen gelegt und bekam eine Kette um den Bauch verpasst, die an den Handschellen befestigt wurde, was mich zwang gebeugt zu gehen. Ich gab keinen Ton von mir, als sie mir diese unsäglichen Dinger so fest anlegten, dass kein Blut mehr in meine Hände fließen konnte. Ich betrachtete mich selber als einen „dead man walking“, als einen, der zwar noch herumlief, aber praktisch schon tot war, und es war mir scheiß egal. Sie führten mich aus meiner Übergangszelle heraus und ich ging langsam die Treppen hinunter zum TDCJ Transporter, sie öffneten die hintere Tür des Wagens und ich kroch mühsam hinein.

      Ich platzierte mich auf der Eisenbank, die mit dem Boden des Vans verschraubt war, und war bereit für die Abfahrt. Wir verließen das Gefängnisgelände und nahmen einen Weg, der uns durch ein ländliches Gebiet im Osten von Texas führte. Ich saß so verdreht da, dass ich aus dem Fenster schauen und alles mit meinen Sinnen aufnehmen konnte. Es kam mir alles irgendwie surreal vor: die Bäume, die Sträucher und das Gras neben der Straße. Ich war ein Jahr lang in diese Zelle im Bezirksgefängnis eingesperrt gewesen und hatte vergessen, wie es ist, in einem Auto zu fahren und die Landschaft zu genießen, ohne dass jede kleinste deiner Bewegungen beobachtet wird.

      Die Fahrt dauerte ungefähr eine halbe Stunde und ich spürte, dass der Wagen langsamer wurde und der Fahrer in eine geteerte Nebenstraße einbog. Ich versuchte nach vorne zu sehen, um herauszukriegen, wo wir hinfuhren. In der Ferne sah ich Stacheldraht auf einem hohen Maschendrahtzaun. Es lief mir eiskalt über den Rücken. Hier war ich - an der Türschwelle zum Todestrakt. Als wir uns dem Gefängnis näherten, sah ich ein großes weißes Schild, auf dem mit schwarzen Buchstaben geschrieben stand: „WILLKOMMEN IM TODESTRAKT DER SEKTION ELLIS I.“ Als ich das Schild las, kam es mir vor, als ob die Behörden damit protzen wollten, dass hier der Todestrakt liegt. Sie waren stolz darauf, dass sie den Todestrakt Texas unter ihrem Kommando hatten. Die ganze Zeit fuhr der Wagen weiter, um den Gebäudekomplex herum, bis wir schließlich am Hintereingang des Gefängnisses anhielten. Nachdem