Martin Wannhoff

Morality and fear


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er auf eine Co-Existenz angewiesen, denn einen ausgewachsenen Krieg konnte sich Sansone nicht leisten. Massimo war in allen Belangen der Stärkere von beiden. Angefangen bei der Anzahl von Männern, Waffen, die Kontakte im Rathaus, bei der Polizei und zum Gericht bis hin zur Hafenarbeitergewerkschaft, dank derer er praktisch über unbegrenzte finanzielle Mittel verfügte. Der Druck auf Sansone wuchs stetig. Zunehmend hoch waren die dadurch verursachten finanziellen Einbußen. Denn die zum Aufräumen abkommandierten Männer konnten kein Schutzgeld einnehmen. Außerdem hatte es in diesem Jahr in den eigenen Reihen bereits 9 Tote gegeben. Das machte den Don natürlich nicht gerade glücklich.

      Da die Zeiten rauer wurden, war es unerlässlich, mit den Waffen aus Peropnes Arsenal vertraut zu sein. Stevenson hatte im letzten Jahr oft mit Luigi vor der Stadt das Schießen geübt. Er war nicht gerade ein Naturtalent und musste üben, üben, üben. Aber er steigerte sich. Es gelang ihm immer besser, die Entfernungen zum Ziel zu bestimmen, die Geschwindigkeiten der Kugeln, den Einfluss des Windes und der Schwerkraft einzuschätzen. Wenn das Zielen auch dauerte: Seine Treffsicherheit war mittlerweile lobenswert.

      An jenem Abend Ende November 1931 sprach ihn Barkeeper Giovanni an.

       „Steve, hast du heute Abend Zeit?“

      Er leerte das Whiskyglas und nickte. Giovanni putzte ein Glas und sah zu Boden. Offenbar kostete es ihn einiges an Überwindung, mit der Sprache herauszurücken. Schließlich aber gab er sich einen Ruck und bat ihn, seine Tochter nach Hause zu begleiten. Gestern hätten sie irgendwelche Typen mit zweideutigen Bemerkungen angemacht. Er machte sich Sorgen und wollte nicht, dass sie heute allein heimging.

      Stevenson war ein Gentleman und genoss Respekt in der Gegend. Wenn wieder einer die Tochter anpöbeln wollte, müsste er erst an ihm vorbei. Giovanni mochte ihn und seine zurückhaltende Art. Andere Soldaten und ihre Capos waren selbstverliebte Prolls. Bei ihm aber wusste er seine Tochter in guten Händen. Sie hieß Marylane, war jung und athletisch, hatte lange braune Haare, braun-grüne Augen, war 23 Jahre alt. Bisher kannten sie sich nur flüchtig. Mary machte noch die Küche sauber und ihr Vater bedankte sich.

      „Oh, Steve, du glaubst nicht, wie dankbar ich dir bin. Komm am Sonntagmittag zum Lunch vorbei. Da mache ich dir was ganz Besonderes.“

      Stevenson ließ sich vorsichtshalber einen Baseballschläger von Perpone geben. Es war fast dunkel, als die beiden losgingen. Sie erzählten sich voneinander. Er stammte aus New Orleans und hatte der Stadt nach dem Tod seines Vaters den Rücken gekehrt. Seiner Mutter hatte er wohl damit sehr weh getan, so kurz nach dem Tod des Ehemannes nun auch noch den Sohn zu verlieren. Ein paar Monate war er quer durch die USA getrampt. Als das Geld weniger wurde, fing er an zu arbeiten und konnte sich, dank der fallenden Automobilpreise, bald ein eigenes Taxi leisten.

      Dieses jedoch wurde zerstört und Sansone war sein Retter in der Not.

       „Heute bin ich Chauffeur für die Capos und den Consigliere.

      Manchmal fahre ich auch den Don durch die Gegend. Hin und wieder arbeite ich mit Gildo und Naffizzi zusammen und repariere Autos.“

      Marys Eltern Giovanni und Isabella waren vor ziemlich genau 25 Jahren nach Amerika gekommen und hatten sich gemeinsam eine Pizzeria aufgebaut. Das Glück schien mit Isabellas Schwangerschaft perfekt zu werden, aber sie verstarb bei der Geburt. Dieser Verlust hatte Giovanni aus der Bahn geworfen. Jahrelang ertränkte er seinen Kummer in Alkohol und verpasste dabei viele schöne Momente in der Entwicklung seiner heranwachsenden Tochter. Die dänische Nachbarin Freya Hyousek kümmerte sich liebevoll um sie. Ihre Tochter Yvonne war etwa im selben Alter und sie zog die beiden Mädchen auf als seien es Geschwister.

      Eines Tages betrat Sansone die elterliche Pizzeria. Diese Begegnung veränderte alles. Er kaufte das Lokal, benannte es in „Sansones Bar“ um und beschäftigte den ehemaligen Inhaber in der Küche weiter. So wurde er nicht entwurzelt, aber ihm war die Last der Verantwortung abgenommen. Ab da ging es Giovanni wieder besser und er fand neuen Lebensmut. Er begriff, dass er Marylane nicht für den Tod seiner Frau verantwortlich machen konnte. Schließlich wurden Vater und Tochter doch zu einem Herz und einer Seele. Manchmal half sie ihrem Vater hinter der Bar aus, denn er war auch nicht mehr der Jüngste.

      So plauderten sie und gingen durch die Nacht. Eine Einfahrt wurde von einer flackernden Straßenlaterne erhellt.

      Unter ihr standen drei Männer. Hier mussten sie entlanggehen, zögerten aber kurz. Es war zu spät. Die Männer hatten sie bereits bemerkt und näherten sich rasch.

      Einer war eher hager, trug einen karierten Anzug und schien der Boss zu sein.

      „Was ist denn das? Gestern alleine, heute schon mit einem Freund unterwegs.“

      Stevenson stellte sich vor sie und drohte:

      „Jungs, es wäre besser, wenn ihr abhaut und euch hier nicht wieder blicken lasst. Man kann nie wissen, wem man begegnet.

       Also macht keinen Ärger und verschwindet.“

       „Wenn hier einer Ärger macht, dann du, Schaumschläger!“

      Mit diesen Worten zog er einen Schlagring hervor und deutete den anderen, auf Stevenson loszugehen. Schon sah er sich zwei Schlägern ausgeliefert, die sich gemeinsam auf ihn stürzen. Der im Anzug hielt sich zurück. Sie fingen an, auf Stevenson einzuprügeln. Er hatte ebenfalls den Schläger hervorgeholt und setzte sich verbissen zur Wehr. Es sah schlecht aus. Als er fast schon zu Boden gerungen war, fasste er neue Energie und machte einen Hechtsprung zur Seite. Er riss mit aller Kraft eine etwa halb volle Mülltonne hoch und warf sie dem einen gegen den Schädel. Dieser stürzte schreiend zu Boden und der andere guckte entsetzt aus der Wäsche. Bevor er richtig wusste, was geschehen war, hatte Stevenson mit aller Kraft ausgeholt und traf ihn mit dem Ende des Schlägers übel im Gesicht, wobei der Kiefer zu Bruch ging. Mit zwei Drehungen stürzte auch dieser zu Boden. Er spuckte einen Schwall Blut und zwei Zähne aus.

      Die beiden waren nicht im Stande, wieder aufzustehen.

       „Du mieser Bastard, ich schneide dich in Scheiben!“

      rief der Kerl im Anzug und stürzte mit einem Messer bewaffnet auf Stevenson zu. Dieser wich gerade noch rechtzeitig aus und packte den Gegner am Arm. Er drehte ihn um und schlug die Handfläche immer wieder gegen eine Wand. Irgendwann fiel ihm das Messer herunter. Bevor sich dieser das Messer wieder greifen konnte, riss Stevenson ihn mit den Füßen zu Boden. Wie Kindergartenkinder wälzten sie sich im Dreck und einer versuchte den anderen auszutricksen. Als Stevenson eine Kopfnuss verpasst bekam, musste er den Gegner loslassen. Doch anstatt weiter zu kämpfen, ergriff dieser die Flucht. Bis sich Stevenson aufgerappelt hatte, war er verschwunden und er schaute sich nach Mary um. Diese hatte sich hinter einem Hausvorsprung versteckt und fiel ihm in die Arme. Sie zitterte am ganzen Körper und musste Todesangst ausgestanden haben. Schließlich lösten sie sich voneinander und gingen weiter.

      „Komm doch mit zu mir nach Hause, da sehe ich mir die Wunden an.“

      In der Tat war Stevenson verletzt. Er blutete aus der Nase und am Kopf. Außerdem hatte er Schmerzen in Brust und Rücken. Die Schläger hatten ganze Arbeit geleistet. Mary erkundigte sich mehrere Male, ob er Schmerzen habe. Er log, als er sagte, sie würden schon nachlassen. Jetzt, wo der Kampf vorbei war, begann der Schmerz erst richtig. Aber er biss die Zähne zusammen und beklagte sich nicht. Einige Minuten später fing sie wieder an von sich zu erzählen: „Mein Vater fand dank Antonio wieder ins Leben zurück und hat sich später gut um mich gekümmert. Er ist der beste Vater, den ich mir wünschen kann. Und Antonio ist für mich fast wie ein Großvater. Er ist voller Güte und hat viel für uns getan.“

      Stevenson pflichtete dem bei und meinte, das Sansone ein guter Mensch ist.

       „Arbeitest du auch mit Nuncio? Er ist ja ein schlimmer Kerl.

       Ich versteh nicht, wie man so launisch sein kann.“

      Von Nuncio wusste Stevenson zu erzählen, dass seine Eltern seit seinem siebten Lebensjahr