Martin Wannhoff

Morality and fear


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die Waffe und ohne mit der Wimper zu zucken jagte er dem Fahrer drei Kugeln in den Kopf.

      Wieder fragte Stevenson sich, was seine Mutter, oder Mary von ihm denken würden, wenn sie ihn so sähen.

       „Was stehst du dumm herum und guckst blöd aus der Wäsche?

       Denk dran, wer gestern Mary flachlegen wollte.“

      Offenbar hatte Nuncio den Bezug zur Realität verloren.

      John hatte Mary zwar belästigt, sie vielleicht sogar genötigt, aber er hatte sie ganz sicher nicht vergewaltigt. Genau das aber war für Nuncio eine Tatsache. Er konnte sich selbst anlügen, ohne rot zu werden. Stevenson besaß diese Eigenschaft nicht und so bekümmerte es ihn in seinem Herzen. Er musste die Fassung wahren und cool bleiben, sonst würde er der Nächste mit einer Kugel im Kopf sein.

      „Der andere ist über den Jordan. Komm jetzt, wir müssen dich zum Arzt bringen und dann Sansone berichten.“

      Völlig neben sich stehend begriff er nicht, was Nuncio von ihm wollte. Er starrte immer noch auf die Schusswunden des Fahrers und bewegte sich nicht von der Stelle.

      „Hör mal, ich weiß, dass es hart für dich ist. Aber du bist jetzt seit anderthalb Jahren dabei. Gewöhn dich langsam dran.“

      „Du verlangst von mir, dass ich mich ans Morden und an permanente Angst um das eigene Leben gewöhne?“

      Nuncio brachte das „Ja“ derart trocken heraus, dass es Stevenson gänzlich die Sprache verschlug. Aber was sollte er tun? Er durfte nicht über die Stränge schlagen oder aussteigen. Also kooperierte er weiter und sein Leben als Mafioso nahm seinen Lauf. Er beherzigte Nuncios Rat: Er gewöhnte sich dran.

      Drei Wochen später, nachts gegen elf, näherte sich ein Horch der Bar von Massimo und bog in den Hinterhof ein.

      Es war vier Tage vor Heiligabend. Ein gut gekleideter Mann stieg aus und wurde zum Don gelassen. Er war groß von Statur und in schwarz gekleidet. Er schien offensichtlich reich zu sein, obwohl er ohne Chauffeur oder Leibwache gekommen war. Er betrat das Hinterzimmer und die Gebrüder Massimo begrüßten ihn. Hinter einem wuchtigen Schreibtisch pflegte Carlo wie ein Staatsmann zu sitzen, wenn er Gäste empfing. In weißem Anzug und mit Zigarre im Mund musterte er seinen Gast. Seine mangelnde Menschenkenntnis verhinderte, dass er den Zuhälter einschätzen konnte. Daher führte Benito das Gespräch. Es handelte sich um Norman Switch, den Besitzer des landesweit bekannten Biagetto-Bordells in Downtown. Er hatte bisher immer brav sein Schutzgeld bei Sansone bezahlt. Eigentlich hatte er Sansone viel zu verdanken.

      Einerseits zahlende Kundschaft, wirtschaftliche und juristische Sicherheit. Zum Anderen hätte er ohne Sansone seinen Laden während der Wirtschaftskrise dichtmachen können. Natürlich interessierten die beiden, warum er ihnen das erzählte. Switch atmete tief durch und kam endlich zur Sache. Er fragte, ob sie von dem Brand im Works – Quarter gehört hatten. Das traf zu. Der Sohn des Stadtrates war bei einer anschließenden Verfolgungsjagd umgebracht worden.

      Er war ein gern gesehener Kunde bei ihm. Aber das war nicht der einzige Grund seines Hierseins. Seit einiger Zeit erhob Sansone in immer häufigeren Abständen die Schutzgeldforderungen. Und gerade die Bordelle nahm er aus. Sansone glaubte wohl, dass er die Kuh immer weiter melken könnte, aber das Maß war wirklich voll. Benito war positiv erstaunt, denn das bedeutete: In der Sansone-Familie wurde das Geld knapp. Die Rechnung, die sein Bruder Carlo vor gut anderthalb Jahren aufgestellt hatte, schien jetzt endlich doch aufzugehen. Dieser Mann war der Beweis dafür, dass Sansones Organisation gewaltig unter Druck stand. Hinzu kam, dass bei dem Brand auch zwei Zuhälter des Biagetto – Bordells getötet wurden. Sie waren mit dem Stadtratssohn auf du und du. Das waren die Gründe für Norman Switch, die Seiten zu wechseln. Er bat die Brüder um Hilfe. Wenn er nämlich Sansones Schutzgeldeintreiber vor die Tür setzte, würde Antonio dasselbe machen, wie 1930 mit Bill Customs Motel vor der Stadt. Daher bot er den Massimos folgendes Geschäft an:

      Den monatlichen Schutzgeldsatz, den Sansone bis zuletzt haben wollte und im Gegenzug ein paar Männer, die im Bordell rund um die Uhr für Ordnung sorgen sollten. Das dieses Angebot ungewöhnlich war, erkannte selbst Carlo. Es war bis dato noch kein einziges Mal vorgekommen, dass ein Ladenbesitzer zu ihm überlief. In der Hoffnung, dass es nicht der einzige bleiben würde, der freiwillig das Lager wechselte, gestand Benito dem Biagetto-Bordell einen Schutz von fünf Männern zu.

       Drittes Intermezzo 1939

       „Ich gewöhnte mich dran.“

      Detective Richardson hatte jetzt dutzende Zettel vor sich liegen und stellte Verbindungen zu den einzelnen Namen her. Jede Straftat notierte er mit einem Wort und dem entsprechenden Datum. Immer wieder fragte er nach. So konnte er die Straftaten nach den Daten den polizeilichen Aktennotizen zuordnen. Wenn er das alles vor Gericht platzen lassen würde, wäre das eine gute Belohnung für all die Jahre der Schmach.

      „Sie sagen also aus, dass Nuncio Costello für den Brand im Verwaltungsgebäude und auch für den Brand in der Halle zwei Jahre später verantwortlich ist?“

      Stevenson nickte. Sansone war damals im Jahre 1929

      ebenfalls der Drahtzieher. Es ging um nicht bezahlte Schutzgelder. Ein deutscher Bombenexperte namens Hermann Koch sowie ein Saveknacker namens Salvatore Calmorra waren involviert. Des Weiteren war Luigi in die Pläne eingeweiht und fuhr den Fluchtwagen. Auch Gildo und dessen Sohn wussten gewisse Details der Operation.

      Die Feuerwehr erreichte viel zu spät den Einsatzort. Das ganze Verwaltungsgebäude stand lichterloh in Flammen, man konnte es nur noch kontrolliert abbrennen lassen. Das bedeutete den Ruin des finanziell angeschlagenen Werkes.

      Detailliertere Angaben konnte Stevenson nicht machen. In diesen Tagen des Jahres 1931 erlebte Stevenson das erste Mal, dass Sansone tatsächlich ernst machen konnte mit seinen Drohungen. Obwohl er nach außen das Image eines sauberen Geschäftemachers pflegte, bestand für ihn kein Problem darin, andere Menschen bei Versagen oder Fehlverhalten in die Hölle zu schicken. Fairerweise musste man erwähnen, dass er es verboten hatte, die Bandenmitglieder zu töten. Diesen „Kollateralschaden“ nahm er jedoch billigend in Kauf. Jedenfalls gab es unmittelbar nach diesem Vorfall keine Sanktionen gegen Stevenson oder dessen Capo. Richardson rang um Fassung.

      Nach 10 Jahren klärte sich ganz nebenbei der Mord an John Oregan auf. Detective Richardson betrachtete sein Gegenüber kopfschüttelnd und hatte endlich das wahre Potenzial dieses Mannes erkannt. Vor ihm auf dem Tisch lag ein riesiges Puzzle. Stevenson Rice würde es vor seinen Augen zusammensetzen. Das war bisher noch keinem Polizisten gelungen. Mittlerweile glaubte er ihm jedes Wort, denn er beschönigte nichts von seinen eigenen Verbrechen.

      Es handelte sich um ein ganz hohes Tier bei den Mafiosi.

      Einer, der wirklich Macht und Einfluss genossen hatte. Das gewaltige Machtimperium der Sansone-Familie könnte durch diesen einen Zeugen komplett in sich zusammenstürzen. Sansone würde in den Knast, wenn nicht sogar auf den elektrischen Stuhl wandern.

       „Wie ging es denn dann weiter?“

      „Nun ja, wir suchten unseren Arzt auf. Auf Lincolnhill wohnt Sansones Doc für alle Fälle. Er kassiert bis zum heutigen Tag monatlich ein Vermögen und ist definitiv der bestbezahlte Arzt in der ganzen Stadt. Er hat niemals zu viele Fragen gestellt und war immer zur Stelle, wenn es unangenehm wurde.“

      Richardson war erstaunt. Hatte er wirklich eine Arztpraxis in seinem Haus?

      „Als Praxis kann man das nicht bezeichnen. Dr. Theodor Evens improvisiert sehr oft. Er hat an mir schon so manche Operation durchgeführt. Der Mann versteht sein Handwerk.“

      Richardson war auch Dr. Evens ein Begriff: Amtsanmaßung, Drogenschmuggel, Veruntreuung, Medikamentenmissbrauch…