R. R. Alval

Homo sapiens movere ~ geschehen


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schaltete mein Hirn jedoch auf Durchzug. „Na dann, festhalten.“ Roy änderte die Richtung und gab Gas. Unnötig zu sagen, dass wir beide hofften diese schauderhaften Wesen abzuhängen. Der riesige Wolf lief nun dichter bei uns. Allerdings – auffällig genug – zwischen uns und den Monstern.

      Ich war mir unsicher, ob ich das als gutes Zeichen werten sollte. Im Moment war ich jedoch viel zu sehr damit beschäftigt den kürzer werden Abstand zwischen den Wesen und uns nicht zu beachten. Mich fester an Roy zu klammern. Mich so leicht wie möglich zu machen, damit er besser manövrieren konnte. Fakt war, die Viecher holten auf. Anfangs waren wir vor ihnen gefahren. Inzwischen fuhren wir quer zu ihnen.

      Zumindest noch.

      Eine Katastrophe wäre es, wenn es denen gelang uns einzukesseln. Allein daran zu denken kostete mich Jahre meines Lebens. Zu allem Übel wurde Roy nun wieder langsamer. Waren da noch mehr von den Viechern? „Fahr!“, wies ich ihn an. Roy stoppte, als der Motor zeitglich ein letztes Husten von sich gab. „Ich sag es nur ungern, Süße… aber wann hast du zuletzt getankt?“ So eine gequirlte Scheiße aber auch!

      Jegliche Farbe lief mir aus dem Gesicht. Vielleicht war sie auch vorher schon verschwunden. Jetzt jedoch fühlte ich es. Noch immer waren uns die Monster auf den Fersen.

      Wir stiegen hastig vom Motorrad. Roy packte mein Handgelenk. Zusammen rannten wir los.

      Hah!

      Als ob wir auf die Art eine Chance hatten.

      Schon nach wenigen Metern keuchte ich. Das unebene Feld war nicht geeignet zum Wegrennen. Nur blieb uns kaum eine andere Wahl… es sei denn, wir wollten zerrissen, gefressen oder einfach überrannt werden.

       Wir könnten uns eingraben…

      Der Wolf war neben uns, knurrte in unsere Richtung. Dann fiel er langsam zurück. Mich umzudrehen kam nicht in Frage. Ich würde stolpern.

      Als nächstes wäre ich tot.

      Sowas passierte immer in Horrorfilmen. Ich wusste, was hinter mir war. Und es reichte, dass ich das Knurren hörte.

      „Schneller!“, drängte Roy. Versuchte ich doch! Ich war kein Läufer. Besonders nicht auf diesen Dreckklumpen, die genau so hart waren wie Steine. Nur nicht so schön angeordnet. Im Laufen riss ich mir den Helm vom Kopf. Warf ihn beiseite. Er könnte mir von Diensten sein… scheiß drauf. Ich wusste, dass die Dinger sich nicht auf meinen Kopf stürzen würden. Ah… aber ich hätte sie damit schlagen können. Vielleicht. Verdammt!

      Nur Roys beharrlichem Ziehen verdankte ich es, dass ich trotz meines Stolperns auf den Beinen blieb. Meine Lunge rasselte vor Anstrengung. Dabei war ich seit zwei Jahren Nichtraucher. Meine Seiten stachen. Meine Beine fühlten sich an wie Blei. Mit jedem Schritt wurden sie schwerer. Ein deutliches Zeichen meiner fehlenden Kondition. Schließlich bemerkte ich, dass das Knurren ein ganzes Stück hinter uns zurück geblieben war. Der Drang mich umzudrehen war überwältigend. Ich ignorierte ihn.

      Mit Mühe.

      Roy schlug einen Haken, raste mit mir direkt in das kleine, neben uns aufgetauchte Wäldchen. Ob uns das wirklich Schutz bot oder den Dingern hinter uns mehr nützte, blieb abzuwarten. Ich erwartete, dass Roy nun langsamer werden würde.

      Irrtum.

      Der Waldweg war zwar ausgetreten, aber um Meilen besser als das Feld. Roy legte an Tempo zu. Woher ich die Kraft nahm mitzuhalten? Vielleicht weil ich überleben wollte. Möglicherweise bekamen meine Turnschuhe auch Flügelchen und trugen mich ohne mein Zutun. An meinem Geburtstag den Löffel abzugeben kam nämlich überhaupt nicht Frage.

      Roy blieb plötzlich so abrupt stehen und schleuderte mich hinter sich, dass ich gegen seinen Rücken krachte. Mein Kiefer pochte. Ebenso meine Nase. Ich verzog das Gesicht. Fühlte, ob alles heil war.

      Anscheinend.

      Roy selbst stand da wie ein Fels in der Brandung. Die Augen auf etwas vor uns gerichtet, was ich hinter seinem imposanten Rücken nicht ausmachen konnte. So angespannt wie er war, bedeutete es sicher keinen umgestürzten Baum. Aber etwas versperrte den Weg. Etwas, das sprechen konnte. Scheiß drauf, dass ich froh war kurz Atem zu schöpfen und meine verkrampften Muskeln zu schonen. Das Etwas vor uns behagte mir trotzdem nicht.

      „Was haben wir denn da?“ Was für eine Stimme! Mir wurde ganz anders. Als könnte ich dieses Etwas sofort anspringen und ins nächste Bett zerren. Dabei war es die Stimme einer Frau. Und ich absolut hetero.

      Was äh… auch auf Roy zutraf.

      Ich krallte mich in seine Jacke. Nur für den Fall, dass er etwas wirklich Dummes machte. „Roy?“ Er nickte langsam. „Keine Bange. Ich hab zwar das dringende Bedürfnis sie zu vögeln, aber ich kann mich zurückhalten.“, sagte er und trat einen Schritt auf sie zu. „Roy!“

      „Richtig. Abwarten. Nicht nageln. Böse.“, murmelte er. „Böse? Ich?“ Oh, das Miststück hörte gut. Ich lugte an Roy vorbei. Die Frau war eins dieser unglaublich schönen Wesen. Hm. Wie ein Werwolf sah sie nicht aus. Oder doch? Vielleicht waren Werwölfe verführerisch. Woher sollte ich das wissen? Sofern diese Wesen sich überhaupt als Werwölfe bezeichneten. Vielleicht waren sie auch etwas ganz anderes.

      Roy bewegte sich nicht. Seine Anspannung war jedoch zu spüren. „Ich bin nett. Sogar sehr nett. Ansonsten wärt ihr schon tot. Sehe ich das falsch?“

      Ich überließ die Unterhaltung Roy. Mochte feige von mir sein. Andererseits glaubte ich, dass er mich lieber hinter sich in Sicherheit wusste. Obwohl ich das vermutlich nicht war. Im Gegensatz zu mir schien Roy außerdem kein bisschen außer Atem zu sein. Mit pochendem Herzen drehte ich mich um. Keine Wölfe. Kein Knurren. Keine Geräusche von etwas, dass sich heranschlich. Geschweige denn heranstürmte. Ich schaute sogar nach oben. Keine Ahnung, ob es Weraffen gab. Man konnte nie vorsichtig genug sein.

      Tja, da waren keine.

      Ein gutes Zeichen.

      Meine Hand nach wie vor in Roys Jacke vergraben, spürte ich, wie er sich bewegte. Um präzise zu sein, er trat zwei Schritte vor. Ich konnte ihn nicht aufhalten. „Bleib stehen!“ Er schüttelte den Kopf. „Sie bietet uns ihre Hilfe an.“ Na klar. Und ich bin Tiefseetaucher. „Bist du irre? Wir können ihr nicht trauen.“ Die Frau lächelte weise. „Stimmt, das könnt ihr nicht. Aber ihr könnt es versuchen. Was habt ihr zu verlieren?“ Unser Leben. Also keine Kleinigkeit. „Marielle! Was soll das?“ Die Stimme der Frau hatte mir schon zugesetzt. Aber die, die ich jetzt hörte, machte mich feucht.

      Ich schüttelte den Kopf. Kniff die Beine zusammen. Biss die Zähne fest aufeinander. Roy wich ein Stück zurück, drehte kurz den Kopf und sah mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern, wobei ich mich wesentlich gelassener gab, als ich mich fühlte. Statt weiterhin seine Jacke festzuhalten, griff ich nach seiner Hand. Unsere Augen waren auf das Paar gerichtet, dass vom Cover eines Magazins entsprungen schien. Nur hatte ich derart schöne Leute noch nie in Natura gesehen. Nichts mit Photoshop – die waren echt!

      Die Frau an sich war atemberaubend. Doch der Mann stand ihr in nichts nach. Auch ein Werwolf? Er erinnerte mich mit seinen langen, schwarzen Haaren, dem sorgsam modellierten, androgynen Gesicht und dem Körper eines griechischen Gottes, der selbst durch den edlen Zwirn zu erahnen war, eher an einen Todesengel. Ganz besonders was seine Augen betraf. Mich fröstelte. Könnte von der Kälte stammen. Aber ich war mir sicher, dass sein Blick dieses Frösteln verursachte.

      Roy neigte seinen Kopf kaum merklich zur Seite.

      Hieß, wir würden uns vom Acker machen. Nur kamen wir nicht dazu auch nur einen Schritt zu tun. „Was zum Teufel!“ Roy fluchte. Ich sah unsicher auf meine Füße. Zwar sah ich nichts, aber ich könnte schwören ich hatte Wurzeln geschlagen. Wortwörtlich!

      Ok.

      Sowas konnten Werwölfe in Legenden nicht.

      Nur… Vampire. Ich runzelte die Stirn. Schluckte. War das möglich? Vampire, keine Werwölfe. Oder – noch schlimmer: Beides?

      Keine Ahnung, ob Roy die gleichen Schlüsse zog. Er