R. R. Alval

Homo sapiens movere ~ geschehen


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zum Graben auf der anderen Seite hinauf zu fahren, verwarf ich noch ehe ich sie aussprach. Genau wie der hinter uns liegende Abhang war sie zu überwuchert. Roy gab mir ein Zeichen, dass ich zu ihm an den Lenker kam. Auf drei schoben wir.

      Verflixt!

      Das Ding war scheiße schwer. Ich hatte das Gefühl mich gegen einen Baum zu stemmen. Dabei kamen wir ein paar winzige Zentimeter voran. „Ein Seil hast du zufällig keins dabei, oder?“ Zweifelnd zog ich meine Augenbrauen in die Höhe.

      Woher hätte ich wissen sollen, dass die verfickte Straße weg war?

      „Du sagst, du kennst dich mit alten Maschinen aus. Könntest du bei der hier mit ein wenig Fingerspitzengefühl ebenso gut agieren?“ Konnte er überhaupt fahren? Roys Stirnrunzeln war irgendwie… Nein! Es war nicht sexy.

      Er war der Freund… der Exfreund meiner Freundin. Meiner… hoffentlich irgendwo sicheren Freundin.

      Schnell stopfte ich den Gedanken in eine Schublade im hintersten Teil meines Gehirns. Damit musste ich mich später beschäftigen. „Erster Gang, Standgas. Da kackt sie bestimmt ab. Aber wenn du ein klein wenig Gas gibst…“ Roy nickte. „Ein Versuch kann nicht schaden. Wieviel PS hat das Teil?“ Ich sagte es ihm, was ihn anerkennend pfeifen ließ. „Ordentlich. Einen Tick zuviel Gas und die Lady geht auf die Hinterbeine.“ So sah es aus.

      Roy startete.

      Legte den Gang ein. Nickte mir zu, so dass ich den Lenker ebenfalls ergriff. Vorsichtig gab er Gas. Es funktionierte. Irgendwie. Trotzdem war es beschwerlich, denn der Untergrund bot nicht genügend Angriffsfläche für die Räder. Wir fluchten zeitgleich. Bissen die Zähne zusammen. Anerkennend musste ich feststellen, dass Roy das Gas selbst unter diesen Umständen genauestens unter Kontrolle hatte. Kein einziges Mal bockte die Maschine. Endlich standen wir wieder auf ebener Fläche. Beide keuchend. Allein hätte ich dieses Hindernis nie und nimmer überwältigen können.

       Entschuldige Paps. Aber manchmal ist eine zweite Person durchaus hilfreich.

      Trotz der Kälte standen uns Schweißperlen auf der Stirn. „Kannst du notfalls hier fahren?“ Mit ‚hier‘ meinte Roy den schmalen Streifen zwischen Zaun und Abgrund. „Wenn einer von uns die Knie riskieren möchte, klar.“ Ebenso gut hätten wir im Graben fahren können. Nur wurde der weiter hinten von einigen Betonröhren unterbrochen. Durch die passten wir auf keinen Fall hindurch; höchstens gefaltet und gebügelt. Ganz zu schweigen von den auch dort überall wuchernden Minibüschen und Ranken. „Warum?“ Roy nickte kaum wahrnehmbar mit dem Kopf zur Seite. „Wir haben Besuch.“ Ich sah in die Richtung, aus der wir vorhin das Geräusch gehört hatten. Tatsächlich stand dort ein Hund. Ein… sehr großer Hund. Zumindest hoffte ich, dass es einer war. „Sag mir bitte, dass das ein Hund ist.“, flüsterte ich. „Ein Wolf.“ Yippieieh! „Bei uns gibt es keine Wölfe.“ Roy verdrehte die Augen. „Sag mir was Neues, Klugscheißer. Bei uns gibt es auch keine Monster, richtig?“ Ich schluckte.

      Für einen Hund war das Tier zu groß. Für einen Wolf… äh… auch. Sowohl zu groß, als auch zu muskulös. Wolf auf Steroiden? Wovon zum Geier ernährte der sich? Er war fast so groß wie ein Kalb!

      Mein Herz raste augenblicklich auf Hochtouren. Glücklicherweise blieb der Hund… Wolf auf Abstand. Er schien uns lediglich zu beobachten. Interessiert. Hoffentlich war der nicht hungrig.

      Während Roy sich um den Zaun kümmerte – mit derselben Methode wie vorhin – ließ ich das Vieh nicht aus den Augen. Das machte weiterhin keine Anstalten uns zu nahe zu kommen. Stattdessen legte es sich hin; den Kopf auf die riesigen Pfoten. Trotzdem tastete ich nach dem Messer, das ich an meinen linken Unterarm geschnallt hatte. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste.

      Der Wolf knurrte. Blieb jedoch liegen. Wusste er, dass ich ein Messer trug? Das war irrsinnig. Andererseits: Wenn es kein echter Wolf war? Sondern ein… Werwolf?

      Haha! Die Vorstellung war kein bisschen amüsant.

      Wölfe jagten in Rudeln, falls ich mich recht entsann. Traf das auch auf Werwölfe zu? Wo war dann der Rest? Hinter uns? Vor uns? Ich schluckte. Wandt meinen Blick kurz zu Roy. Der war fast fertig. Die eine Hälfte des Zauns war von Weiß überzogen, die andere Seite von einem glühenden, tropfenden Rot. Einige der Tropfen trafen seine Haut. Er nahm das offensichtlich nicht wahr. Ein heißes Händchen und ein… nun ja… eiskaltes Händchen. Ich kicherte dümmlich. Wahrscheinlich gingen meine Nerven langsam mit mir durch. Kein Wunder nach den letzten Stunden, die wahnsinniger und blutrünstiger kaum sein konnten. Außerdem lag nur wenige Meter von mir entfernt ein riesiger Köter, der vermutlich nur nach einem Zahnstocher Ausschau hielt. Um damit später unsere Überreste aus seinen Zähnen zu puhlen.

      Wieder glitt mein Blick zu dem Wolf.

      Der gähnte. War ihm langweilig? Bitte, lass ihn müde sein. Ein kleines Nickerchen machen. Bis wir Kilometerweit weg sind. Das Scheppern des Metalls riss mich aus meinen Überlegungen. Der Wolf erhob sich. Lauernd. Abwartend. Würde er uns anspringen?

      Jetzt?

      Mein Herz klopfte noch einen Tick schneller. „Spring auf. Ich fahre.“ Normalerweise hätte ich Einwände. Niemand fuhr meine Maschine. Aber eine Diskussion würde Zeit kosten. Zeit, die uns das nette, kleine Hündchen möglicherweise nicht ließ. Also stieg ich auf, nahm den Helm, den Roy mir reichte, während er bereits den Motor startete und krallte mich an ihm fest. Den Wolf behielt ich im Auge.

      Roy fuhr los.

      Das Vieh kam ebenfalls auf die Beine und rannte neben uns her. Keinen Moment seinen Abstand verringernd oder vergrößernd. Ein zweifelhafter Weggefährte. Und verdammt viel schneller als ein normaler Wolf sein sollte. Ich konnte zwar nicht über Roys Schulter lugen, doch ich bezweifelte, dass er langsamer fuhr als achtzig.

      Wir kamen zügig voran. Zumindest die zehn Kilometer bis zur nächsten Stadt. Die – theoretisch – vorhandene Straße führte um diese herum. Der Radweg leider nicht. Zu allem Übel sah die vor uns liegende Stadt kein bisschen besser aus als unsere. Oder wenigstens das, was wir von hier aus sahen. Der Himmel war dunkel von Asche und Rauch. Diverse Metallteile, die möglicherweise zu Helikoptern gehörten, lagen überall verstreut. Ausgebrannte, teilweise noch brennende Autowracks taten das Übrige, um das makabre Szenario zu vervollständigen. Roy hielt an. Der Wolf neben uns ebenfalls. Immer noch blieb er auf Abstand. Ich traute diesem Frieden ganz und gar nicht.

      Was wollte das Vieh?

      Schauen, ob wir in müdem Zustand besser schmeckten?

      „Halt dich gut fest.“ Eine zweite Warnung bekam ich nicht. Roy fuhr los. Runter vom Radweg und über das größtenteils unversehrte Feld, dessen Boden glücklicherweise knochenhart war. Es glich trotzdem einem Hindernislauf. Die harten Erdbrocken erschwerten die Strecke. Himmel, Arsch und Zwirn! Mein Hinterteil und mein Motorrad waren für sowas ungeeignet. Eigentlich. Roy jedoch handhabte das schwere Gefährt beinah mühelos. Er nahm seine Beine zu Hilfe; hielt uns damit im Gleichgewicht. Hier erlebte ich einen Crossfahrer in Aktion.

      Voll der Wahnsinn!

      Anfangs ängstlich, sorgte das Adrenalin bald dafür, dass ich die waghalsige Fahrt lachend genoss. Sollte Roy mich doch für verrückt halten. Trotzdem klammerte ich mich fast schmerzhaft an ihm fest. Mich wunderte, dass er noch nicht ächzte. Waren seine Rippen noch heil? Andererseits – Roy war ziemlich gut gebaut. Muskulös. Nicht so sehr wie mein Paps, aber ausreichend. Genau richtig für Frauen mit schwacher Libido – zu denen ich nicht zählte.

      Aus den Augenwinkeln bemerkte ich den Wolf. Er hielt immer noch mit uns mit. Später, sagte ich mir, können wir uns Sorgen machen. Erstmal mussten wir ein Stück vorankommen. Solange uns keine Barrieren im Weg lagen oder unüberwindbare Löcher aufhielten – oder das Feld plötzlich verschwand – klappte das ganz gut.

      Roy stoppte. Stirnrunzelnd sah ich an ihm vorbei. Und fluchte. Schöne Scheiße. An die Wesen, die sonst nur in Alpträumen existierten, seit ein paar Stunden jedoch zur Realität gehörten, hatte ich natürlich nicht gedacht. „Die sind nicht ganz so schnell wie die Schönen. Trotzdem werden sie in fünf Minuten hier sein. Was nun?“